Bedeutungsservice

In einer Lehrveranstaltung über Sokrates in diesem Semester möchte ich eine Verbindung mit Fragen der Wissensgesellschaft herstellen, die ich im vergangenen Jahr behandelt habe. Darum ist mir dieser Satz aus Platons Menon sofort aufgefallen: “Bei den Leuten, die sich erklärtermaßen auf eine nützliche Dienstleistung verstehen …” (91c) Die Sophisten sind danach Vorläufer der post-industriellen, service-orientierten Verhältnisse.

Eine suggestive Übersetzung von Margarita Kranz in der Reclam-Ausgabe. Die ist also garnicht so klassisch, wie ihr Anschein. Schleiermacher übersetzt: “Diese allein unter allen denen, welche sich dafür ausgeben, etwas Gutes erzeigen zu können …” Das klingt nicht so, als ob es sich um dieselbe Textgrundlage handelte. Ist aber textgerecht. “epistastai euergetein”: sich darauf verstehen, Gutes zu tun”.

Ein klassischer Fall von wörtlich gegen suggestiv.

Dazu eine Aussage, die ich gestern auf einem Podcast gehört habe: Unternehmen brauchen “soft skills”. Es ist also nicht nur so, dass wir das in alle Bologna-Curricula zu schreiben versuchen, es gibt wirklich eine Nachfrage. Und dazu, wie die Amis schon so sind, ein passendes Schlagwort: “meaning facilitators”. Übersetzung? Siehe die Überschrift.

The Good, the Bad and the Ugly

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It is interesting that sophisticated philosophers sometimes turn into veritable snobs when it comes to talk about their fellow scholars. There is a market for those “masters of Excellence” intent to demonstrate their superiority by dividing the world into the Good and the Bad. Luciano Floridi is a case in point.

He gave a carefully argued talk at the Kirchberg Symposium this August. His opinions on some of the other presentations are published in a blog entry. He proves himself to be a truely digital (on or off) guy.

“So far, the worst two (but I cannot imagine anything could beat them) are the following.”

There is an attempt at irony when Floridi announces that he will comment “on the sin not the sinner”. We can be more specific here. One of his “worst” talks came from Newton Garver. I actually made radio program based on it. Here are Lucidi’s complaints:

The other talk at the bottom of the list was on silence and grammar in Wittgenstein. There wasn’t anything as bad as the arrogant nonsense and incompetence I illustrated above, the problem was another. It was a long sermon. No thesis stated, no problem tackled, no question answered, no reasoning, no ifs&thens, no nothing. It was not wrong because it was not right either. Goody-goody, probably deeply felt by the speaker and I would say rather convincing in leading the audience. It really made you conclude with an “Amen” at the end of it. But I kept quiet, and I did not leave either; I behaved properly and just made a mental note never to read or listen to this person again. Unlikely, but just in case.

Well, let us not quarrel with tastes and proper behavior, just stick to the facts, which, surprisingly, Lucidi gets completely wrong. As the above audio file (and the audio of the ensuing discussion) clearly show, Newton Garver was proposing at least one controversial thesis which was picked up by several members of the audience less oblivious to the presentation than Mr. I-am-Right.

Wittgenstein, according to Newton Garver, abandoned any attempt to search for truth, proposing “perspicuous representation” instead. (“There are no theses in philosophy.”) This does, indeed, go against the grain of a certain practice of (analytic) philosophy. But it is remarkable that its proponent is not able to even notice the challenge. Especially as Garver’s claim (on behalf of Wittgenstein) was put into question by several contributors during discussion.

E.g., one point I made was that for a presentation to be perspicuous – rather than confusing – a standard has to be presupposed. This is a normative construct that only works within a framework of contestable propositions. So it seems that one cannot escape from reliance on truth by simply abrogating “the quest for truth”.

There is a deep issue involved here, pitting Heidegger and the later Wittgenstein against Oxford-style research (but include Ernst Tugendhat). Unfortunately an occasion to take up this issue was missed.

Zum Aufwachen

Wenn ich (wie im vorigen Beitrag) Dieter Henrich kritisiere, sollte ich auch sagen, was man anders machen kann.

Es ist ein ironischer Umstand, dass Hegel, ein Hauptgewährsmann der klassischen deutschen Philosophie, für die Dieter Henrich so nachdrücklich eintritt, zu den vehementesten Kritikern des Bildungsbegriffes gehört. Ich habe das in einem Vortrag mit Bezug auf die Wikipedia näher ausgeführt.

Zur Einstimmung hier der erste Absatz aus dem Artikel, den ich im Anschluss daran geschrieben habe:

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Zum Einschlafen

Anläßlich eines Artikels über Hegel und die Wikipedia habe ich mich wieder mal nach deutsch-philosophischen Publikationen über Bildung umgesehen. Eben erschienen ist vom alten Meister Dieter Henrich Die Philosophie im Prozeß der Kultur und darin zwei Texte zum Thema. “Menschsein – Bildung – Erkenntnis”. Die Aussicht:

Sie (sc. Bildung) ist der Gewinn und die Ausgestaltung eines Lebens, das sich nicht in Verstellungen verfangen hat und das der Aufgabe nicht ausweicht, die ihm aus seinem ursprünglichen Selbstbewußtsein unabwendbar zuwächst. Auch das ist ein Grund dafür, ihm Souveränität, Allbezüglichkeit und eine wachsende innere Konsistenz zuzusprechen. S. 178

Solche Passagen sind einschläfernd und unbestreitbar zugleich. Ich kann die Sympathie nicht leugnen, die ich dem Versuch entgegenbringe, etwas zu sagen, dem niemand widersprechen kann. Vor allem, wenn die Aufgabe darin besteht, die Hörerinnen davon zu überzeugen, dass sie eigentlich gegen diese Sätze gar nichts haben können. Das ist so wie einer Mittelschulklasse die Aktualität des “Prinz Friedrich von Homburg” nahebringen. Und dennoch ist dieser Duktus der akademischen Betulichkeit kaum erträglich.

Gegensatzpaare

Also gut, hier der erste Entwurf zum Beginn des Artikels “Gegensatz”.

Einen Gegensatz festzustellen impliziert eine Anzahl konzeptueller Voraussetzungen. Der Ausdruck lenkt das Augenmerk auf einen Umstand, als ob er (wie “Affirmation” oder “Ablehnung”) im Singular fassbar wäre. Seine philosophische Grammatik ist in der Wendung “Gegensatzpaar” besser gefasst.

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(ich) weiss und rot

Eine scharfe Kurve zwischen dem Carnuntum-Folder und meiner aktuellen Arbeit.

Vor über 30 Jahren habe ich für das Handbuch philosophischer Grundbegriffe den Artikel “Negation” verfasst. Jetzt kommt eine Neufassung, für die ich über “Gegensatz” schreiben soll. Eine spassige Verschiebung. Ein klassisches Beispiel ist der Gegensatz zwischen schwarz und weiss. Wie ist es zwischen weiss und rot – was den Wein betrifft?

Das ist ja strukturell dieselbe Bipolarität. Oder noch deutlicher: rot und grün bezogen auf eine Ampel. Der konträrer Gegensatz, wie er zwischen unterschiedlichen Farben besteht, wird zum kontradiktorischen Gegensatz des “entweder dies oder das”. Ich werde u.a. darüber schreiben, wie diese beiden Verhältnisse zueinander passen.

Und warum gibt es keine Party in rot? Es gibt viele Rot-Töne, vielleicht wollte man die Eindeutigkeit einer Nicht-Farbe.

unbewußte Zahnschmerzen

Hier ein Beleg für die gestrige Behauptung. Wittgensteins “Diktat für Schlick” als zukunftsweisender philosophischer Text. Der 2. Absatz:

Wenn man eine Fähigkeit einen Zustand nennt, dann ist sie ein Zustand im Sinn der Physiologie oder der Zustand eines Seelenmodells. Die Aussage, daß dieser Zustand besteht, ist eine Hypothese. Der Gegensatz hierzu ist z.B. der Zustand der Zahnschmerzen. (Angenommen, wir wollten den Ausdruck “unbewußte Zahnschmerzen” so gebrauchen: ich habe unbewußte Zahnschmerzen soll heißen: ich habe einen schlechten Zahn, der mich nicht schmerzt. Diese Ausdrucksweise mag für manche Zwecke praktisch sein. Hat man aber damit Zahnschmerzen gleichsam an einem dunklen Ort entdeckt, wo man früher keine vermutet hatte? Wenn man nun zwischen bewußten und unbewußten Zahnschmerzen unterscheidet, und beide Zustände nennt, so hat das Wort “Zustand” in jedem dieser Fälle eine andere Grammatik. Vgl.: sichtbare und unsichtbare Farben.)

Moritz Schlick Gedenken

Vergangenen Donnerstag vor 70 Jahren wurde Moritz Schlick auf der Philosophenstiege der Universität Wien von einem geistig gestörten, eifersüchtigen Schülern erschossen. Dazu gab es eine Gedenkfeier im kleinen Festsaal, inklusive Vorstellung einer Werkausgabe durch das “Institut Wiener Kreis”.

Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass dieser Tod dem Nachruhm Moritz Schlicks nicht schlecht bekommen ist. Ohne die Tragödie wäre er vermutlich ins Exil gezwungen worden und in den Vereinigten Staaten untergekommen. Er gälte als verdienstvoller Wegbereiter, aber der 70. Todestag würde vermutlich nicht feierlich begangen. Vor allem macht dieses Gedankenexperiment deutlich, dass es sich um eine eigenartige Überblendung zweier sehr unterschiedlich angelegter Tragödien handelt. Hier die persönliche Katastrophe, dort der Faschismus und die “Vertreibung der Intelligenz”. Das berührt sich in der Person Schlicks sehr oberflächlich. F. Waismann, sein Assistent, war Jude und Schlick als spiritus rector des Wiener Kreises wurde vom Austrofaschismus beschimpft. Die “tödliche Note” bekommt der Fall aber aus dem Eifersuchtsdrama.

Inhaltlich gab es wenig Anregung. Die Geste des schuldbewussten Übernehmens der Verantwortung für eine philosophiehistorisch wichtige Episode dominierte. (Ausgenommen die ungezierte Einleitung von Max Kothbauer und die Einbeziehung der Wirkungs-(Nicht)geschichte Schlicks in Wien durch Elisabeth Nemeth.)

Hätte ich einen Beitrag leisten müssen, so wäre ich mit Wittgensteins “Diktat für Schlick” aufgetreten. Da fehlen zwar die Reminiszenzen, dafür ist es große Philosophie.