on/off

schalter2

 

“Ein” oder “Aus” gehört zu den einfachsten Oppositionen, wie “ja/nein” oder “offen/geschlossen”. Das ist der Bereich “klarer Entscheidungen”, bis hin zu “Willkommenskultur” versus “Festung Europa”. Sicher, es gibt undichte Ventile und durchlässige Membranen. Aber mit einer Theorie der Wackelkontakte kann man nicht beginnen. Eine Vorrichtung, die bei wiederholten Versuchen immer wieder unvorhersehbar reagiert, wird als Garantiefall retourniert.

Unlängst hat mich ein Haushaltsgerät auf eine andere Spur gebracht.
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unbedingt Asyl

luft

 

Ein Symposium zu “FLUCHT UND ASYL. Sozialphilosopische Perspektiven” im Rahmen des FWF Projektes Sprache und Gewalt am Institut für Philosophie der Universität Wien befasste sich ausführlich mit dem Thema Asyl. Eine exponierte Position hat Jacques Derrida in Von der Gastfreundschaft vertreten. Er spricht von “absoluter und bedingungsloser Gastfreundschaft”[1. Wie bei Derrida üblich ist diese Redeweise in ein komplexes Argumentationsverfahren eingebettet. H.W. Sneller hat es in einem Beitrag Ethische Aporien: die Paradoxe der Gastfreundschaft detailliert erörtert. Die vorliegende Notiz folgt Derridas Manövern nicht und setzt sich dem Vorwurf der unzulässigen Vereinfachung aus.]. Einige Teilnehmerinnen (m/w) machten sich diesen Gedanken zu eigen. Es folgt ein Versuch, diese Formulierung als sprachliche Wendung mit praktischen Auswirkungen zu analysieren.

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Wer ist Harald Schmidt?

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Der junge deutsche Youtuber Robert Michel alias Rob Vegas ist vor ein paar Jahren durch die Medienwelt gegeistert, weil er einen Pseudo-Twitteraccount von Harald Schmidt angelegt hatte (@bonito.tv), der schon nach kurzer Zeit beachtliche Follower-Zahlen erreichte. Obwohl Michel regelmäig darauf hingewiesen hatte, dass er nicht vom echten Fernsehmoderator betreut wurde, erfreute sich der Twitteraccount höchster Beliebtheit, denn es gelang dem jungen Medienschaffenden den Stil des Entertainers überzeugend zu kopieren und deswegen wollten dessen Bewunderer weiterhin ihre “tägliche Dosis Schmidt”.

Ende 2015 ist eine von Michel verfasste Biographie im Goldmann-Verlag veröffentlicht worden. Gut lesbar steht darauf oberhalb des Titels: “Ich, Harald Schmidt”, die Warnung: “Vorsicht Fälschung”. Die Tautotologie im Titel verstärkt den Effekt der Warnung noch. Die Lebensbeschreibung basiert nach Michels Aussage, aufgrund der mangelnden Mitwirkung des Beschriebenen, ausschließlich auf kompilierten Anekdoten, die Schmidt in seiner Fernsehsendung zum Besten gab und die der Jungautor seinem eigenen Gutdünken nach in Relation zueinander setzte. Die dabei entstehenden Lücken im Lebenslauf wurden interpretativ gefüllt.

Nun befindet sich Harald Schmidt in einem Alter, in dem noch zu viele Seiten in der Biographie frei bleiben müssten. Zudem ist bekannt, dass ihm sehr daran gelegen ist, sein Privatleben geheim zu halten. Überraschenderweise hat der Fernsehunterhalter allerdings keine rechtlichen oder sonstige Schritte eingeleitet. Man sollte meinen, dass es ihm unangenehm sein müsste, wenn er als Mittel benutzt wird, um einem Youtuber zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. Michel selbst verweist darauf, dass Schmidt in einem Radiointerview gesagt habe, dass er die Pseudo-Biographie begrüße, weil es zur Vernebelung seines Privatlebens beitragen würde.

Es ergeben sich hier einige Fragen. Auf drei dieser Fragen möchte ich ein wenig eingehen:

  1. Wer wird in der Pseudo-Biographie beschrieben?
  2. Wieso lassen sich Bewunderer wissentlich auf einen bekannten Identitätsklauer ein?
  3. Inwiefern dient die Biographie zur “Vernebelung” des Privatlebens von Schmidt?

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wahre Empfindungen

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Kostka Tivadar Csontváry

In der letzten Vorlesungsstunde zu Big Data bezog ich mich unter anderem auf einen Text Christian Geyers aus der FAZ vom 13.1.2016. Er registriert die Verunsicherung durch zahlreiche Metadiskussionen zum Flüchtlingsproblem und die (vergebliche) Suche nach elementaren Bildern und Geschichten. Der Anlass seiner Überlegung ist das Bild hungernder Kinder in Madaya, Syrien. Wann, wenn nicht hier, sollte es Gewissheiten geben. Jedoch:

Unser Albtraum ist, dass wir solche Albträume nur in abgeleiteten, von der Deutungsmaschinerie erhitzten Kategorien wie Fluchtursachen, Einzelfällprüfung und Kriminalitätsstatistik wahrzunehmen gewöhnt sind. Unser Albtraum ist, dass wir auf diese Raster angewiesen bleiben, soll “Syrien” uns überhaupt betreffen können.

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Heimat und Vergangenheit

Herbert Hrachovec war als Kunde Teil einer paradigmatischen Szene in einer Trafik. Darin wirft die Verkäuferin ihm, unter den Augen des strengen Inhabers, einen Blick zu, der den Kunden auf seine Seite ziehen will. Der Blick wird zum Symbol für einen Aspekt von Heimat. Eine Frage wird aufgeworfen:

(Wie) Kann man aus diesem Blick, einem unhinterfragbarem Vertrauensbeweis, “immer weitere Möglichkeiten erhalten”?

Die Frage macht einen Aspekt sichtbar, der in meinem letzten Blog-Beitrag über Heimat und Fremdheit ausgeblendet wurde. Heimat ermöglicht nicht nur die Erkundung von Neuem durch die Tatsache, dass man irgendwo angefangen hat. Konstellationen in der Heimat stellen einen vor die Wahl, eine begrenzende Wahl: Weggehen oder bleiben. Doch diese Wahl ist eine scheinbare, weil man die Heimat weder loswerden noch in ein ursprüngliches Verhältnis zu ihr kommen kann. Das macht Heimat und Vergangenheit verwandt. Im Folgenden ein paar Überlegungen dazu. Darin fließen eigene Erfahrungen sowie die Lektüre von Texten von Michel de Certeau und Paul Ricœur (via Hans-Dieter Gondek) ein. Sie kommen schließlich auf die Schuldenkrise Griechenlands zu sprechen.

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Heimat: Hafen und Hölle

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Andreas Kirchner schreibt im vorigen Blogeintrag:

Daraus kann ich mein Verständnis von Heimat gewinnen: Das, was einem ermöglicht, etwas Neues auszuprobieren. Ein Ort, von dem aus man aufbrechen und aus dem man immer weitere Möglichkeiten erhalten kann. Genauso wie meine Identität ist dieser Ort nicht eindeutig, er ist entzogen, zeigt sich fragmentarisch.

Ich möchte das an einer kurzen Episode testen, die sich unlängst in einer Tabaktrafik zugetragen hat. Es geht dabei nicht direkt um Heimat, wohl aber um die Herstellung von Identität und Fragmentierung an einem Ort der Möglichkeit und Flucht.

 

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Unendliche Mengen. Teil 2: Limesordinalzahlen. Oder: Frauen?

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“It is a fact, that there is no limit point. If there is no limit point, there is something infinite, virtually. But we will never be in the point without limit. If we continue the repetition, we are always in the finite, we don’t encounter the limit of the absence of limit. The absence of limit is only the possibility to do the succession once more. But this ‘once more’ is only the ‘without limit’ and not the positive presentation of something infinite.” Alain Badiou – Infinity and Set Theory – Repetition and Succession (2011)

Wir haben in der letzten Episode anhand von Javascript gesehen, dass das Zählen zwar prinzipiell weitergehen kann, jedoch praktisch, um nicht in der Endlosschleife hängen zu bleiben, ein Ende finden muss – bis auf Weiteres.

Die Regel, die das Weiterzählen vorschreibt, ist kein Gesetz das uns einschränkt, sondern ein Hilfsmittel, mit dem wir beliebig viele gleichartige Zahlen erzeugen können. Was heißt gleichartig? Der Modus Operandi der Erzeugung dieser Zahlen bleibt stets gleich: +1, +1, +1, … Damit reihen  sich die Zahlen in eine Ordnung ein und sind gleichzeitig Schöpfungen, dessen Eigenschaften und Ähnlichkeiten man untersuchen kann. x ist eine gerade Zahl, x ist eine Primzahl, usw.

Die Mengentheorie nimmt die Regel des Weiterzählens zur Kenntnis, setzt sie aber an einer Stelle aus. Man kann fragen: Gibt es eine Zahl, die dieser Regel entkommt, d.h. eine Zahl, die sich nicht durch die Anwendung der Regel begründet, die von 0 beginnend einen Nachfolger produziert? Was wenn wir uns entscheiden, die Existenz dieser Zahl anzunehmen? Dann können wir -woanders- weiterzählen. Was ist passiert? Hilft uns das weiter?

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Unendliche Mengen. Teil 1: Eine Übung mit JavaScript

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Wir schreiben. Ein Spiel mit Zeichen, Manipulationen von Strings nach Regeln. Und dann, was damit anfangen? In der Anwendung, d.h. dem Einsatz der eingeübten Regeln in der vielfältigen Welt, gewinnen die Spielzüge ihren Wert.

Das Spiel mit Zeichen aber ist selbst ein Weltgeschehen. Und während es sich als Ordner der Welt betätigt, kommen Zweifel auf – über die Welt der Ordnung. Was tut es mit den unendlichen Mengen an Vorkommnissen? Immer kleinteiliger zerlegen. Auf verschiedenste Weisen zusammenfassen. Auf Eigenschaften schließen. Und wenn es selbst in den Fokus des Ordnens kommt, bricht es erst einmal zusammen.

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Wittgenstein im Festsaal und am Monte Cassino

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Das Deckenfresko des berühmten Festsaals der Österreichischen Akademie der Wissenschaften von Gregorio Guglielmi wurde nach einem Brand im Jahr 1961 vom Theatermaler Paul Reckendorfer rekonstruiert. (Wikipedia)

Der Saal war Ende Februar Schauplatz eine Veranstaltung “Wittgenstein. Sprache und Musik”. 80 Minuten lang las “die Doyenne des Wiener Burgtheaters” aus Hermine Wittgensteins Familiengeschichte und den Briefen ihres Bruders. Es folgte Pause mit Buffet und danach die Aufführung einiger Lieblingsstücke Ludwigs, begleitet von einschlägigen Aphorismen.

Die Inszenierung folgte einer Idee Michael Nedos und zeigte, wie seine “Wiener Ausgabe” des Nachlasses, kulinarische Züge. Eine Feierstunde für die gehobene städtische Intelligenz. Während Nedo mit guten Gründen den traditionellen Luxus einer Buchedition als Hilfestellung zum Verständnis des philosophischen Werkes darstellen kann, erwies sich die Schriftlesung mit Musik allerdings als typische “würdevolle Gedenkveranstaltung”, die “den Geist des Meisters” heraufbeschwört.

Im Gegenzug empfiehlt sich diese Erinnerung Ludwig Hänsels an seine Kriegsgefangenschaft, zusammen mit dem jungen Leutnant:

Lt Wittgenstein fährt fort, mir die Fregesche Begriffsschrift in der neuen Gestalt vorzuführen. Ich habe Mühe, den Zeichen zu folgen. Mein erster Widerstand gegen die „Oder“ Auffassung war begründet. Ich faßte es rein disjunktiv. Er ist superlativisch, edel, begeistert (Tolstoj’s Volkserzählungen, Prosa Kellers oder der Grimm-Märchen. Das Evangelium ist sakrosankt, nicht berührbar, über allem Gerede – gegen unsere Übersetzungsversuche am Galaterbrief.) Er ist sehr nervös, stößt die Luft durch die Nase. Blaue Augen. Furchige (alte?) Züge. Bewegliches, sehr aufrichtiges Mienenspiel. Edle Kindlichkeit.

petites mesquineries

drachen

 

Alain Badiou operiert, das ist im vorigen Beitrag angesprochen worden, mit der Kategorie Rechtschaffenheit. Ein Beispiel ist Jeannne d’Arc, “une héroïne sublimement chrétienne”, die er gegen Voltaires frivole Satire in Schutz nimmt. Das geschieht in einem Beitrag in “Le Monde”, in dem er die folgende Parallele zieht: “Voyez les obscénités de Voltaire à propos de Jeanne d’Arc : son La Pucelle d’Orléans est tout à fait digne de Charlie Hebdo.”

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