Grenzen. Eine Bildbetrachtung

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Umstandslos sind dem Bild einige Grenzen zu entnehmen. Das Meer begrenzt das Festland, die gelb-orangen Farben gehören zur Peripherie der Europäischen Union, die in Petrol markiert ist. Innerhalb des Petrolblocks verlaufen weiße Linien – Landesgrenzen. Der schwungvolle rote Strich umgibt den Schengen Raum. Diese Demarkierungen verzeichnen politische Gegebenheiten. Sie wegzudenken heißt, auf wesentliche Informationen zur gegenwärtigen Migrationsbewegung zu verzichten.

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“… dieser ehemalige Heimwehrführer …”

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In einer Radiosendung über “Österreichs hausgemachten Faschismus” habe ich Emmerich Tálos die Frage vorgelegt, wie es denn kommen konnte, dass die 2. Republik, anders als Deutschland, von Politikern mit aufgebaut wurde, die nach seiner Nomenklatur Faschisten waren. Julius Raab z.B. war Minister im letzten Kabinett Schuschnigg.

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“Gott schütze Österreich”

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Nochmals die Kreuzzüge. Das österreichische Heimwehrregime bediente sich des “Jerusalemer Kreuzes” (Kruckenkreuz) als politischen Symbols. Zum herzzereißenden Wahlspruch des k.k. Landesschützen-Regiment „Trient“ Nr. I kam das christliche Bekenntnis. Als Marsch gefasst:

Das letzte eiserne Gebot: Sieg oder Tod im Alpenrot.

In Ungarn ist diese Wehrhaftigkeit seit dem 25. April 2011 im Grundgesetz festgeschrieben:

Gott, segne die Ungarn!

NATIONALES BEKENNTNIS

WIR, DIE MITGLIEDER DER UNGARISCHEN NATION, erklären zu Beginn des neuen Jahrtausends, in der Verantwortung für alle Ungarn Folgendes:

Wir sind stolz darauf, dass unser König, der Heilige Stephan I., den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf festen Fundamenten errichtete und unsere Heimat zu einem Bestandteil des christlichen Europas machte.

Ein Blick auf die Geschichte der Kreuzzüge lehrt:

  • Städte und Regionen wechselten ihren Besitzer. Die Bewohner behielten oft ihre Religion, sie mussten nur zpezielle Steuern zahlen, wenn ihr Glaubensbekenntnis von jenem der jeweiligen Sieger abwich.
  • Christliche Heerführer hatten keine Bedenken, sich gegen Glaubensgenossen mit islamischen Truppen zu verbünden (und umgekehrt).

Die Reiseerzählungen von Ibn Dschubair, eines spanischen Pilgers zur Zeit Saladins berichten von Zuständen, die frappant an die Gegenwart erinnern. Jonathan Philipp berichtet, dass die Überfahrt in den Nahen Osten für Christen (nach Jerusalem) und Muslims (nach Mekka) durch die Handelsflotten italienischer Städte organisiert wurde. Venedig, Pisa und Genua lagen in scharfer Konkurrenz. Auf ihren Schiffen transportierten sie, in separierten Kompartments, die Reisenden unterschiedlichen Glaubens.

Damals wie heute: Ökonomie reicht weiter als Glaubenskämpfe.

 

Kreuzzüge, Dschihad

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Ein Vortrag im Rahmen des Symposiums Cyberspace 2015 in Brünn befasste sich mit der Propaganda des Islamischen Staates, speziell mit dem pdf-Magazin Dabiq.

The Islamic State (ISIS) regularly puts out a glossy propaganda magazine aimed at recruiting jihadists from the West. It is sophisticated, slick, beautifully produced and printed in several languages including English. 1

In der Diskussion wurde gefragt, was der Referent über die Zielgruppe der Publikation wisse. Er hatte keine Information. Nun, eines kann man jedenfalls sagen: Es sind Personen, die gerne professionell gemachte Hochglanzbroschüren lesen. Anders formuliert: die Propaganda des aktuellen Terrors misst sich am Standard der westlichen Unterhaltungsindustrie. “Dabiq” dient jedenfalls dazu, den mörderischen Islamismus in den Kategorien unserer Werbebroschüren gut aussehen zu lassen.

Beim Nachlesen über die Kreuzzüge bin ich auf eine ähnliche Querverbindung zwischen den feindlichen Lagern gestoßen. Paul M. Cobb versucht in The Race for Paradise. An Islamic History of the Crusades die Perspektive der angegriffenen Königreiche und Fürstentümer einzunehmen, und dabei ergibt sich eine wichtige Pointe.

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Österreich 1934, Syrien 2015

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Ingredienzien für eine Tragödie:

  • Krieg hat die Region destabilisiert.
  • Autoritäre Herrscher
  • Ein Land im Bürgerkrieg
  • Das Land ist Schauplatz eines stellvertretenden Machtkampfs von Großmächten.
  • Ein Staat von Gottes Gnaden wird deklariert.
  • Die Wirtschaft ist schwer geschädigt.
  • Arbeitslose Offiziere schließen sich regimefeindlichen Kampfgruppen an.

Klingt nach Nahem Osten, aber es erinnert auch an Zustände, die vor 80 Jahren hierzulande herrschten. Der Austrofaschismus war der gescheiterte Versuch, gegen die Hälfte der Bevölkerung, bedroht vom übermächtigen Nachbarn, von den Siegermächten des 1. Weltkriegs mit vagen Versprechungen abgespeist, einen Staat zu führen.

Natürlich stimmen die Dimensionen nicht. Welten liegen zwischen den 94 bzw. 330 Toten beim Brand des Justizpalastes und den Februarkämpfen 1934 einerseits, und der Katastrophe in Syrien. Die Fassade des Ständestaates ist mit dem Regime des “Islamischen Staates” nicht vergleichbar. Aber die Gottesanrufung am Beginn des Verfassungsdokumentes gibt dem empfindlichen Leser (m/w) doch einen Stich. Ein Beitrag zur Gewährung von Asyl.

 

Vergeblichkeiten

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Ein winziges Anzeichen des Flüchtlingstroms, der vergangenes Wochenende durch Wien rollte, war der schmale, vielleicht 20-jährige, junge Erwachsene, der mir gegenüber im Abteil des Nachtzugs nach Zürich saß. [1. Andreas Kirchner schließt seinen vorhergehenden Beitrag mit einer Überlegung zur Diskrepanz zwischen allgemein hoffähiger Vernunft und dem nicht steuerbaren individuellen Ausbruch aus dieser Regulierung. Hier eine Umkehrung: von der individuellen Desorientierung zu ihrer gesellschaftlichen Integration.] Stumm, ohne Bewegung, defensiv in sich eingeschlossen, strahlte er eine Extraterritorialität aus, die davon abhielt, ihm näher zu kommen. So fremd, dass man sich kaum dazu brachte, ihn als “Flüchtling” zu klassifizieren.

Bis an der Schweizer Grenze die Polizei durch die Waggons ging und Ausweise verlangte. Der Mann stand auf, holte seinen Rucksack vom Gepäcksnetz und tat so, als würde er das Dokument suchen. Der Polizist wartete geduldig. Nach einer Minute die Geste, dass es keinen Ausweis gibt. “What country do you come from?” “Syria”. Mitkommen. Widerspruchslos folgte der Syrer dem Schweizer, der ihn aus dem Zug holte.

Was war der Sinn dieser Episode? Warum fährt jemand durch ganz Österreich, um sich am Ende abfangen und retournieren zu lassen? Die Frage steht stellvertretend für die Hilf- und Ratlosigkeit, welche die gegenwärtige Entwicklung auslöst. (Ich spreche nicht von der befreienden Solidarität, sondern vom Fehlen einer längerfristigen politischen Perspektive.) Unter diesem Fragezeichen verbrachte ich die nächsten Tage in Zürich.

 

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Flüchtlinge. Europäische Vision und lokale Gewalt

Sprechen wir über Flüchtlingspolitik in den europäischen Ländern. Die lokalen Kräfte reden sich auf mangelnde europäische Einigung aus. Damit haben sie zwar Recht, dass man sich in der europäischen Union nicht auf ein solides Management der Verteilung von Flüchtlingen geeinigt hat. Doch an den einzelnen Orten ist Management sehr wohl möglich. Was passiert ist jedoch, dass die Lage eskaliert.

Es folgen ein paar Gedanken dazu anlässlich des Films “Wir sind jung. Wir sind stark”, der die Ausschreitungen im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen thematisiert.

Dazu kommen die gewalttätigen Proteste in den letzten Tagen in Flüchtlingsheimen in Sachsen. Zuletzt in Heidenau, in der ein Imagevideo “Mein Heidenau” – ein Exzess von Idealisierungen – mit der Realität von gewalttätigen Demonstranten vor der gerade eröffneten Notaufnahmestelle für Flüchtlinge konfrontiert wird:

Als Reaktion darauf hat man recht provokant die Tonspur des Imagevideos mit Videos von Lichtenhagen 1992 kurzgeschaltet.

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Athen und Bologna

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Jean-Claude Juncker spielt seit dem Scheitern der Verhandlungen vorletzte Woche keine öffentliche Rolle in der Griechenlandkrise. Antonis Samaras, der frühere Premierminister, hat den Parteivorsitz zurückgelegt. Die überwältigende Ablehnung der Vorschläge aus Brüssel lässt für Vermittlungsversuche keinen Platz. Beide haben versucht, zwischen der Herrschaftslogik der Geldgeber und den Lebensansprüchen der griechischen Bevölkerung zu lavieren und sich dabei schließlich eine Abfuhr geholt.

Die Abfuhr ist verständlich und: ich stehe auf der Seite der beiden Verlierer. Diese in sich gebrochene Position soll ein Rückblick auf Erfahrungen in der Universitätspolitik erläutern.

 

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Heimat und Vergangenheit

Herbert Hrachovec war als Kunde Teil einer paradigmatischen Szene in einer Trafik. Darin wirft die Verkäuferin ihm, unter den Augen des strengen Inhabers, einen Blick zu, der den Kunden auf seine Seite ziehen will. Der Blick wird zum Symbol für einen Aspekt von Heimat. Eine Frage wird aufgeworfen:

(Wie) Kann man aus diesem Blick, einem unhinterfragbarem Vertrauensbeweis, “immer weitere Möglichkeiten erhalten”?

Die Frage macht einen Aspekt sichtbar, der in meinem letzten Blog-Beitrag über Heimat und Fremdheit ausgeblendet wurde. Heimat ermöglicht nicht nur die Erkundung von Neuem durch die Tatsache, dass man irgendwo angefangen hat. Konstellationen in der Heimat stellen einen vor die Wahl, eine begrenzende Wahl: Weggehen oder bleiben. Doch diese Wahl ist eine scheinbare, weil man die Heimat weder loswerden noch in ein ursprüngliches Verhältnis zu ihr kommen kann. Das macht Heimat und Vergangenheit verwandt. Im Folgenden ein paar Überlegungen dazu. Darin fließen eigene Erfahrungen sowie die Lektüre von Texten von Michel de Certeau und Paul Ricœur (via Hans-Dieter Gondek) ein. Sie kommen schließlich auf die Schuldenkrise Griechenlands zu sprechen.

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