Genug zerstört: Kann Miley Cyrus Israel retten?

   “Wrecking Ball” seemed like the obvious choice because the Middle East is saturated with destruction.
Orit Arfa

Herbert Hrachovec macht im letzten Beitrag die Grenzenlosigkeit der Kugel im Wrecking Ball Video stark. Eine Kugel, besetzt von einer jungen Frau. Dieses Motiv sei die einzige Komponente, die von allen Nachahmungen wieder aufgenommen wird. Ich kenne kein Wrecking Ball Video ohne die schwingende Kugel, das stimmt. Nur ich sehe eine Abrisskugel, auf der eine attraktive, junge Frau schwingt wie auf einer Schaukel. Eine massive Kugel, abgeschlossen und opak, die sich im Verlauf gegen ihre Besitzerin richtet.

Abrisskugel       myci

 

 

Das Folgende zeigt einen Vorschlaghammer mit dem Miley Cyrus von Herrn Richardson abgelichtet wird. Das Ablecken des Hammers liegt an der Grenze zwischen erotischer Sprengkraft und Lächerlichkeit.

Vorschlaghammer

Vorschlaghammer2

Die Chatroulette-Parodie von Kardynal stellt die Lächerlichkeit zur Schau:

VorschlaghammerDerivat

Andere Nachahmungen nutzen den Effekt für politische Zwecke, wie The Daily Show, um satirisch zu sagen: “Darauf reagiert ihr also? Nagut, dann Packen wir unsere journalistischen Resultate in diese Form”. Das erste Bild ahmt die Vorschlaghammer-Szene vom Miley Cyrus Video nach:

BlackstoneVorschlaghammer

All Out! (Evakuierung)

Brisanter, politischer und in diesem Blog noch nicht vorgekommen ist das am 13.01. veröffentlichte Wrecking Ball-Video von Orit Arfa, das die Zwangsevakuierung von etwa 9000 Juden durch den israelischen Staat in Gush Katif beim Gaza Streifen beklagt. Im Anschluss an die Evakuierungen wurden die Wohnungen zerstört bzw. abgebaut und das Gebiet im Prinzip den Palästinensern überlassen, was die Friedensprozesse jedoch nicht weiterbrachte.

Das Video spielt auf einer Baustelle. Diesmal ist – neu – eine Schaufel im Spiel:

OritArfaSchaufel OritArfaAbrisskugel OritArfaVorschlaghammer2

No Way In (Ansturm)

In “Kabale und Liebe” sind es die Mauern des Schlosses, die von einer Liebenden aus der “Unterschicht” gestürmt werden und wo man sich zu drastischen Gegenmaßnahmen fehlleiten lässt. Bei Simon Solbergs Theaterstück sind es die Trümmer einer Welt aus Zeichen und Zitaten, aus “grellen Bildern und geschmacklosen Querverweisen” die das Trauerspiel in den Schatten stellen. 1

Inwieweit soll man das Vorgefundene zerlegen und die Elemente weiterverarbeiten, in einer Zeit wo der Autor nichts Wichtigeres dazu zu sagen hat als die Rezipientinnen? “Es gibt die Freiheit der Kunst auch für Künstler 2”, sagt Siegfried Pflegerl bei seinem Vortrag im Symposium “Open Culture” und meint mit Künstler 2 die Herstellerinnen von Derivaten, Kollagen, und anderen bezugnehmenden Kunstwerken.

No Way Out (Labyrinth)

meantToBeSeen
Gestern sah ich Room 237, ein Film der es unternimmt, versteckte Bedeutungen in Stanley Kubricks “The Shining” auszuweisen, durch eine peinlich (genaue) Verbindung von Einzelheiten. “The Shining” sei, so wird episodenweise zu erklären versucht, kein Horrorfilm, sondern eine Verarbeitung des Holocaust, oder des Genozids der Indianer durch die europäischen Zuwanderer, oder Kubricks Geständnis, er hätte die Mondlandung inszeniert, oder eine Metapher für die Tendenz der Geschichte sich zu wiederholen, wenn man sie zu leicht nimmt. Die Zerlegung und Weiterentwicklung von Elementen ist manchmal absurd, vor allem wenn man die eigenen Intentionen Stanley Kubrick zuschreibt. Doch manchmal gibt es inspirierende und treffende Hinweise, die zumindest die Beschäftigung fördern und den Blick schärfen.

Ein geschlossenes Werk heißt uns willkommen und lässt uns nicht mehr los, sobald wir uns eingelassen haben. “Many ways in, but no way out.” heißt darum der Untertitel dieses Meta-Films. Uns zieht ein Werk gerade dann an, wenn es einen Überschuss generiert, der sich nicht leicht in eine konsistente Deutung bringen lässt, obwohl nichts dahinter ist.

Das Eine im Anderen (Karneval)

So wie Stanley Kubrick hat Hieronymus Bosch im 15. Jahrhundert Werke geschaffen, in denen man sich verlaufen kann. Er hätte sich vermutlich über die angestrengten Exegeseversuche schillernder Werke amüsiert, so verschieden “The Shining” und “Der Garten der Lüste” auch sind.

Auf der Außenseite des letztgenannten, dreigliedrigen Werks befindet sich eine transparente Kugel:

Hieronymus_Bosch_-_Triptych_of_Garden_of_Earthly_Delights_(outer_wings)_-_WGA2506
Das bunte Treiben in dieser Kugel wird sichtbar, wenn man den Dreiteiler aufklappt, sozusagen einbricht:

GardenED

Bosch,_Hieronymus_-_The_Garden_of_Earthly_Delights,_center_panel_-_Detail_Man_with_a_plum_as_head_(lower_right)

 

Michel de Certeau hat dazu in “Mystische Fabel. 16. bis 17. Jahrhundert” geschrieben:

Wenn man auch bei Boschs Gemälde nicht erklären kann, “was es sagen will” (und zwar aus dem Grund, dass es genau diesen Anspruch attackiert, der dennoch immer wieder auftaucht), kann man doch analysieren, wie, nach welchen Regeln es produziert wird. […] Erstes Verfahren: Die Form (im Allgemeinen der Kreis oder die Kugel) öffnet sich mittels einer Transparenz, eines Sprungs oder eines Lochs auf ihr anderes hin. Schon die Grisaille auf den geschlossenen Flügeln des Triptychons deutet diese Bewegung an: In der Nacht der Zeit wird der transparente Globus des Kosmos […] senkrecht durch den schmalen Raum zwischen jenen beiden Flügeln geteilt, die sich selbst und den Kosmos gleich auf die farbige und tanzende Überfülle des Gartens öffnen werden. Der unbewegliche, tragische Kreis des Anfangs spaltet sich, um dem Karneval der Lüste, der sich auf den drei Ebenen der Mitteltafel entfaltet, “Raum und Anlass zu geben”. Das Draußen ist das andere des Drinnen.

Drinnen wie Draußen (Mega-Hit)

Bosch visualisiert die Vorstellung, dass sich die graue Welt nach dem Einbruch in vielen Farben darbietet. Das Wrecking Ball Video bleibt recht monochrom (abgesehen von den stechend roten Lippen). Es gibt eine Bewegung nach außen und nach innen gerichtet, von einer Person inszeniert.

Anklage1

Anklage2

Anklage4

(Animation)

Die Kugel als Waffe und Schicksal. Der Globus ist im Video zunächst ein Mittel, dem man sich zum Zweck des Einbruchs bedient. Das “erotische Kapital” wird eingesetzt, könnte man sagen. Nachdem die Kugel, die traditionell zur Öffnung vorgesehen ist, als Werkzeug verwendet wird, stellt sich aber die Frage, wohin anders eingebrochen werden kann. Kein anderer in Sicht. Oder: Ich bin der andere, Einbrecher und Gastgeber. Die Zuschauer sehen zu, wie ein Körper sich gegen sich selbst richtet:

RuinA

RuinB

RuinC(Animation)

Man ist sich selbst die Klagemauer?

Beschwichtigung und Aggression

Apropos Klagemauer, nochmal zu Orit Arfa: Die in den USA geborene, in Israel lebende und mit der jüdischen Tradition verbundene Journalistin/Künstlerin dividiert die Rollen in den Lyrics auseinander (lokale Bevölkerung und Staat Israel), verteilt sie auf die Szene über die sie ein Buch geschrieben hat, aber behält die Gesten und den Sex Appeal des Originalvideos. Die erste Person Singular differenziert sich in erste Person Plural und zweite Person Plural aus. “THEY came in like a wrecking ball.” Nicht ICH bin (bei mir) eingebrochen. IHR (Ariel Sharon & Co.) habt UNS fortgeschafft und unser zu Hause zerstört. Und ihr müsst zugeben: Es hat keine der ‘beiden Seiten’ weitergebracht. Aus einem Interview: “While billed as an act of peace, the operation has caused untold devastation to both Jews and Arabs alike. Ultimately, it was a strategic retreat, an act of appeasement of Palestinian terror and an act of aggression against innocent Jews.”

Ruin1

Ruin2

Ruin3

 

 

“Wer bin ich? Und wenn ja: wieviele?” heißt der Nebentitel dieses Blogs. Der kommt mir gerade recht. Orit Arfa klagt nicht die Araber an, sondern den Staat Israel. Sie verwandelt sich vor unseren Augen in eine andere, eine Araberin, wenn sie mit Kopftuch auf der Abrisskugel schaukelt. Mit der Frage der Ko-Existenz setzt sie sich schon eine Weile journalistisch auseinander. In einem ihrer Artikel im Jewish Journal kommt zunächst eine jüdische Schülerin einer zweisprachigen Schule in Jerusalem zu Wort, und dann der Arabische Co-Direktor der Schule:

“I thought Areen was a Jew when we first met,” said Yael who has long, dirty-blond hair and a pink paper clip dangling from her earring. “After a few days, she told me she was an Arab, and after that it didn’t matter.”

Both are proud for breaking stereotypes of the “other”.

 

“It’s very important among us that we don’t have to agree,” he [Ala Khatib, the arab co-principal of the school] continued. “You can disagree, but the question is how to stay together even when the differences are very difficult and sensitive.”2

Orit Arfas Wrecking Ball Parodie – bis jetzt noch die fruchtbarste Neuerfindung des Wrecking Ball Videos.

One thought on “Genug zerstört: Kann Miley Cyrus Israel retten?

  1. Substantiell! Natürlich hat Andreas Kirchner recht: Nicht nur das Motiv der Birne/Kugel ist aufgegriffen worden.

    Fürs Erste nur eine kleine Bemerkung. Die Inszenierung beginnt damit, dass eine Metapher gezielt verschoben wird. Miley Cyrus ist nicht die Abrissbirne, ganz im Gegenteil. Sie sitzt auf einer Abrissbirne. Man hätte sie ja auch als den kugelförmigen Bulldozer darstellen können, als den sie sich selbst bezeichnet.

    Das hätte keine Tränen und keine Empörung gegeben. Solche Geräte sind auch nicht lasziv.

Leave a Reply to zubin Cancel reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.