Philosophie und Journalismus haben dies gemeinsam: Sie gleichen den Mangel an Detailwissen gerne mit kategorischen Behauptungen aus. Aber sie können auch anders. Isolde Charim nimmt im Standard das Projekt Mariahilferstraße zum Anlass einer philosophischen Skizze. Ihre Überlegungen kurz gefasst: Deregulierung schafft Ordnung.
Der Text ist eng geführt und gut argumentiert. Im Fall der “Begegnungszone” führt der Verzicht auf Verkehrsvorschriften dazu, dass sich das Verhalten der Verkehrsteilnehmerinnen ohne Staatsmacht aufeinander einpendelt. Ein interessanter Aspekt, der zusammenfassend ohne Wenn und Aber formuliert wird:
Das ist die “unsichtbare Hand” der Begegnungszone, die die Egoismen der Einzelnen zu einem großen, funktionierenden Ganzen verbindet. Ganz ohne Moral. Die Selbsterhaltung widerlegt Hobbes: Jenseits der alles regulierenden Autorität liegt nicht das Chaos, sondern der “shared space”.
Auf dem Papier fein geschliffene Pointen sind lustvoll. In diesem Fall vergeht der Spaß allerdings, sobald man näher hinsieht. Nach Isolde Charims These könnte man auch die freie Wahl des Sitzplatzes im Kino als eine Errungenschaft der unsichtbaren Hand herausstellen. Es braucht keine Nummern, die Besucherinnen wählen ihre Plätze selbst. — Vorausgesetzt am Eingang steht eine Ordnungshüterin, die nur bestimmte Personen einläßt.
Kann es der Kolumnistin entgangen sein, dass rechts und links von der Mariahilferstraße eine “alles regulierende Autorität” eingegriffen hat, ohne welche sich der Freiraum nicht ergäbe?
Es ist auch keine unsichtbare Hand, welche die Idylle des autofreien grünen Paradieses gezeichnet hat, die entsteht, wenn der Busverkehr umgeleitet wird. Von diesen Un-Orten fertigte das städtische Planungsbüro keine schönen Bilder an.
Philosophie und guter Journalismus sind darin vergleichbar: Sie behalten im Blick, was die Autoritäten vertuschen.