“Hier ist all mein Erdenleid”

Im Radio Orange, Wien, lief am 25.12. 2019 in der Sendereihe “Philosophische Brocken” ein Gespräch unter Philosophinnen: “Maria, Hilfe”. Es ist in der “Philosophischen Audiothek” archiviert. Diskutiert wurden vor allem theologische und feministische Fragen. Wie sind aus heutiger Sicht die einschlägigen Bibelstellen zu verstehen? Was bedeutete die an sie anknüpfende Geschichte für das christliche Frauenbild?

Zwei Themen wurden nur am Rand gestreift. Die Romantik des Marienkults und die Trauer, welche die leidende Madonna umgibt. Der folgende kurze Bildessay deutet in diese Richtung, ohne Kitschgefahr oder Todeserfahrung eigens zu verfolgen.

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Ein Interview, körpernah

Interviews sind Schnittstellen, unter anderem zwischen Reportern und politischen Funktionären. Zum Beispiel zwischen dem Falter-Team Sibylle Hamann plus Florian Klenk und dem Bildungsminister Heinz Faßmann((Siehe hier)). Zahlreiche derartige Interviews gleichen Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Ringkämpfen. Das trifft in diesem Fall nicht zu. Die Beteiligten respektieren ihr jeweiliges Gegenüber und räumen einander Chancen ein. Darum ist am Beispiel gut zu sehen, wo die Möglichkeiten und die Grenzen dieser Redeform liegen. Und es ist zu beobachten, dass in ihrem Rahmen die (umstrittene) Integrität des politischen Funktionärs nicht verlorengeht((Die “unabhängige Bildungsgewerkschaft” sieht das anders.))

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Sicut erat in principio

Der vorherige Beitrag von Andreas Kirchner behandelt die Rolle von Philosophen in mittelfristiger Zukunft. Im vorliegenden Text geht es philosophisch um die Rolle der Vorzukunft. Zwei Orientierungsversuche.

Werbung ist heute, Lobpreis war gestern. Wenn man von Peter Handke absieht, ist das Wort praktisch aus unserem Wortschatz verschwunden. Im religiösen Leben spielt es noch eine gewisse Rolle. Dort nennen die Fachleute “Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geiste” eine doxologische Formel, vom Griechischen “doxa” für Ehre. Es gibt nach wie vor Ehrungen, Ehrenmitgliedschaften und verehrte Festgäste, doch die verehrungsvolle Anrufung der Dreifaltigkeit gehört nicht zum Repertoire der Konsumgesellschaft.

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Ein Kuchenstück macht Furore

Sie kauft ein Stück vom Waldviertler Guglhupf, ein Riesenstück. Es würde reichen für drei, denke ich. Sie wirkt gar nicht so hungrig, so als würde sie das Stück gar nicht für sich kaufen. Sie ist wahrscheinlich Mitglied des Pfarrgemeinderates, denke ich.

Die Verkäuferin wird plötzlich unruhig. “Jetzt geh’ raus. Verschwind! Du hast schon bekommen” faucht sie über den Tresen mit den vielen Kuchen. Aber er geht nicht weg – ein hochgeschossener, schwarzhaariger Noch-nicht-Mann, der mit einem leisen Lächeln den leer gegessenen Plastikteller über den Tresen zu reichen versucht. Provokant.

Es ist plötzlich ganz still, und die Pfarrgemeinderätin sagt laut: “Geben Sie ihm. Ich zahle, was er will.” Der Verkäuferin ist es peinlich. “Nein, das geht nicht!”. Das will Chefin nicht. Wir sollen geben, sagt Chefin. Aber nur einmal.” Sie nimmt den Plastikteller, legt ohne Nachfrage an den Hungrigen ein Stück Kuchen drauf, reicht den Teller schweigend zurück.

Die Pfarrgemeinderätin will zahlen, da mischt sich ein älterer Mann aus der Warteschlange ein: “Sie lügen alle. Alle lügen sie.” Wie kommt er auf Lüge, denke ich. “Das können wir uns noch leisten”, sagt die Pfarrgemeinderätin, “Hunger braucht hier niemand zu haben.” “Aber sie lügen ja nur.” Die Verkäuferin reicht das Geld, das sie für das Extrakuchenstück bekommen hat, zurück. “Das will Chefin nicht. Chefin ist sozial.” Ich komme dran, verlange meinen Lieblingskuchen und dass ich den zusätzlichen Kuchen bezahlen darf.

Doch die Verkäuferin bleibt dabei: “Ich bin selber Ausländerin. Ich sage meinen Kindern: Ihr müsst wissen, wie ihr euch benehmt. Der hat kein Benehmen. Wissen Sie, das ist Bettelmafia. Die sollen aufhören. Schau’n Sie draußen den Schwarzen, der Augustin verkauft. Der ist höflich. Der weiß, wie man sich benimmt.”

Kira Euklid

 

 

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“What that hair look like?”

 
Andreas Kirchner’s post raises a number of important questions. I shall, in this first reply, only touch on his initial comments on Mona Haydar and her account of wearing the hijab as a spiritual practice. This issue can itself be divided into several sub-topics. It is (1) a matter of personal concern, prompting Mona Haydar to write and perform (2) a highly successful rap song. Both of these aspects will be bracketed in my response, which approaches the phenomenon from a philosophicl angle. Haydar’s account touches some vital metaphysical issues deserving careful scrutiny.

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Wutbürger gegen Weltbürger

Es ist schon lange her, seit mich Beschimpfungen und üble Nachrede in Internetforen geärgert haben. Die in letzter Zeit häufiger werdenden Klagen über Hasspostings nahm ich als Nebenerscheinung des allgemeinen Niedergangs des Social Webs. Das hat sich gestern schlagartig geändert.

In Sachsen, ein Wochenendbesuch, kam die Rede auf eine Veranstaltung am 8.März in Dresden. Durs Grünbein und Uwe Tellkamp diskutierten über Meinungsfreiheit. Der Anlass war eine Konfliksituation anlässlich der Frankfurter Buchmesse, die sich in Leipzig wiederholt hatte. Durs Grünbein sprach davon, dass die Menschen in einer Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland mitgestalten und ihre Machtlosigkeit nicht beklagen müssen. Uwe Tellkamp dagegen beklagte sich vehement über das Meinungsdiktat der antifaschistisch-grün-linksliberalen Presse. Und über Merkel und Migranten.

Eine Gesprächspartnerin im kleinen Kreis war ganz auf der Seite Tellkamps. Er sage es, wie es ist: Grünbein sei abgehoben, vage und konfus. Die Dresdner Diskussion ist auf Youtube zu haben. Dort erlebt man ein blaues Wunder. Nicht wegen der Videoaufnahme selbst, obwohl die ziemlich heftig ist, sondern wegen der Kommentare, Sie sprechen für sich. Oder sollte man sagen, dass sie für sich selbst kläffen?

Drei Könige im Stimmbruch (1)

 

Ein Beitrag in drei Abschnitten:

 

Stilwechsel

Der Umbau der Bankfiliale dauerte beinahe zwei Jahre, mit eindrucksvollem Ergebnis. Keine Schalter zum Anstellen mehr; kein optisch abgetrennter Servicebereich; Laptops statt Stand-PCs für Bankangestellte. Eine frei im Raum positionierte Begegnungstheke, an der die Mitarbeiterinnen sich formlos um die Kundinnen kümmern, gleichzeitig eine Batterie von Selbstbedienungsgeräten im Seitentrakt. Ein grüner Wall und großformatige digitale Schautafeln als Wanddekoration.[1. Siehe die Strategie dahinter.] Der Zweck ist gleich geblieben, die Mittel wurden gründlich revidiert. Ähnlich bei Supermärkten und in Apotheken. Aber was ist, wenn sich das Sternsingen neu darstellt?

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Drei Könige im Stimmbruch (2)

 

Ein Beitrag in drei Abschnitten:

 

Zwischenstufen

Banken und Sternsingen kann man eigentlich nicht vergleichen. Große Konzerne planen die Reorganisation ihrer Serviceleistungen generalstabsmäßig; ein alter Brauch wie das Dreikönigssingen wird dezentral, in vielfachen Abwandlungen, praktiziert. Der Vergleichspunkt ist auf ein Thema eingeschränkt: die kreative Störung herkömmlicher Verhaltensmuster durch Design im Zeitgeist. Was ändert der Sternsingerrap an den Auftritten, die wir kennen? Ein Video wird die jährlichen Rundgänge nicht revolutionieren, aber es schafft einen neuen Vergleichsmaßstab. Es öffnet eine Schere zwischen mitgefilmten Auftritten realer Sternsingergruppen und der kunstvollen Projektion ihrer Formen und Ideen in die Welt der Video-Promotion.

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Drei Könige im Stimmbruch (3)

 

Ein Beitrag in drei Abschnitten:

 

Rap ist extrovertiert, das macht einen Hauptunterschied zwischen der Ästhetik der Krippenspiele und der pointierten Inszenierung des Neuen aus. So gesehen ist es Geschmackssache, ob jemand auf (oftmals verlegene) Besinnlichkeit oder kecke Aufmüpfigkeit anspricht. Eine Bereicherung des Formeninventars sind die Rapversionen allemal. Es kommt “Schwung in die Sache”. Das führt zurück zum Thema Modernisierung. Wer zahlt drauf beim Schwung? Ein Bedenken gegen die neuen Töne verweist auf die Beschaffenheit religiöser Erfahrung.

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es wird schon werden

 

Maria Kakogianni spricht Alain Badiou auf eine Besonderheit von Dialogen an[1. Alain Badiou, Maria Kakogianni ENTRETIEN PLATONICIEN]. Ihr Gelingen merkt man erst nach einem Zeitabstand – insofern unterscheiden sie sich von spontaner Übereinstimmung.

A. Badiou stimmt zu und bezieht es auf Platons Dialoge. Sie zielen auf universale Gültigkeit und können nicht im Voraus angeben, auf welchen Wegen sie das Ziel erreichen.

Le dialogue est une opération temporelle, et c’est en ce sens que Platon, via Socrate, parle des ‘longs détours’. Car le mouvement de construction d’un point à valeur universelle ne peut savoir d’avance par quels chemins particuliers il faudra passer. [2. Alle Zitate a.a.O., S. 60ff]

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