Der vorherige Beitrag von Andreas Kirchner behandelt die Rolle von Philosophen in mittelfristiger Zukunft. Im vorliegenden Text geht es philosophisch um die Rolle der Vorzukunft. Zwei Orientierungsversuche.
Werbung ist heute, Lobpreis war gestern. Wenn man von Peter Handke absieht, ist das Wort praktisch aus unserem Wortschatz verschwunden. Im religiösen Leben spielt es noch eine gewisse Rolle. Dort nennen die Fachleute “Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem heiligen Geiste” eine doxologische Formel, vom Griechischen “doxa” für Ehre. Es gibt nach wie vor Ehrungen, Ehrenmitgliedschaften und verehrte Festgäste, doch die verehrungsvolle Anrufung der Dreifaltigkeit gehört nicht zum Repertoire der Konsumgesellschaft.
Ich bin auf das verlorene Wort bei Überlegungen zur Vorzukunft gestoßen. Alain Badiou hat diesen Zeitmodus zur Charakterisierung seines “Ereignisses” herangezogen. Einschneidende Weltveränderungen sind nicht gleich, beim ersten Auftreten, erkennbar. Sie lassen sich benennen, aber zum gefestigten Glauben an ihre Wirksamkeit bedarf es der Überzeugung, dass ihr Versprechen eingelöst sein wird((“Weil das Ereignis keine dauerhafte, wahrnehmbare und objektive Spur hinterlässt, also nicht im herkömmlichen Sinn als Vergangenheit erinnert werden kann, ist die spezifische Zeitlichkeit des Ereignisses notwendigerweise an die Zeitform des futur anterieur, der Vorzukunft, gebunden, die in der Treue des Ereigniszeugen ihren Niederschlag findet”. Peter Zeilinger, Badiou und Paulus. Das Ereignis als Norm?, in: IWK-Mitteilungen 61.3-4 (2006), 6-12)) Die Pointe dieser Konstruktion besteht darin, dass die Sprecherin in eine Zukunft vorausblickt, die ihrerseits den Charakter der Vergangenheit besitzt. Sie antizipiert ein Ergebnis, das sich zur Zeit der betreffenden Aussage erst in Entwicklung befindet.
Das ist eine Rundreise innerhalb der Zeit. Von der Vergangenheit kommt die Faktizität, von der Zukunft das Erfolgsrisiko und die Gegenwart koordiniert beide zu einem temporalen Gesamtprogramm. Die Ausdrucksweise erinnert — hier kommt Religion ins Spiel — an die Formel, die dem zitierten Lobpreis (einer Doxologie) in christlichen Liturgien gewöhnlich folgt:
Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit, und in Ewigkeit. Amen.
Hier scheint es sich um ein besonders umfassendes Beispiel des Rundumprogramms zu handeln. Was kommen wird, ist schon zu Beginn vorgelegen, darum ist es auch jetzt in Kraft und wird sich niemals ändern. Eine wahrlich abenteuerliche Aussicht. Aber der Eindruck der Rundreise täuscht. Zwischen der liturgischen Ehrerbietung und der philosophischen Wendung besteht, wenn man genau hinsieht, ein wichtiger Unterschied. Um ihn zu sehen, muss man beim Griechischen beginnen, in dem die Bekräftigungsformel ursprünglich formuliert war. Die Grammatik der Ausgangssprache widerspricht der Tendenz, den die lateinische, und in der Folge die weiteren Versionen des Satzes erwecken.
Hier die griechische Formulierung:
Δόξα Πατρὶ καὶ Υἱῷ καὶ Ἁγίῳ Πνεύματι
καὶ νῦν καὶ ἀεὶ καὶ εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.
Ἀμήν.
und die lateinische Übersetzung:
Gloria Patri, et Filio, et Spiritui Sancto.
Sicut erat in principio, et nunc, et semper, et in sæcula sæculorum. Amen.
Aus “jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit” ist “Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit, und in Ewigkeit” geworden. Textkritische Untersuchungen legen nahe, dass sich die Hinzufügung des Anfangs auf die erste Zeile des Johannesevangeliums bezieht: “Im Anfang war das Wort”. Heute wird der Satz als Ehrerbietung an die Dreifaltigkeit verstanden, doch ursprünglich dürfte erat (er/sie/es war) sich auf Gott Sohn bezogen haben, als Stellungnahme gegen den heterodoxen Arianismus, der die volle Gottheit Jesu Christi leugnete. Die Details bilden ein philologisches Puzzle((Sancta Missa: Doxology)), das Ergebnis enthält darüber hinaus einen bemerkenswerten philosophiehistorischen Aspekt.
Der griechischen und der lateinischen Fassung liegt ein unterschiedliches Zeitverständnis zu Grunde. In der ursprünglichen Version heißt es, wörtlich übersetzt:
und jetzt und immer und in Ewigkeit
Die Gegenwart der Anrufung weitet sich auf alle Zeiten aus. Die Glorie im Augenblick erfüllt in zweimaliger Verstärkung den gesamten Kosmos. Es ist jedoch bekannt, dass die Zeit im griechischen Denken nicht nach modernen Mustern vorgestellt wurde((Jerome Moran: Tense, Time, Aspect and the Ancient Greek Verb)). Ihr Modell war nicht “der Pfeil der Zeit”, dem entlang sie sich linear entfaltet. Schon der hebräisch gedachte Beginn des Johannesevangeliums deutet in eine andere Richtung. Und im Lateinischen Spruch ist der sukzessive temporalen Ablauf manifest: Anfang – Gegenwart – Allezeit. Dieser Kette lässt sich leicht ein Glied hinzufügen: Anfang – Gegenwart – Zukunft – Allezeit. Und damit ist der Rahmen eines Rundumschlags vorgezeichnet, in dem Vergangenheit in die Zukunft importiert wird. Ehre sei Gott, wie es (schon immer) immer gewesen sein wird.
Zwei Schlussfolgerungen legen sich nahe. Erstens ist die christliche Lobpreisung ein eigentümliches Konglomerat aus drei verschiedenen Kulturkreisen. Ihr Gebrauch hat sich durch die Jahrhunderte zu einer Kundgebung des Glaubens verdichtet und verkürzt. Die Vorzukunft spielt dabei nur eine Nebenrolle. Anders bei Alain Badiou. Sein “Ereignis” trägt Züge einer Offenbarung, welche die Welt verändert. Aber es lässt sich nicht verherrlichen. Sein Erscheinen ist in eine prekäre Vorzukunft gefasst.(( Vgl. es wird schon werden))Davon ein andermal.
Wenn man der letzten Selbst-Kritik von Alain Badiou, in einer Konferenz diesen Jahres in Prag, Aufmerksamkeit schenkt, ist die Konstruktion, ausgehend vom fragilen Ereignis, so gefasst, dass sie nur negativ universal ist, d.h. man kann nichts finden, was sie partikular macht: “Du musst sie, wenn der Momemt kommt, nur so bauen, dass sie nicht verpufft, wenn sich die Situation ändert, und zwar indem du nicht explizit auf Elemente der Situation baust, sondern manches offen (anonym) lässt.”
Dann kann man sagen, dass das Ereignis durch ihre generische Folge-Kreation, schon immer gewesen sein wird. Beschreibt man es so, kommt man höchstens zu einer generischen Universalität, die aber nicht notwendigerweise Strahlkraft hat. Die Strahlkraft kommt ihr nur indirekt zu, wird ihr durch den Glauben hinzugefügt. Warum sollte man aber glauben, gibt es dafür Kriterien? Hier verspricht Badiou, mit Bezug auf die mathematische Spezialforschung an der Unendlichkeit, Besserung: ein Konzept von Absolutheit, ohne Gott. Immanent, unendlich, und absolut? Und ehrenwert? Man ist gespannt.
“For me, a generic set is the support of a universal truth. The possible ontological support of a universal truth. Why universal? For negative reason: A generic set cannot be defined by properties which are known in the situation. And so a generic set can be sufficiently anonymous to exist in another world or in another context. Exactly like a universal truth can be recognized as such in very different civilization, moment of history and so on. It is always because there is something generic in their constitution and not something that can be reduced to the properties disposable to the context of their existence.
During a long time I was thinking that my work was finished. I had a complete concept of universality as a singular creation: A generic set which is produced by some means in the form of an object in the concrete world. But today (and by today I speak of the 10 last years) I was sure that it was not completely convincing. Genericity is a negative definition of a universality. It is not a positive proof of universality. Maybe in some world the genericity is not a proof by itself of universality. It was in my sense a true empirical definition of universality: The possiblity of resurrection in another world. But the possibility of resurrection in another world cannot say that absolutely in general this resurrection is possible. ….The universality can be an affirmative proposition and not only a negative one. If it is only negative , I am not convinced. I have been convinced during many years, but I am not convinced today. And so it was a necessity to write a third book, which is finished practically today. And the goal of this third book is to define absoluteness. Absoluteness as an immanent guarantee of universality. And Absoluteness which can be created in the world, and not absoluteness as god or something external or transcendent. This is why the title of the book is: “Immanency of truth”, but it also says something like Immanency of Absoluteness, and not immanency as a singularity of a generic set. And so the third book is a construction of a completely new, I think, absoluteness.
We were in the first book in the theory of sets for mathematical reference, in the second in the spacial theory of category, and in the third we are in the theory of infinite, and really the modern theory of infinite (of the last 40 years or something like that).
I return to the round… I return to mathematics, and will return to theory of sets in some sense, but to a part of theory of sets which is absolutely singular and very specialized, and which is the work of small group of mathematicians.”
– https://www.youtube.com/watch?v=iWws287P1OU