Ein Interview, körpernah

Interviews sind Schnittstellen, unter anderem zwischen Reportern und politischen Funktionären. Zum Beispiel zwischen dem Falter-Team Sibylle Hamann plus Florian Klenk und dem Bildungsminister Heinz Faßmann((Siehe hier)). Zahlreiche derartige Interviews gleichen Wohltätigkeitsveranstaltungen oder Ringkämpfen. Das trifft in diesem Fall nicht zu. Die Beteiligten respektieren ihr jeweiliges Gegenüber und räumen einander Chancen ein. Darum ist am Beispiel gut zu sehen, wo die Möglichkeiten und die Grenzen dieser Redeform liegen. Und es ist zu beobachten, dass in ihrem Rahmen die (umstrittene) Integrität des politischen Funktionärs nicht verlorengeht((Die “unabhängige Bildungsgewerkschaft” sieht das anders.))

Die Ziele der beiden Seiten, die ein solches Gespräch führen, überkreuzen sich. Der Politiker will als Person wahrgenommen werden, die eine Aufgabe erfüllt; die Journalistinnen ansatzweise als Politikerinnen. Als Vertreterinnen jener Medien, die ein moderner Staat nötig hat. Beide Zielrichtungen sind im Interview zu verfolgen. Faßmann spielt diskret mit dem Umstand, dass ihm die Karriere nicht in den Schoß gefallen ist. Es war, fragt der FALTER, nicht selbstverständlich, dass er aufs Gymnasium geht?

Nein, vom Elternhaus her nicht.

Um eine Künette auszuheben, wären die körperlichen Hebel zu ungünstig.

Umgekehrt sind die Journalistinnen professionell vorbereitet und finden sich mit hinhaltenden Antworten zur Gesamtschule nicht ab.

Warum nicht gleich in einem gemeinsamen Schulgebäude?

Halten Sie die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen also für sinnvoll oder nicht?

Faßmann “entzieht sich der Frage”. Zu Beginn des Interviews hat er ein privates Profil aufgebaut, in der politischen Frage überlässt er den Kontrahenten das Feld.

“Der Mensch im Politker” und “Die politische Verantwortung der Medien” sind gut aufeinander eingestellt. Das Gespräch reißt keine Fronten auf. Dennoch macht sich, bei aller Freundlichkeit, hinter dem Rücken der Beteiligten auch eine Gegentendenz bemerkbar. Sie untergräbt den Zug zur Volksnähe und überhitzt den Anspruch des politisierenden Journalismus. Faßmann bringt seine Schwester, anfangs eine Hauptschülerin, als Beispiel dafür, “wie durchlässig das System ist”. Ein Besuch in der Neuen Mittelschule Koppstraße dient als Beleg für die Erfolgsaussichten dieses Schultyps. Der rasante Wechsel vom Einzelnen zum Allgemeinen ist eine Überrumpelung. Sie geht allerdings nur teilweise auf Faßmanns Konto, sondern ergibt sich aus der Konstruktion solcher Interviews. Mit einer Geste vermenschlichen sie das Abstrakte, in einer gegenläufigen Bewegung reißen sie einen Graben zwischen Einzelfällen und dem sozialen Ganzen auf.

Der journalistischen Höflichkeit ergeht es nicht besser. Nachdem das Interviewteam seine sozialpolitischen Positionen markiert hat, wird es persönlich.

Sie sind jetzt ein Jahr lang Minister. Womit sind Sie unzufrieden?

Zucken Sie manchmal zusammen …?

Wieso erwidern Sie nichts?

Mit der Brechstange wird versucht, dem Vertreter der unerwünschten Regierung persönliche Bekenntnisse zu entlocken. Auch mich würde interessieren, wie er es mit den dubiosen Arbeitskollegen aushält, aber das ist ein Thema für Klatschspalten. Analytischer ausgedrückt: die Sphären der Staatspolitik, der Ethik und der Demagogie sind, bei allen Interferenzen, dennoch funktional zu trennen. Dagegen steht freilich die verkreuzte Interessenskonstellation des Interviews. Gerade mit dem Überlappen von Persönlichkeit und Funktionär ist auch das aussichtslose Unterfangen verbunden, politische Sacharbeit an individuellen Gefühlen zu messen.

Dem Dilemma ist auf zwei Falterseiten nicht zu entkommen. Es spricht für die Qualität des Interviews, dass es – unter diesen Rahmenbedingungen – einen ansehnlichen sachpolitischen Kern enthält. Teils informativ, teils kontrovers. Es beleuchtet die Notwendigkeit, sich ein präzises Bild von den Schwachstellen des Bildungssystems und seiner Finanzierung zu machen und dabei auf die Kooperation zwischen Bund und Ländern zu setzen. Konfliktpunkte zwischen Wien und Türkis-Blau werden nicht verschwiegen.

Ich habe nie ein Wien-Bashing betrieben.

Das Bashing empfinde ich aber oft auch umgekehrt.

Ich habe das bei den Deutschförderklassen bemerkt, wo man mein Projekt heftig bekämpft hat, obwohl es manche Lehrer dringend wollten.

Das Interview endet, trotz des angesprochenen Dilemmas, mit einem Glanzlicht. Am Anfang: ungeeignet zum Bauarbeiter wegen mangelnder körperlicher Hebelwirkung. Der FALTER (ein Schmetterling) fordert diese Wirkung dennoch, wenn auch metaphorisch, ein.

Wo endet die noble Zurückhaltung und wo muss man hineingrätschen?

Der Minister nimmt die Metapher auf und dreht sie in seinem Sinn.

Ich fürchte fast, dass ich mir beim Hineingrätschen einen Meniskusschaden holen würde.

Das ist nicht bloß eine schlagfertige Replik auf die Anstiftung zur inner-koalitionären Ruhestörung. Die Wendung zieht den Spielraum, den solche Interviews eröffnen, auf einen Schmerzpunkt zusammen. Metaphorische Grätschen ((Eine Zwischenüberschrift zu Petra Stuibers Kommentar im STANDARD lautet: “‘Híneingrätschen’ wäre Pflicht” )) werden anschaulich am Körperbau einer Person. Deren individuelles Knie ist es aber auch, das zu Schaden kommt, wenn sie der Suggestion der Metapher folgt.

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