In einem Blog über Computersicherheit finden sich eine Erzählung über die Entwicklung von Schadsoftware und die Überlegung, dass die Erstellung von Computerviren heute keine Kunst mehr ist:
Computerviren in den 90ern wurden von Hand gemacht, teilweise mit Witz in der Erscheinung und mit Einfallsreichtum beim Verstecken vor Antivirensoftware. Heute läuft die Entwicklung von Computerviren weitgehend industrialisiert ab. Sie werden zum Beispiel mit wenigen Clicks durch Viren- und Exploitgeneratoren massenweise produziert. Weiters haben sie nicht den Zweck, die KollegInnen aus der Szene zu beeindrucken oder sich grinsend vorzustellen, wie die Mitarbeiter von Antivirensoftware sich die Nächte um die Ohren schlagen, um den Virus unschädlich zu machen. Es geht nun primär um Zugriff von und Handlen mit sensitiven Daten – oder die Eingliederung von Computern in Botnetzen; viel pragmatischer also.
Den Blog-Autor und Security-Experten Graham Cluley irritieren und amüsieren – diese Erzählung im Hintergrund – die Werke und die Selbstdarstellung der neuen Bilder-Kollektion des Künstlers Bratsa Bonifacho:
Das Bild ist inspiriert von Malware, so Bonifacho. Cluley dazu:
A layman like me wouldn’t have understood that Bonifacho “communicates and expresses essentially non-verbal thoughts and emotions abstractly, within the discipline of formalism – through colour and shape, gesture and surface..” unless I had visited his website.
Ein Security-Experte wie Cluley, der sich vermutlich die Nächte um die Ohren geschlagen hat mit Computerviren, findet sich bei diesem Kunstwerk auf demselben Level wie andere Laien.
Es scheint hier zwei Arten von Kunst zu geben:
(1) Die Kunst als Fähigkeit, Malware auf eine elegante Art zu erstellen. Das Ergebnis ist ein Kunstwerk, das funktionieren muss, sich unentdeckt verbreiten kann, in ihrer Erscheinung und/oder in ihrem Aufbau beeindruckend ist. Die Meisterwerke sind keine Theorien über Schadsoftware, sondern konkrete Programme oder Programmfetzen, die etwa in einer Standard Windows-Konfiguration wirksam werden und gewünschte (bzw. unerwünschte) Effekte hervorrufen.
(2) Davon zu unterscheiden ist Kunst, die sich die Effekte von Malware – Zerstörung, Penetranz, Manipulation, Transparenz, usw. – als Quelle der Inspiration hernimmt. Das Ergebnis ist ein ausstellbares, posierendes Kunstwerk, das gut in die Kunst-Szene passt. Der Künstler gibt der Sache einen schönen Titel mit Anspielung auf spezielle Computerviren und eine schöne Interpretation. Leute aus der Malware-Szene haben keinen privilegierten Zugang zum Verständnis dieses Werks.
Im ersten Fall freut/ärgert man sich über die geniale und einfallsreiche Verwendung von Programmiertätigkeit, also Handwerkskunst. Der funktionale Zusammenhang des Betriebssystems wird gestört – obwohl (ja weil) Malware sich direkt einschaltet. Doch das Zielpublikum ist die Szene der (Anti)-Malware-ErzeugerInnen, nicht ein allgemeines Publikum, das durchs Betrachten entzückt, irritiert, gelangweilt, verärgert, etc. wird, wie im zweiten Fall. Oder um es genauer zu sagen: Diejenigen User die sich den Virus einfangen sind üblicherweise nicht diejenigen, denen die Malware ästhetisches Vergnügen bereitet. Die Sache verhält sich eher wie zwischen Hannibal Lecter und der Agentin Clarice Starling: die Spannung baut sich nur über Opfer auf. Oder allgemeiner, immerhin geht es nicht um Mord: die Malware-Künstlerin instrumentalisiert Computersysteme. Auf diese Weise erfolgreich instrumentalisierte Systeme dienen dazu, (Anti)-Malware-ErzeugerInnen zu beindrucken. Das ‘Opfer’ bleibt zwar wo es ist (das Betriebssystem wird zumeist nicht zerstört), doch dessen Funktionen werden manipuliert, etwa um weitere Systeme zu instrumentalisieren.
Im Fall von Bonifacho ist Malware das Medium um “non-verbal thoughts and emotions” auszudrücken. Genauer: Bonifacho verwendet nicht die Produkte selbst, sondern nimmt einige Aspekte zum Anlass für Bilder. Auch hier eine Instrumentalisierung, doch sie ist selbst nicht mehr Software. Bonifacho instrumentalisiert einen ganzen Bereich von durch (Kunst)fertigkeiten entstandenen Produkten; doch zu einer Zeit der Massenproduktion von Malware, wo Botnetze für Spam-Aufträge vermietet werden (für eine systematischere Behandlung von Malware siehe etwa ein Paper von Manuel Egele, TU Wien) und der Spaß nicht mehr die dominierende Motivation einnimmt.
Nun könnten Programmierer oder Malware-Erstellerinnen geneigt sein zu sagen, dass sie die zweite Art von Kunst für unsinnig, unproduktiv, langweilig oder schöngeistig halten. Sie finden das, was die Programmiertätigkeit ausmacht, nicht auf dieselbe Weise wieder, wie sie das durch ihr Training gewohnt sind. Sie – die Expertinnen – müssen sich plötzlich etwas sagen lassen über Malware. Doch dann lesen sie das auf Bonifachos Homepage:
“Because my work is couched in formal terms, it may concomitantly stand or fall under formal critical scrutiny. Its critical mass, however, the flares and phantoms of my internal sensibilities, are unassailable. These emotions are the glue in the interstices that hold together the elements of form.”
“Es geht um nichts”, werden sie denken, “nicht für uns”, und sich beruhigt zurücklehnen, sich anderen Dingen zuwenden oder es wie Cluley mit Humor nehmen: “Golly. What a chance I missed entering the field of computer security rather than art criticism.”
Gestern habe ich eine Einleitung zu Derek Jarmans Film “Wittgenstein” gegeben. In diesem Zusammenhang entsteht witzigerweise dieselbe Art von Problem und zwar zwischen Philosophie und Filmemachen.
Entweder jemand treibt so Philosophie, dass es “schön” ist und die Kolleginnen ästhetisch anspricht. Wittgenstein ist ein gutes Beispiel. Oder jemand läßt sich davon zu einem “Kunstwerk” inspirieren. Also zum Beispiel zu einem Film, der als Material u.a. Wittgensteins Gedanken hat.
“Das Ergebnis ist ein ausstellbares, posierendes Kunstwerk, das gut in die Kunst-Szene passt.” (Andreas Kirchner)
Bei Jarman kann man sehen, worin die Chancen und Risken dieser Vorgangsweise bestehen. Er findet Bilder und Situationen, in denen Philosopheme ein neues Leben gewinnen. Etwa Wittgenstein als Knabe, der mit einer übergroßen blauen Fahne vorbeiparadiert. Sie trägt die Aufschrift “Die Welt ist alles, was der Fall ist.” Umgekehrt ist der Film aber auch voll von öden Rezitationen berühmter Originalzitate mit dem Anschein innerer Beteiligung.
Das ist, als ob der Sourcecode eines wirklich effektives Virus in einem gemalten Bild besonders abgefeiert wird.