Sprechen wir über Flüchtlingspolitik in den europäischen Ländern. Die lokalen Kräfte reden sich auf mangelnde europäische Einigung aus. Damit haben sie zwar Recht, dass man sich in der europäischen Union nicht auf ein solides Management der Verteilung von Flüchtlingen geeinigt hat. Doch an den einzelnen Orten ist Management sehr wohl möglich. Was passiert ist jedoch, dass die Lage eskaliert.
Es folgen ein paar Gedanken dazu anlässlich des Films “Wir sind jung. Wir sind stark”, der die Ausschreitungen im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen thematisiert.
Dazu kommen die gewalttätigen Proteste in den letzten Tagen in Flüchtlingsheimen in Sachsen. Zuletzt in Heidenau, in der ein Imagevideo “Mein Heidenau” – ein Exzess von Idealisierungen – mit der Realität von gewalttätigen Demonstranten vor der gerade eröffneten Notaufnahmestelle für Flüchtlinge konfrontiert wird:
Als Reaktion darauf hat man recht provokant die Tonspur des Imagevideos mit Videos von Lichtenhagen 1992 kurzgeschaltet.
Ein Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Das Heim ist stark überfüllt. Viele Einheimischen machen ihrem Unmut über die Verschlechterung ihrer eigenen Situation Luft. Ein Schuldiger ist gefunden. “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.”. Die zuständigen Politiker und führende Polizeikräfte verstecken sich großteils und fahren wie üblich übers Wochenende ins ehemalige Westdeutschland. Bis die Lage eskaliert. Steine werden geworfen. Das Leben der Flüchtlinge ist bedroht. Zunächst wird von Polizei und Politik entschieden, nicht großartig zu handeln. In Deutschland wird zu dieser Zeit eine Debatte über die Veränderung der Asylgesetze diskutiert. Weder Polizei noch Politiker wollen hier falsche Signale aussenden. Trotzdem wird später eines der beiden Sonnenblumenhäuser evakuiert. Jenes, das die Zentrale Annahmestelle für Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern beherbergte. Das zweite Haus – hauptächlich bewohnt von vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen (m/w) – wurde nicht evakuiert. Die Bewohnerinnen müssen, nachdem plötzlich die Polizei abzieht, der Willkür des aufgebrachten Mobs überlassen, die das Haus in Brand steckt, sich selbst retten. Die Feuerwehr erreicht wegen der vielen Schaulustigen und Gewalttätigen nicht die Brandstelle.
Der Journalist Jochen Schmidt, der selbst als Teil eines ZDF-Teams im Haus eingeschlossen war, vertritt 10 Jahre später in einem Buch die These, dass die Bewohner gezielt aufs Spiel gesetzt wurden, um ein politisches Ziel leichter erreichen zu können: die Verschärfung des Asylrechts und eine Beschränkung der Zuwanderer.
Die Rolle der Medien war ebenfalls problematisch. Im Vorfeld wurden in voller Länge rassistische Leserbriefe in den Lokalzeitungen veröffentlicht. Am Ort des Geschehens wurde eine Erwartungshaltung aufgebaut, die Jugendliche und Erwachsene eine Bühne für ihre Wut bot. Auch die bekannte Ablichtung des Baumaschinisten Harald Ewert ist eher fragwürdig.
Heute – 23 Jahre später – spielen Facebook und andere soziale Medien eine Rolle, die die Stimmung wiedergeben und auch verstärken. Was als Satire – und damit als gebilligte Meinung – zählt, und was als “Hassbotschaft” wird von Mitarbeitern des Unternehmens entschieden. Die Moderationsrolle wird nach globalen Richtlinien (“Gemeinschaftsstandards”) ausgeübt, so die Facebook-Sprecher. Das ist ein schwieriges Thema, doch manchmal sind die Postings so eindeutig, dass man sich über manche Entscheidung, das Posting nicht zu löschen, schon wundern muss.
Die stillschweigende Moderation von Facebook soll nicht das einzige Maß bleiben, das man an die Kommentare anlegt, es braucht lokale Korrekturen Einzelner. Manche “Freunde” und auch eine Freundin von mir teilten Links von Netzplanet, eine Website, die voll von fehlgeleiteten Artikeln ist. An dieser Stelle kann Facebook nichts tun, hier muss man selbst kommentieren und die Sachlage richtig stellen. Das Argument “Für uns wird nichts getan, aber alles für die Asylanten” habe ich dabei oft lesen müssen. Dass Leute Angst haben, wenn Fremde kommen, ist vor allem in ländlichen Gebieten verbreitet.
Als jemand, der einen fixen Job und Wohnung hat, und dessen Wohnort nicht auffallend viele Flüchtlinge beherbergt, habe ich es vergleichsweise einfach, Solidarität mit Flüchtlingen zu propagieren. Außerdem habe ich die nötige Medienkompetenz, um die Vertrauenswürdigkeit mancher Quellen anzuzweifeln und zusätzliche Informationen zu holen. Genau darum erlaube ich mir, freundlich aber bestimmt auf Fehlinformationen hinzuweisen. Manche waren froh über die Berichtigung, löschten den Beitrag und teilten eine Klarstellung, andere waren schwer zu überzeugen. Da steht dann Aussage gegen Aussage – und das Gefühl geht in eine bestimmte Richtung, die man nicht plötzlich korrigieren kann. Die Funktion des Teilens von Artikeln ist mehr eine Kundgebung über die eigene Meinung und Befindlichkeit als der Hinweis auf einen bereichernden Text.
Und während sich stellenweise an den sozialen Medien und konventionellen Medien eine Stimmung gegen Flüchtlinge breit macht, fliegen vor einigen Flüchtlingsheimen die Steine, etwa dieses Wochenende in Heidenau, vorher in anderen Orten in Sachsen.
Die Situation in Österreich in Traiskirchen ist ebenfalls bekannt. Sie liegt einerseits am Widerstand der Gemeinden, andererseits am Missstand im Management und der mangelnden Vorbereitung auf die absehbaren Wanderbewegungen.
Welche Strategien haben Akademikerinnen anzubieten, in der Frage der Flüchtlinge, welche in ganz Europa in den Schlagzeilen ist? “Die Zeit” bringt ein Drama mit den Philosophen Kant, Adorno, Derrida und (als Kontrast) Heidegger, eher ein intellektuelles Spiel mit Zitaten als eine konkrete Analyse der Lage.
Allgemeine Strukturen und viele kleine Zeichen schaffen ein Klima, das Zuwanderung eher als Belastung statt als normalen Teil von gesellschaftlichen Prozessen darstellt. Die Forscherin Hanne Margaret Birckenbach hat dazu im Jahr 2014 einen Vortrag gehalten.
Was könnte uns ein Syrer erzählen? Er könnte das, was wir für selbstverständlich nehmen, erschüttern durch die Gründe und Umstände seiner Flucht. Die Bloggerin Iwona Laub hat in ihrem Blog eine Geschichte eines Syrers veröffentlicht. Der Blog handelt üblicherweise über Lifestyle (Rezepte, Einrichtung, Kinderspielzeug, usw.). So wird “das Fremde” zu einer fremden Person, die langsam Konturen bekommt. Dem wird mancher entgegnen, dass man selbst genug Probleme hat – und wetteifern darüber, wem es schlechter geht. Den Flüchtlingen wird so viel Medien-Aufmerksamkeit und Zuwendung gewidmet – da wird mancher neidisch – oder hat Angst.
Eine Szene in dem Film “Wir sind jung. Wir sind stark” zeigt die jugendlichen Protagonisten auf dem Weg zum Sonnenblumenhaus, wo sie kräftig mitmischen, Molotov Cocktails werfen, in die Wohnung einer leer stehenden vietnamesischen Familie einbrechen und die Einrichtung zerstören. Die Szene also:
Zwei Verliebte, ein Schwenk auf einen Jugendlichen, der sich ärgert, weil er ein Hakenkreuz auf der Stirn hat (ein Streich seiner Kollegen als er in der Sonne schlief) und der Versuch einer der Jugendlichen, die anderen dazu zu bewegen “Deutschland, ein Volk stirbt aus” zu gröhlen. Stattdessen singen die anderen die Internationale. Es gibt mehere solche Szenen im Film, die zeigen sollen, dass die Jugendlichen aus Leichtsinn und Zerstörungswut mitmachen, und aus Mangel an Perspektive. Es gibt hier eine Zerrissenheit: Das Wissen, dass sie das, was sie sagen, gar nicht wirklich meinen – und die Tatsache, dass ihre Taten in eine gewalttätige Richtung tendieren.
Slavoj Zizek macht in “Ein Plädoyer für die Intoleranz” einen von Hegel vorgezeichneten dialektischen Move: Die abstrakte Allgemeinheit, die friedliche, ausgehandelte Ko-Existenz ist ein objektiver Exzess, ein hermetisch abgeriegeltes und ausgeklügeltes System von Political Correctness, das ein subjektives Ventil induziert, nämlich das willkürliche Ausleben von Launen:
“Die multikulturalistische Vision einer Einheit im Unterscheid, alle sind gleich, alle sind verschieden, lässt als einzige Art und Weise einen Unterschied zu markieren die proto-sublimatorische Geste der Erhöhung des kontingenten Anderen (sei es in puncto Rasse, Geschlecht oder Religion) in die absolute Anderheit eines unmöglichen Dings der Gestalt äußerster Bedrohung unserer Identität zu. Ein Ding, das vernichtet werden muss, wenn wir überleben wollen.”
“Die gängige aufgeklärte Formel “Sie tun es, weil sie nicht wissen was sie tun”. wird hier verkehrt. Der gewalttätige Skinhead weiß ganz genau was er tut, hört aber trotzdem nicht auf damit. Das symbolisch wirksame Wissen desintegriert einerseits in exzessive irrationale Gewalt und andererseits in eine impotente äußerliche Reflexion. In der Gestalt dieses zynisch impotenten, reflektierenden Skinheads, der mit einem ironischen Grinsen dem erstaunten Journalisten die Wurzeln seines unsinnig gewalttätigen Verhaltens darlegt, erhält der aufgeklärte und tolerante Multikulturalist, der verstehen will, seine eigene Botschaft in ihrer verkehrten aber wahren Form retour.”
“Entscheidend ist hier die Unterscheidung zwischen einer exzessiven, dysfunktionalen Gewalt und der obszönen Gewalt, die als impliziter Träger einer ideologischen allgemeinen Standardvorstellung dient.”