“I want to confess to you…”

Als erste Reaktion auf einen Podcast über Verzeihung veröffentliche ich einen kurzen Text, den ich vor 2 Jahren geschrieben habe. Er beschreibt ein wenig die widrige Situation, wenn Verzeihung ein Thema ist:


Mein Tag hat heute morgen damit begonnen, eine Episode meiner Arbeitskollegen über Geständnisse mitzuhören “I want to confess to you…”. Jemand hat den Punkt gemacht, dass man nach dem Geständnis fünf Ave Maria betet und dadurch seine Sünden losgesprochen werden. Das ist auf mein Interesse gestoßen, weil es nicht so einfach ist.


Meine erweiterte Version, die wie immer von den philosophischen Wegen und Sümpfen geprägt ist, lautet: Die Lossprechung kann man weder erwarten noch fordern. Sie ist eigentlich etwas Unmögliches, zumindest vom Standpunkt des Täters, der seine Schuld einsieht. Wenn sie kommt, kommt sie als Geschenk, deswegen ist sie so erlösend. Weil man sie nicht verdient hat. Man kommt bei allem Bedauern nicht an den Punkt an dem man für sich selbst sagen kann: Jetzt ist die Tat gesühnt. Man braucht jemand anderen dazu, eigentlich das Opfer. (Deswegen gibt es im Christentum die Erhöhung eines gekreuzigten Gottes, der stirbt und danach wieder aufersteht, um denen, die ihn gekreuzigt haben, zu vergeben, und so versuchsweise die Menschen vor den Flüchen von Schuld und unbegrenzter Gegengewalt zu retten; dass das nicht (mehr) so gut klappt, kann man beobachten). Doch das Opfer hat keine Möglichkeit, den Täter zu verstehen; keine Geschichte des Täters reicht dazu aus, auch nicht dass er “Feuer und Flamme” war.

Derrida schreibt dazu in etwa[1. Ermenegildo Bidese: Die unmögliche Vergebung und das unmögliche Ich: Derridas Subjektivitätstheorie aus dem Wesen der Vergebung. S. XI. Veröffentlicht in: Brixner Theologisches Jahrbuch / Annuario Teologico Bressanone. 1/2010, 23-34]:

Sollte die Bitte um Vergebung nicht mehr möglich sein, weil das Opfer sie nicht mehr entgegennehmen und gewähren oder nicht gewähren kann, oder sollte der Täter nicht da sein, weil unbekannt oder nur von einem Kollektiven vertreten, ist Gott der Name, der einzige Name, der an der Stelle einer Singularität stehen kann. Gott ist der Name der Möglichkeit für mich, ein Verborgenes, ein Geheimnis zu wahren, das im Inneren sichtbar ist, aber nicht im Äußeren. Sobald es diese Struktur eines Bewusstseins, eines Mit-Sich-Seins, eines Sprechens, das heißt einer Hervorbringung unsichtbaren Sinns gibt, sobald ich, dank dem unsichtbaren Sprechen als solchem, einen Zeugen in mir habe, den die anderen nicht sehen, und der folglich zugleich anders ist als ich und mir innerlich näher als ich selbst, sobald ich eine geheime Beziehung mit mir bewahren und nicht alles sagen kann, sobald es Geheimnis und einen geheimen Zeugen in mir gibt, gibt es das, was ich Gott nenne […] Gott ist in mir, er ist absolutes ‚ich‘, er ist die Struktur der unsichtbaren Innerlichkeit.

Zizek, mehr von außen kommend, sagt jedoch, dass dieses Geheimnis eine Lüge ist [2. https://www.youtube.com/watch?v=dEZ_tklUzLg] – es führt zumindest nicht zur Aufklärung der Taten, von denen andere Menschen betroffen sind. Auch wenn wir selbst auf so ein Geheimnis in uns angewiesen sind. Der Zeuge in mir, dem ich meine Geschichten erzählen kann, ist eine Schutzfunktion, die wir stellenweise brauchen um zu überleben. Er ist, um es poetisch zu sagen, das Tornadoauge psychischer Stürme. Andererseits, wenn mich jemand verstehen will, spielt er sich dabei nur vor, näher beim “wirklichen Ich” zu sein, wenn er zu diesem Tornadoauge vordringen will. Die Suche nach dem Geheimnis führt uns manchmal im Kreis herum. Es gibt einen Bruch zwischen der (indirekten) Kommunikation mit dem (inneren) Zeugen – sei es Gott, der Priester, oder mein engster Kreis – und den Folgen meiner Taten für andere Menschen:

Let’s take this noble motto “An enemy is someone who’s story you have not heard” and do something very vulgar. Let’s just replace the general name with a concrete example. Would you also say, Hitler was our enemy because we did not really try to hear his story?

The problem is deeper here, than it may appear. Namely: We think, the story we are telling ourselves about ourselves, our inner authentic self experience, is the point of truth. If you humanize the other, if you get him or her of their innermost, then you can say, this is what they truly are. But if there is a lesson of psychoanalysis, it is that we should radically abandon this automatic presupposition.

Hitler was, as we know from his secretary, who died only two years ago, he could have been quite kind, compassionate, he liked to serve cakes to small children, gentle, vegetarian, and so on. And I am even quite sure that he was absolutely sincere in this. This is the important lesson of Hannah Arendt. That people who cause great evil, we should not elevate them into sublime, demoniac figures of evil. The gap between their intimate experience and the horror of their act is always immense. The story we tell ourselves about ourselves is fundamentally a lie. It is not the point of truth.


 

One thought on ““I want to confess to you…”

  1. Sollte man nicht sagen, die Vergebung sei unverdient, nicht unmöglich? Auch ein Geschenk ist ja offensichtlich möglich, wenn auch vom Beschenkten her unmachbar. (Sich selbst vergeben, Sich selbst beschenken?) Mir scheint, dass Derrida da die Freude an zugespitzten Formulierungen durchgeht.

    Die Vergebung durch Gott dank des Opfers am Kreuz ist eine lange Geschichte. Zwei Achsen überschneiden sich da, einerseits sind aus menschlicher Sicht – und Gott ist Mensch geworden – Verletzung, Wut, Protest, Empathie und Mitleid in eine komplizierte Konstellation verwoben; andererseits ist Gott unverletzbar und braucht (eventuell) nicht einmal Reue, um die Verletzungen und Bosheiten wegzuwischen. Beides zusammen gibt dann eine unbezwingbare (unsägliche) Absolutionsformel: Gott als Mensch leidet stellvertretend für die Menschheit. Und Gott als Gott (in der Funktion des Vaters) nimmt das Leiden als “Sühneopfer” an. Er ist durch die Sünde “beleidigt” worden und “schickt seinen Sohn”, um das wieder gut zu machen. Erlösung; eine ziemlich starke Ansage.

    Soviel einstweilen kurz. To be continued.

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