Ich schreibe über Bildung. Ein Bespiel für ihren Verfall habe ich schon mehrfach verwendet: “Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein” – die DM-Werbung in Abwandlung eines Goethe-Zitates aus dem “Osterspaziergang”. Ein zweites Beispiel in dieselbe Richtung setzt beim Beginn der “Marienbader Elegien” an:
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt
gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.
Mir war in Erinnerung, dass Karl Kraus eine Abwandlung davon gegen die Mediengesellschaft seiner Tage gerichtet hatte. Die Recherche am Internet brachte es heraus. Die Zeile steht in der Fackel vom 13. Oktober 1908. So kann man es gut zitieren.
Plötzlich die Idee: ich habe doch – vor vielen Jahren – eine Anzahl originaler “Fackeln” bei einem Trödler entdeckt. Vielleicht ist die dabei? Und tatsächlich, von hunderten, ist diese eine Nummer in meiner Bibliothek. Ich lege sie auf den Scheibtisch, streichle das runzelige Papier, schlage die Seite auf.
Karl Kraus vollführt einen doppelten Karateschlag mit geben/nehmen und dem Wechsel der Wortstellung. Was für ein brillianter Zug. Die vergilbte Broschüre in der Hand, der satirische Orgasmus, nahe am Glück.