“sondern”. Eine Bagatelle zu Wittgenstein

Es geht um eine zentrale methodologische Bemerkung Wittgensteins und ein nebensächliches Komma. Um die vielschichtige Arbeit an seinem Nachlass und eine amüsante Unschärfe, die sich dabei ergeben hat. Um hohe kulturelle Bedeutsamkeit und eine Frage der Beistrichregeln. Zusammengefasst um das ungleiche Verhältnis zwischen einer Edition als UNESCO Weltkulturerbe und einer anregenden textkritischen Kleinigkeit.

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demokratisch, praktisch, gut

wortgewaltig

Der “Mitbegründer, Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter” schreibt wöchentlich drastisch formulierte Kommentare. In der Nummer 46/12 S.5 gelten sie der Medienpolitik der Regierung. Das Vorhaben des Kanzlers “versinkt in der Kissenlandschaft seiner sonoren Artikulation” und sollte besser “nehammerisch gebellt oder sobotkinesisch gekläfft” werden. Der Adressat der Botschaft ist ein ” Volk von autoritären Charakteren, die es gewohnt sind, gsunde Watschn auszuteilen und einzustecken”. “Vertrottelung und Korrumpierung durch Digitalisierung” breitet sich aus; es reicht nicht, dagegen “autoritär zu blaffen, jeder würde bald einen Seuchentoten kennen”. Soweit der dunkle Hintergrund, vor dem sich die helle Aussicht abzeichnen könnte. Nur leider: “Egal, wie die Akteure heißen: sie verstehen es nicht, das Informationsspiel demokratisch zu spielen.”

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Umrav Singh. M. Phil.(Lib.& Inf.Sc.), M.Lib.I.Sc, B.Com.

Researching for a paper on OAI-PMH, a protocol supporting the exchange of bibliographic metadata between digital repositories and harvesters, I hit on a piece describing and assessing a number of harvesting tools. Its author was a student of — according to its website — “one of the prime Central Universities in India“: DAVV (Devi Ahilya Vishwavidyalaya):

Funny, because I had found another paper on this issue shortly before:

and those papers do not just share their title.

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Quarantäne, einst und jetzt

Ein starkes Argument gegen die stellenweise einschneidenden administrativen Maßnahmen zur Kontrolle der CoVID19 Pandemie ist die Kritik an ihrer leitenden Prämisse: Es geht darum, Leben zu schützen. Dieser Anspruch, so wird eingewandt, schadet mehr, als er nützt . Er ermöglicht zudem staatlichen Autoritäten, abgesehen vom Notfall willkürlich in den Alltag der Bürgerinnen einzugreifen. Dazu sind zwei Bemerkungen am Platz. (1) Die genannte Maxime ist eine direkte Folge massen-medial unterlegter Demokratie. Diese erzwingt ein solches Vorgehen. Wie sollte stattdessen eine konsensfähige Grundregel aussehen? Gesetzt also, dass diesem Prinzip nur schwer auszuweichen ist, stellt sich (2) die Frage, was an dieser Vorgabe eigentlich so anstößig ist?

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Agamben, Adam & Eva

Ein unübertrefflicher Souverän verfügt eine weltberühmte Ausnahme. An Ausnahmen hängt, wie G. Agamben ausführt, das vorausgesetzte Regelsystem insgesamt..

Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben. (Gen 2, 16f)

Gott erweist sich als Herr der Welt, indem er einen Sonderfall festlegt, dessen Missachtung alle geltenden Erlaubnisse tilgt. Adam und Eva werden vertrieben, weil sie dieses Ausnahme-Recht des Souveräns übertreten.

(Adam) antwortete: Ich habe dich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich. (Gen. 3, 10)

Jenseits des Paradieses bleibt das nackte Leben. Adam und Eva gibt es weiterhin als Geschöpfe Gottes, doch ohne Anteil mehr an ihm. Ihre Existenz ist ein Restzustand: abgetrennt vom Souverän, unter dessen Gebot sie jedoch noch immer stehen.

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Agamben: Ausnahmen, Ausrasten

Agamben lehnt es, wie im vorigen Beitrag gezeigt, ab, im Umgang mit der Pandemie zwischen Notstand und Ausnahmezustand zu unterscheiden. In Homo sacer hat er differenzierter darüber geschrieben, was eine Ausnahme charakterisiert. Es handelt sich auf den ersten Blick darum, ein Vorkommnis einer Regel zu entziehen. Der Lebensmittelhandel ist z.B. vom Lockdown ausgenommen. Diese Sonderregelung hat jedoch, näher betrachtet, einen zusätzlichen Aspekt. Sie ist Teil der Gesetzgebung und sichert sie gegen unstatthafte Verallgemeinerung. Ihr Kern wird gefestigt, indem sie Ausnahmen gewährt. Die Gültigkeit der Ordnung wird aufgehoben …

… indem zugelassen wird, dass sich die Ordnung von der Ausnahme zurückzieht, sie verlässt.[ref]Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt am Main 2002, S.28[/ref]

Niemand kann sich, im Beispiel, auf Hunger ausreden, wenn er das Ausgangsverbot übertritt. Durch Null darf, ein anderes Beispiel, nicht dividiert werden, damit der systematische Zusammenhang zwischen Division und Multiplikation nicht verlorengeht. Ein wichtiger Punkt, blumig ausgedrückt:

Es ist nicht die Ausnahme, die sich der Regel entzieht, es ist die Regel, die, indem sie sich aufhebt, der Ausnahme stattgibt (a.a.O.)

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Agamben: Ausnahmezustand prinzipiell

Giorgio Agamben schreibt in seinem Blog am 15. Juli 2020 über Notstand und Ausnahmezustand. Er bezieht sich auf den Artikel eines ungenannten Juristen “einer regierungstreuen Zeitung”, der in der Diskussion über die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zwischen Notstand und Ausnahmezustand unterscheidet. Der eine wird ausgerufen, um eine aktuellen Gefahr abzuwehren, und zielt darauf ab, die vorangegangene Normalität wiederherzustellen. Der andere bedient sich der Gefahr, um die Verhältnisse zugunsten oftmals demokratiefeindlicher Akteure umzugestalten.

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Nicht zu schweigen ist Verrat

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Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus legt genau fest, wie sinnvolle Sätze auszusehen haben. Am Ende führt das zum bekannten deadlock: Man kann Sätze über Sätze nicht gleichzeitig verbieten und das Verbot in Sätze fassen. Viel ist über diese Dialektik geschrieben worden. Eine Bemerkung Pierre Hadots in einer Publikation aus 1959 eröffnet eine ungewohnte, überraschende Perspektive. Sie passt gut zu den Gedanken der vorigen Einträge in diesem Blog. Wittgenstein kann sich im Prinzip keine Scheinaussagen über das Verhältnis von Sätzen zur Welt erlauben. Doch er bricht seine eigenen Vorschriften. Er übertritt das Gebot, auf dem sein Buch aufgebaut ist.

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Regelbruch im Spielverlauf

Andreas Kirchner hat eine Passage aus Alain Badious “Sein und Ereignis” hervorgehoben, die das Missverständnis korrigiert, dessen “Ereignis” träte unversehens, gänzlich ohne Vorläufer, in die Welt. Es ist, so muss man berücksichtigen, durch vorangegangene Ereignisse präfiguriert. Eine rekursive Struktur ist anzunehmen: Ereignisse setzen Ereignisse voraus. Das passt überraschend gut zu meinem Hinweis auf Befreiung in Louis Reimers Kierkegaard-Interpretation. Um sich aus einem Ungemach befreien zu können, bedarf es eines “Lichtblicks”, der dessen dunkle Totalität durchbricht.

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Eine Erleuchtung über Erlösung

Momente, in denen philosophische Gedanken mich überraschend treffen, sind selten. Unlängst, in einer Recherche über Wiederholung, ist es passiert. Es ging um eine Spannung zwischen Alain Badiou und Michel de Certeau, die Andreas Kirchner in seiner Masterarbeit herausarbeitet. Das epochale “Ereignis” des ersteren tritt ohne Reminiszenzen auf, der Jesuit de Certeau greift in prekärer Solidarität mit dem heilsgeschichtlichen Erlösungsgeschehen auf all seine Etappen zurück. Ein Beitrag von Louis Reimer von 1960 [1. “Die Wiederholung als Problem der Erlösung bei Kierkegaard” https://tidsskrift.dk/kierkegaardiana/article/download/31465/28926 ] wirkte wie ein Paukenschlag. Befreiung bedeutet für ihn unausweichlich: dem unterdrückten Zustand ist einer vorhergegangen, in dem Freiheit verlorenging. Nur so konnte sein Zwang erfahren und überwunden werden.

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