Eine Erleuchtung über Erlösung

Momente, in denen philosophische Gedanken mich überraschend treffen, sind selten. Unlängst, in einer Recherche über Wiederholung, ist es passiert. Es ging um eine Spannung zwischen Alain Badiou und Michel de Certeau, die Andreas Kirchner in seiner Masterarbeit herausarbeitet. Das epochale “Ereignis” des ersteren tritt ohne Reminiszenzen auf, der Jesuit de Certeau greift in prekärer Solidarität mit dem heilsgeschichtlichen Erlösungsgeschehen auf all seine Etappen zurück. Ein Beitrag von Louis Reimer von 1960 [1. “Die Wiederholung als Problem der Erlösung bei Kierkegaard” https://tidsskrift.dk/kierkegaardiana/article/download/31465/28926 ] wirkte wie ein Paukenschlag. Befreiung bedeutet für ihn unausweichlich: dem unterdrückten Zustand ist einer vorhergegangen, in dem Freiheit verlorenging. Nur so konnte sein Zwang erfahren und überwunden werden.

Der Begriff der Erlösung beschreibt nach seinem Wortsinn den Vorgang der Befreiung von einer Bindung. Die Bindung, von der die Erlösung befreit, ist in der Möglichkeit der Erlösung als letztlich nicht notwendig erkannt: sie kann rückgängig gemacht werden. Damit ist zugleich ein Stadium vor der Gebundenheit vorausgesetzt, das Bedingung der möglichen Erlösung ist.

Der Gedanke ist, möchte man sagen, gemächlich vorgetragen. Klassische Philosophie; es geht um Begriff, Möglichkeit, Voraussetzung, Bedingung der Möglichkeit. Aber er wirft ein Schlaglicht auf die Dynamik jeder Befreiungsbewegung. Sie kann sich nur auf Hoffnung berufen, wenn sie auf (enttäuschte) Hoffnungen zurückgreift. Ein Leben, das ausschließlich Zwang kennt, ist aussichtslos. Das klingt wie eine begriffliche Spitzfindigkeit, doch es ist unbestreitbar. Selbst “pures Elend” gibt es nur im Vergleich. Die Auflehnung dagegen benötigt fundierte Antizipationen.

Die Erlösung knüpft rückgreifend an eine vergangene Freiheit an, die in der Bindung verloren ging. Jedoch thematisiert der Begriff der Erlösung nicht eigens dieses Zurückholen der verlorenen Freiheit: die Erlösung erlöst aus einer Bindung. Darauf liegt der Bedeutungsakzent. Es bedarf erst einer weite­ren Reflexion, die auf den Anfang der Bindung und damit auf deren Vorher rekurriert.

Befreiung benötigt, kurz gesagt, eine Vorvergangenheit. Es kann nicht gelingen, sie angesichts eines als verkommen qualifizierten Zustands einfach aus dem Hut zu zaubern. Badiou, der die Bedingungen radikaler Neuheit ohne Transzendenz skizziert, ersetzt die Berufung auf eine Vorvergangenheit durch die Vorzukunft. Befreiung ist nicht zurückbezogen, sie wird einmal gewesen sein, aus Treue zum Ereignis. Aber man kann einer Nullstelle nicht Treue halten. Badious Ereignisse setzen gelungene Ereignisse voraus. Andreas Kirchner weiß mehr darüber …

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