Raphael E. Bexten beginnt seine Rezension einer Heidegger-Dissertation mit einem amüsanten Zitat:
»›Ich kenne Deinen muffigen mittelalterlichen Satz vom Widerspruch. Esse et non-esse non possunt identificari. […] Aber der gilt nur jetzt. […] Nur im Augenblick. Es kann auch anders sein. Eines Tages wird Dein esse und Dein non-esse zusammengehen wie […] die Hand in einen Handschuh.‹«
Und er stellt diese Behauptung einem Zitat aus Heideggers “Wegmarken” gegenüber:
»Von der Metaphysik her begriffen (d. h. von der Seinsfrage aus in der Gestalt: Was ist das Seiende?) enthüllt sich zunächst das verborgene Wesen des Seins, die Verweigerung, als das schlechthin Nicht-Seiende, als das Nichts. Aber das Nichts ist als das Nichthafte des Seienden der schärfste Widerpart des bloß Nichtigen. Das Nichts ist niemals nichts, es ist ebensowenig ein Etwas im Sinne eines Gegenstandes; es ist das Sein selbst, dessen Wahrheit der Mensch dann übereignet wird, wenn er sich als Subjekt überwunden hat, und d. h., wenn er das Seiende nicht mehr als Objekt vorstellt.« (HEIDEGGER 2003, S.112f.)
Das Handschuh-Zitat beleuchtet, wenn man den Blickwinkel leicht korrigiert, die logischen Zusammenhänge präzise. Der Satz vom Widerspruch schließt aus, dass “sein” und “nicht sein” zusammen bestehen. Sie passen nicht zusammen. Wo ein Handschuh ist, kann nicht zugleich kein Handschuh sein. Und dennoch gilt auch: Sie passen sehr wohl zusammen, nämlich wie Handschuh und Hand. Das eine ist das Komplement des anderen.
Das ist die logischen Grundlage, die Heidegger mit sprachlichen Zaubereien ausmanövrieren will. Aus “nicht sein” wird Nichts und wo die Logik (nach Heidegger) nur Nichtiges ausmacht, wirkt das Nichts als Camouflage des Seins.
Daran ist verständlich, wohin schon der Handschuh weist. Im Rahmen der zweiwertigen Logik ist das Komplement einer Behauptung niemals unerheblich. Es ist im Gegenteil für ihr Funktionieren konstitutiv. Darüber kann man weiter phantasieren.
Bin gerade an anderer Stelle noch einmal auf den Satz vom Widerspruch bei Heidegger gestoßen. Er liest in GA 36/37 (Sein und Wahrheit) die Metaphysik-Konzeption von Baumgarten, einem Schüler von Wolff, um zu zeigen, wie sehr die neuzeitliche Metaphysik in ihrem “inneren Aufbau” von der mathematischen Methode beherrscht ist. Da findet sich der Satz vom Widerspruch als das schlechthin erste Prinzip, principium absolute primum, von dem her die Vermittlung von Gott (summum ens) und Sein (ens in communi) abgeleitet und abgesichert werden soll.
Hier fragt er sich, woher der Satz vom Widerspruch seine Unbestreitbarkeit hat und kommt auf einen “ganz unerwarteten Grund”:
“Dieser Grund[…] ist das Dasein des Menschen[…]in seinem sprachlich volkhaften und geistig bestimmten Miteinandersein[…]Die beherrschende Grundwirklichkeit dieses Miteinanderseins ist die Sprache[…]Die Sprache aber könnte nicht sein, d.h. nicht gesprochen und nicht verschwiegen werden, wenn nicht die Sprechenden als solche zum Seienden als solchen sich verhalten könnten.” (S.57f)
Und das geht nur, wenn man so etwas wie Sein überhaupt versteht und das, was wesentlich zum Sein dazugehört. “Und solches [was zum Sein dazugehört] ist z.B. die Selbigkeit des Selbigen als eines überhaupt Verstandenen. Würde dergleichen nicht gewahrt und verwahrt, dann wäre eine Verständigung im Miteinandersein über ein- und dasselbe nicht möglich, und selbst der Einzelne vermöchte nicht für sich zu einem Seienden, irgend Selbigbleibenden sich zu verhalten, d.h. er vermöchte nicht Mensch zu sein. Die Unumgänglichkeit der Wahrung der Selbigkeit des Selbigen – und d.h. der Bewahrung des Seins des Seienden – ist die Unumgänglichkeit nicht schlechthin und überhaupt, sondern gestellt unter die Bedingung, daß der mensch existiere. Nichts anderes aber und nur in verneinender Form drückt der Satz vom Widerspruch aus als diese Unumgänglichkeit des Seins-gesetzes im Sinne der Wahrung der Selbigkeit.” (S.58)
Der Satz vom Widerspruch also als Grundbedingung für gegenseitige Verständigung. Da wir Menschen sein wollen – das ist die Entscheidung, die hinter der Unumgänglichkeit des Satzes steht – sind wir dem logos zugehörig.
Und dann kommt wieder der Handschuh ins Spiel:
“Allerdings ist mit dieser Entscheidung auch gegeben der Übertritt in den Bereich des Nichtseins, des Nichtigen, des Widrigen und Irrigen. Nur wo dieses ist und wo es als notwendig begriffen ist, nur da allein gibt es auch Größe, das zu Bejahende, das Erhabene und Wahre. Tier und Pflanze kennen weder das eine noch das andere – noch deren Gegensatz.” (S.59)
Was Heidegger als abgestanden und muffig bezeichnet, sind nicht die Erkundungen des Aristoteles, bei dem die ganze Problematik noch nicht klar war und der noch nicht aufgehört hat zu fragen, als er das Axiom entwickelt. Sondern die durch Tradition entstandene “Schulphilosophie”, bei der “der Satz vom Widerspruch ganz fraglos am Ausgang des ganzen ableitenden Aufbaus der Metaphysik [steht]. Die einzige Frage ist die nach der rechten Anordnung der abzuleitenden Sätze.” (S.59) Der Grundsatz wird instrumentalisiert als das, von dem alles abgeleitet wird und durch den sich bestimmt, was überhaupt sein “kann” (also Widerspruchslosigkeit konstituiert Möglichkeit).
Und hier bemerke ich den Phänomenologen in Heidegger: “Dagegen suchen wir [bei Baumgarten & Co.] vergebens nach der unmittelbaren Ursprünglichkeit des Fragens, dadurch der Grundsatz überhaupt ALS SOLCHER begriffen und in seinem Wesensgehalt gegründet werden soll. Alles steht in fragloser Selbstverständlichkeit da. Und so ist es seit langem; eigentlich, seitdem Aristoteles sich mit dem Axiom abmühte. [wobei er zugibt, dass Leibniz ein wenig daran gerüttelt hat … diese Selbstverständlichkeit darf aber nicht] als endgültige, schlechthinnige Fraglosigkeit genommen werden; viel eher müssen wir daran denken, daß diese im Grunde dünne Decke des Selbstverständlichen eines Tages zerbricht und WIR dann zunächst ins Bodenlose durchbrechen.” (S.60)
Heidegger hat wohl recht: ohne Kriterien dafür, dass man auf einer Position (Auffassung, Erfahrung, Behauptung) bestehen kann, ist menschliches Leben undenkbar. Und er hat auch darin recht, dass diese Insistenz begrifflich eine Kenntnis des Gegenteils (der Auffassung, des Festhaltens der Position) einschließt.
Worin er nicht recht hat ist, der Metaphysik durch Jahrtausende die Verdeckung dieses Umstands zuzuschreiben. Das eine ist das Junktim von Position und Negation im Behaupten, das andere die Kenntnis des Umstands, dass es sich dabei um eine eingeschränkte Strategie handelt. Ein Lichtschalter hat zwei “Positionen”: EIN und AUS. Was soll man daran bedenklich finden? Und es gibt Gleitregler, die das Licht stufenlos regeln. Ausser “Sein und Nichts” auch Anderes.
Der Gleitregler ist aber etwas zwischen EIN und AUS, etwas fuzzy-mäßiges, das ohne diesem Junktim nicht bestehen könnte? Insofern sind Sein, Nichts und “Anderes” verbunden. Dieses Andere ist doch ein Spiel zwischen und eine ständige Wiederholung von Sein und Nichts? So verbleiben wir in diesem Horizont?