Zum Rektoratspapier “Prinzipien der Entwicklungsplanung der Universität Wien” vom 15.7.2004
Die Universitätsleitung hat am 15. Juli 2004 Prinzipien veröffentlicht, nach denen sich die Entwicklungsplanung bis zum Jahr 2010 richten soll. Sie lädt alle Angehörigen der Universität Wien zur aktiven Beteiligung ein. Im Unterschied zur Vorgangsweise beim Organisationsplan ist für die Diskussion der Leitlinien ausreichend Zeit vorgesehen. Es folgen einige Bemerkungen zur Präambel des Prinzipien-Papiers.
Das Rektorat nennt zwei Herausforderungen, denen sich die Universität Wien zu stellen hat, nämlich die Entstehung eines europäischen Bildungs- und Forschungsraums und die Zuspitzung des Wettbewerbs um knappe Ressourcen. Damit sind wichtige Punkte notiert. Die Diagnose sollte allerdings erweitert werden. Angeführt sind bloss die Schwierigkeiten im forschungs-ökonomischen Markt. Es fehlen Hinweise auf die problematische Doppelrolle der Universität zwischen einer Institution zur Bewahrung und Förderung selbstgesteuerter Wissenschaft und einer Organisation im Konkurrenzkampf.
Die Herausforderungen der Wissensgesellschaft, der weiterhin aktuelle gesellschaftliche Auftrag des tertiären Bildungsbereiches und seine Funktion als Motor der Chancengleichheit werden nicht erwähnt. Eine Aufgabe für die nächsten Jahre ist sicherlich, die bis vor kurzem praktizierte Arbeits- und Selbstorganisation in die Strukturen des UG 2002 zu überführen. Wie sich im letzten Jahr gezeigt hat, ist das kein triviales Anliegen. Es gehört zu den Vorhaben, denen die Universitätsleitung besondere Aufmerksamkeit zu widmen hat.
Die Präambel trennt nicht deutlich zwischen der Diagnose der Herausforderungen an die Universität und den normativen Zielvorgaben, die zu ihrer Bewältigung dienen sollen. Entsprechend der Verkürzung auf den Konkurrenzkampf werden einfach Superlative eingefordert. Es geht darum “zu den besten Universitäten Europas” zu gehören und “höchste wissenschaftliche Leistungen in Forschung und Lehre zu erbringen”. Worin bestehen wissenschaftliche Leistungen in der Lehre? Davon abgesehen sind diese Forderungen ebenso eindrucksvoll wie inhaltsleer. Die im Papier formulierte Aussicht, an der Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzukehren, als die Universität Wien maßgeblich für Zentraleuropa war, passt eher zur fin-de-sixE8cle Nostalgie, als zur Motivation im 21. Jahrhundert.
Begrüssenswert ist die Thematisierung einiger voraussehbarer Konfliktpotenziale. Die Fortführung des status quo kann nicht ausreichen; in Zukunft sind Entscheidungen zur Profilierung zu treffen, die auch langjährigen Besitzstand in Frage stellen. Die Ausführungen des Rektorates enthalten allerdings eine begriffliche Unschärfe und einen verborgenen Widerspruch. Erstens bedeutet Höchstleistung keineswegs Innovation. Erfolge innerhalb der Paradigmen der normalen Wissenschaft verbürgen keine Neuigkeit; oft ist das Gegenteil der Fall. Umgekehrt kann dieser “Altbestand” wissenschaftlich außerordentlich erfolgreich sein. Die simple Gegenüberstellung der Präambel wird diesen komplizierten Verhältnissen nicht gerecht.
Zweitens kann es nicht bei der wohlmeinenden Versicherung bleiben, die Mitarbeiterinnen (m/w) und Studierenden würden “durch ihre Vielfältigkeit, ihre Kreativität und Innovativität den Erfolg der Universität Wien bestimmen”. Einen Absatz zuvor wird ausgeführt, dass diese Personen eben nicht gleich vielfältig, kreativ und innovativ sind. Daher sei eine umfassende Qualitätssicherung nötig. Es gibt ein zweifelhaftes Bild, im selben Atemzug Selektionskriterien anzukündigen und schöne Worte für sämtliche Angehörige der Universität zu finden. Insbesondere fehlen Anhaltspunkte dafür, wie die Universitätsleitung deren UG 2002-bedingtes Motivationsdefizit zu beheben plant.
Der Entwurf des Rektorates enthält die Forderung nach einer Eliteuniversität, ohne das Wort zu nennen und ohne sich auf daraus resultierende Konsequenzen festlegen zu wollen. So ist etwa das mehrfach beschworene Ideal einer “universitas magistrorum et scholarium” unter den gegebenen Umständen illusorisch. Die nominelle Wiederkehr des Humboldt-Prinzips unter den Vorzeichen des internationalen Konkurrenzverhältnisses am Bildungssektor bietet an der gegenwärtig überdurchschnittlich großen Universität Wien keine überzeugende Perspektive für die nächsten Jahre.