Wie mit Missständen – unbefriedigenden Zuständen – umgehen? Eine praktische Antwort, die mich schon eine Weile fasziniert aber auch herausfordert kommt von der Rapper-Künstlerin Sookee. Die 31-jährige ist in der eher Männer- dominierten Hip-Hop Szene Berlins aktiv, einer Szene die Labels wie “Aggro Berlin” geboren hat, bei dem Bushido und Sido unter Vertrag waren.
Sookee’s Songs basieren ebenfalls auf mitreißenden Beats, Punchlines und rhythmisch gesprochenen Texten. Jedoch ist ihre Beziehung zu Hip Hop kaum zustimmend. Zum Beispiel geht es in Songs wie “Who Owns Hip Hop?” Oder “Purpleize Hip Hop” um Praktiken und Sprechweisen in der Szene und den Mut, diese zu verändern. Wenn eine Person ihr Selbstbewusstsein dadurch aufbaut, dass sie andere kontinuierlich zu Opfern stilisiert, wenn Macht und Muskeln als Argument ausreichend sind, und Songs in diesem Stil die Charts stürmen, dann könnte einem die Luft wegbleiben. Doch Sookee rappt:
“We don’t imitate – we intimidate”.
“Unsere Waffe heißt Subversion. Sie steckt in unserem Lachen, im Unterton.
Du wirst schon merken, wie real dis is, fragen ‘was jetzt?!’
Wenn deine Lady dich dropt und mich abschleppt”
(Sookee – Purpleize Hip Hop)
Jemand nimmt die Herausforderung an und fordert seinen Platz im Kampf ein. Zu welchem Preis? Schreibt sich die Spur des Bestehenden ein? Wenn ich mich auf eine Konfrontation einlasse, beanspruche ich Macht in der Auseinandersetzung. Ich brauche etwas Effektives, um die bestehende Herrschaft herauszufordern. Das ist bedrohlich. Ist es auf dieselbe Art bedrohlich wie die herrschenden Verhältnisse für die Marginalisierten? Kommt also die Imitation durch die Hintertür? Oder gibt es eine Macht, die es zwar ermöglicht, sich selbst in ein Verhältnis zu einer Szene zu setzen, dann aber nicht voraussetzt, andere permanent in Rollen zu zwängen, die nicht ihre sind?
Als ich zwei von Sookees Alben beim Label Springstoff bestellt habe, bekam ich zusätzlich eine Sammlung von Flyern und Stickern. Mein Favorit enthält den Satz: Eine Szene ist das was du daraus machst. Obwohl mein Leben mit den Gewohnheiten in einer (Sub)-Kultur durchwachsen ist, habe ich – graduell – die Möglichkeit, mit den Gewohnheiten zu arbeiten, sie zu öffnen, zu gestalten, zu ent-üben. Graduell. Sookee verarbeitet diese niemals-totale-Gestaltungsmöglichkeit zum Beispiel in “Vorläufiger Abschiedsbrief“.
Das Entüben von Gewohnheiten war unter anderem ein Thema bei einem Vortrag von Ruth Sonderegger, der in der Philosophischen Audiothek von Gerhard Unterthurner veröffentlicht wurde. Inspiriert von den Gedanken dieses Podcasts, anbei noch ein paar allgemeinere Überlegungen, die zum Ziel haben, die Praktiken von Sookee einzuordnen:
Es gibt mehrere Arten, auf eine unbefriedigende Alltags-Situation zu antworten. Schematisch:
- (1) Aus der Situation rausspringen
- (1a) Andere über die Missstände informieren (Situationsanalyse, so etwa im letzten Blog-Post über ein predatory journal)
- (1b) Sich umdrehen und sich anderem zuwenden (“Den Staub von sich schütteln”)
- (2) In der Situation bleiben (Weiterhin mitmachen)
- (2a) Versuche innerhalb der Gewohnheiten eine Veränderung zu induzieren (z.B. kann schon das Zögern ein Nachdenken hervorrufen)
- (2b) Akzeptiere (“Es ist wie es ist.” Mein Kopf weiß um das Unrecht, die eingeübten Praktiken akzeptieren es aber.)
In dieser Liste zielen nur 2 der 4 Optionen darauf ab, die Situation entsprechend einer eigenen Perspektive zu gestalten. 1b und 2b verweigern die Herausforderung, die sich durch die Frustration mit dem Status Quo ergibt. Nämlich: Stammt das, was mich frustriert, nur von meinen individuellen Bedingungen her? Oder gibt es Anhaltspunkte in der Situation? Kann ich das Problem in der Situation beschreiben, ohne auf eine starke Referenz meiner eigenen Befindlichkeiten und Präferenzen zurückzugreifen? Muss ich den Missstand beschreiben? Hilft eine Beschreibung? Sollte ich ihn nicht besser demonstrieren? Oder verschieben? Abschwächen? Subvertieren?
Sookee befindet sich als jemand, der Gender Studies und Literaturwissenschaften studiert hat, und sich in linken politischen Zusammehängen engagiert, dann aber auch noch in die Hip-Hop-Szene gewachsen ist, an der Grenze zwischen (1) und (2).
Wie Ruth Sonderegger mit Bezug auf das soziologische Werk “Das Elend der Welt” ausführt, fällt es Individuen, die Zwischenpositionen einnehmen, z.B. einer jungen Frau, die in die männliche Rapper-Welt einsteigen will, leichter, Gewohnheiten zu hinterfragen. Wieder Sookee:
“Alles was mir bleibt ist mein Mut zur Schwäche: Wann hat ein Mann je gezweifelt, ob es ihm zusteht zu rappen?” (Sookee – Vorläufiger Abschiedsbrief)
Sich in einer Zwischenposition zu befinden ist einerseits eine Verunsicherung. Das ist ein Zustand, der in einer globalisierten Welt immer häufiger auftritt, siehe Migration: “Andere Länder, andere Sitten”. Andere Sprache, andere Selbstverständlichkeiten. Man sollte an dieser Stelle jedoch vorsichtig mit einer verallgemeinernden Überhöhung sein. Eine Verherrlichung dieser entgrenzenden Zwischenposition übersieht, dass die Entwurzelung, zum Beispiel für Migrantinnen, eine traumatische Erfahrung sein kann, der man nicht gerecht wird, wenn man von vornherein die Hybridität der Lebensstile abfeiert. Der Umgang mit Verunsicherung und Orientierungslosigkeit ist ein zentrales Thema im Hip Hop. Andererseits kann die Verunsicherung dazu führen, dass Selbstverständlichkeiten in einer Szene in Frage gestellt werden. Hier ist Sookee ein hoffnungsvolles Role-Model, das den umkämpften Platz am Mikrofon für einige Zeit nicht nur den herrschenden Skandal-Rappern Berlins überlassen hat und sich eine mächtigere Rolle freispielte:
Sich mit den herrschenden Verhältnissen anzulegen ist ein Risiko, das in Kauf zu nehmen Courage oder Selbstzerstörung bedeutet, je nach Spielraum (siehe auch diesen Beitrag für die jüngsten Ereignisse im Fall der Gamer-Szene). Nicht immer ist dies abzusehen, doch kann praktisch, schrittweise erkundet werden. Sookee jedenfalls hat sich in einem Facebook-Eintrag im August erstmal von den Bühnen verabschiedet, um andere Künstlerinnen zu unterstützen:
ich hab die letzten 5 jahre vorallem auf stages verbracht und brauche nun dringend mal ne runde abstand um rauszufinden wiesoweshalbwarum, denn die gleichzeitigkeit von zuspruch und ablehnung hat es in sich und die verantwortung, die sich daraus ergibt, ist auch nicht zu untershätzen. I need to gain some clarity. Zudem hab ich lust auf labelarbeit (bitte checkt die seite meines lieben labels SPRINGSTOFF, da sind so viele tolle artists, von denen ihr vielleicht noch nichts wisst), denn meine neue leidenshaft heißt ‘i [love] leute empfehlen’.
Vielleicht ist Sookee eine zeitgenössische Kynikerin, die nachdem sie Klartext gerappt hat, weiterzieht. Eine Frage der Haltung … und der Lernprozesse. Oder schlussendlich ein Fall von Idolatrie auf meiner Seite…
Die beiden Möglichkeiten zur Antwort auf frustrierende Situationen, Distanz oder Weitermachen, klammern den Konflikt aus. Ist das die Weigerung, sich am Herrschaftsanspruch, wenn auch kritisch, zu messen?
Gestern abends nahm ich an einer langen Jurysitzung teil, ein wenig als Aussenseiter. Ein fachkundiger, beredter Mann hatte die Alphaposition. Es war viel von ihm zu lernen, aber seine Dominanz war auch etwas irritierend. Es entstand eine gewisse Frustration, die aber gut zu überspielen war.
Dann entstand eine Kontroverse, in der ich seine Meinung nicht teilte, er aber unbedenklich seine Position vertrat. Auch andere Gruppenmitglieder stimmten nicht mit ihm überein, aber er war kaum zu bremsen. Soll ich da jetzt dagegenreden? Ein typisch männlicher Machtkampf? Andererseits geht es nicht nur um meine Angerührtheit, sondern auch um eine umstrittene Sache.
Die Versammlung war freundlich, aufgeklärt und konziliant, aber an dieser Stelle hätte weder Reflexion noch Abweichung geholfen. Es musste ein Effekt her. Ich nahm ein Argument und knallte es ihm entgegen. Und siehe da, er gab mir recht. So geht es auch.