Vor langer Zeit, als es an österreichischen Universitäten Personal- und Berufungskommissionen gab, die aus Professorinnen, Mittelbau und Studentinnen kollegial zusammengesetzt waren, beobachtete man eine bedenkliche Entwicklung. Es kam oft auf den Durchschnitt an, den Kandidatinnen aus den ziemlich divergenten Interessen zu ziehen vermochten. Die Tendenz ging in Richtung “nirgends anstreifen” und wer die Umstände gut kannte, hatte die besten Chancen. Wo sind die Zeiten hin?
Ein “Doktoratsbeirat” wacht mittlerweile darüber, dass nur solche Studierende im Doktoratsstudium betreut werden, die in einer “fakultätsöffentlichen Präsentation” bestehen. (Ich war Vorsitzender der Curricularkommission der Universität, als das beschlossen wurde.) Dabei ergibt sich ein anderes Bild.
Im Institut für Philosophie hat sich dieser Ausschuss zum Ziel gesetzt, das Niveau des akademischen Abschlusses deutlich zu heben. Das war auch dringend nötig. (Ich war zwei Jahre lang Mitglied.) Aber das Gremium entwickelte auch Forderungen und Argumentationsmuster, die rückwärtsgewandt erscheinen. Als Beispiel hier zwei Fragen und zwei Empfehlungen an einen Dissertationswerber, der es unternehmen wollte, den Forschungsansatz eines bekannten Wissenschaftlers auf einen Sachbereich anzuwenden, zu dem dieser Forscher nichts publiziert hat.
Haben Sie schon Kontakt mit Herrn X aufgenommen?
Einerseits will man die Qualität des Vorschlags beurteilen, bevor man ein Dissertationsprojekt überhaupt akzeptiert, andererseits soll er schon mit dem Gelehrten abgesprochen sein, um den es sich handelt. Das passt z.B. für Anträge auf Benutzung von Bibliotheken und Archiven oder für die Teilnahme an Forschungsgruppen. Aber als Vorausleistung in der Arbeit mit einem internationalen Starwissenschaftler?
Herr X könnte ja Gutachter werden. Was würde er sagen, wenn er mit XY in Verbindung gebracht wird?
Und davon will eine Wiener Beratungsgruppe das Placet für eine Untersuchung abhängen lassen? Soviel Fürsorge stimmt bedenklich. Es kann wohl nicht das Ziel eines Beirats sein, nur Arbeiten zuzulassen, die einem betroffenen Theoretiker von vornherein genehm sind.
Sie sollten einen Text zugrundelegen, den Sie interpretieren können!
Anders gesagt: keine Experimente. Den festen Boden der Hermeneutik etablierter Vorlagen suchen. Der Vorschlag, eine neue Methodologie auf eingesessene Konmpetenzbereiche anzuwenden, ist zu risikoreich. Der Doktoratsbeirat achtet darauf, dass ein Projekt keine Grenzverletzung vorsieht. Gut, er will der Bewerberin spätere Schwierigkeiten ersparen. Aber er beschränkt damit auch Phantasie und Methodenpluralismus.
Sie sollten keine Schwächen im Werk von Herrn X zugeben!
Wie bitte? Das passt für Werbeveranstaltungen. Das Ziel einer akademischen Ausbildung kann nicht sein, “the power of positive thinking” einzuimpfen.
Fazit: Während sich Beratungs- und Entscheidungsgremien in alter Zeit leicht auf einen möglichst unkontroversen Durchschnitt eingependelt haben, orientieren sie sich derzeit an instinktiv tiefsitzenden Maximen des Elitedenkens.