Athen und Bologna

2010-08-22_13-26-28

 

Jean-Claude Juncker spielt seit dem Scheitern der Verhandlungen vorletzte Woche keine öffentliche Rolle in der Griechenlandkrise. Antonis Samaras, der frühere Premierminister, hat den Parteivorsitz zurückgelegt. Die überwältigende Ablehnung der Vorschläge aus Brüssel lässt für Vermittlungsversuche keinen Platz. Beide haben versucht, zwischen der Herrschaftslogik der Geldgeber und den Lebensansprüchen der griechischen Bevölkerung zu lavieren und sich dabei schließlich eine Abfuhr geholt.

Die Abfuhr ist verständlich und: ich stehe auf der Seite der beiden Verlierer. Diese in sich gebrochene Position soll ein Rückblick auf Erfahrungen in der Universitätspolitik erläutern.

 

Auf die Abschaffung der Gremienuniversität und ihre Ausrichtung am Modell von Wirtschaftsbetrieben durch das UG 2002 hatte ich mit lautstarkem Protest reagiert. Als die unter den neuen Regeln gewählten zwei Mittelbauvertreter im Senat ein Mitglied der Curricularkommission zu nominieren hatten, verfielen sie auf mich, einen Vertreter der herkömmlichen Selbstverwaltung. Eines Tages trat der Vorsitzende dieser Kommission wegen eines fakultätsinternen Streits von seiner Funktion zurück. Sein Stellvertreter rückte nach, nämlich Herbert Hrachovec.

Zu dieser Zeit war den Universitäten per Gesetz ein weiterer einschneidender Bruch vorgeschrieben worden, die Bolognareform. Die Curricularkommission war die zentrale Schaltstelle, über die sie an der Universität Wien laufen musste. Ihr Vorsitzender, ein erklärter Gegner der Diktate, war für die Durchführung verantwortlich. Soviel war unumstößlich, aber ich hätte es nicht tun müssen.

So hat sich, scheint mir, auch Yanis Varoufakis vorgefunden. Ein Gegner der Politik der Europäischen Union wird Finanzminister eines Mitgliedsstaates und damit in gewissen Maße auch verantwortlich für das Ganze. Die Reaktionen des Ministers und des Vorsitzenden der Curricularkommission auf diese Klemme sind auf den ersten Blick vergleichbar: Erfüllung der Amtspflichten, verbunden mit deftiger Polemik gegen die Rahmenbedingungen. Ich hatte eigens eine Mailing Liste als kritisches Forum ins Leben gerufen. In einer Sitzung des Universitätsrates, also des höchsten Beratungs- und Beschlussgremiums der Universität, bezeichnete ich die Bolognareform als maoistische Kulturrevolution.

Am provokanten Auftreten Varoufakis’ nehme ich also keinen Anstoß. Meine Gegenposition hat einen anderen Grund. Es ist ein Unterschied, einerseits innerhalb einer Organisation drastische Kritik an geltenden Regeln zu formulieren und sich andererseits als Funktionär einer Teileinheit bedingunglos gegen diese Regeln zu engagieren. Das hätte geheißen, auf breitester Front gegen den Bolognaprozess aufzutreten, also auch die Ressourcen der Curricularkommission dafür einzusetzen, ihn zu stören und letzlich zu Fall zu bringen.

Zwei Gründe sprachen gegen ein solches Vorgehen. Erstens ist es illoyal gegenüber der Organisation, innerhalb derer diese Konflikte auftreten und zweitens ist die Strategie, gegen eine im Endeffekt irreversible Politik aufschiebende Hoffnungen zu nähren, im Kern defaitistisch. Dazu ein Bild.

 

TOPSHOTS A distressed pensioner sits on the ground outside a national bank branch, as banks opened only for pensioners to allow them to withdraw their pensions, with a limit of 120 euros, in Thessaloniki, on July 3, 2015. Greece is almost evenly split over a crucial weekend referendum that could decide its financial fate, with a 'Yes' result possibly ahead by a whisker, the latest survey Friday showed. Prime Minister Alexis Tsipras's government is asking Greece's voters to vote 'No' to a technically phrased question asking if they are willing to accept more tough austerity conditions from international creditors in exchange for bailout funds. AFP PHOTO /SAKIS MITROLIDIS
TOPSHOTS
A distressed pensioner sits on the ground outside a national bank branch, as banks opened only for pensioners to allow them to withdraw their pensions, with a limit of 120 euros, in Thessaloniki, on July 3, 2015. Greece is almost evenly split over a crucial weekend referendum that could decide its financial fate, with a ‘Yes’ result possibly ahead by a whisker, the latest survey Friday showed. Prime Minister Alexis Tsipras’s government is asking Greece’s voters to vote ‘No’ to a technically phrased question asking if they are willing to accept more tough austerity conditions from international creditors in exchange for bailout funds. AFP PHOTO /SAKIS MITROLIDIS

 

So wird erschütternd deutlich gemacht, wie menschenfeindlich der oktroyierte Sparkurs ist. Gleichzeitig wird jedoch verschwiegen, dass es zur gegenständlichen Szene nur dadurch gekommen ist, dass die griechische Regierung die Brüsseler Verhandlungen verlassen hat. Sie hat das Leid, das ihr zum Argument dient, klaren Auges verschärft, um ihre Ziele leichter zu erreichen.[1. Ich übersehe nicht, dass es massenhaftes Elend durch die Troika-Politik gibt. Die Frage ist, ob man es vermehren soll, um eine bessere Handhabe dagegen zu besitzen.] Ab einem gewissen Punkt geraten Revolutionäre in Versuchung, die Verhältnisse zu verschlimmern, um erfolgreicher kämpfen zu können.

Der Widerstand gegen diesen Reflex verbindet mich mit Juncker und Samaras. Es handelt sich wahrlich nicht um sympathische Politiker. Den Glanz der rhetorischen Konfrontation ziehe ich allemal den Beschönigungen und der Systemerhaltung vor, für welche sie bekannt sind. Mein Gott ist Varoufakis auf seinem Motorrad schick und die Kompromissbildung im Schatten dominanter Gegenkräfte unansehnlich.

 

2 thoughts on “Athen und Bologna

  1. UPDATE:

    Ich war vorsichtig in der Formulierung meiner Kritik am griechischen Vorgehen und unsicher, ob die Befürchtungen nicht zu stark aus der individuellen Perspektive kommen. Leider hat sich die Sache so entwickelt, wie vermutet. Das “heroische” Herangehen machte alles schlimmer; die Kompromissvariante hätte mehr gebracht.

  2. UPDATE 2:

    Eine schädliche Nebenwirkung der verbalen Polarisierung, die von griechischen Politikern ausgeht, besteht darin, dass ihre schrillen Interventionen ihnen zwar die weltweite Unterstützung von Protestbewegungen sichern, aber die Mitte frei lassen, sozusagen das Feld der Wechselwähler.

    Armin Thurnher schreibt von den Griechen: “Sie haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Demokratisch gesinnte Europäer vereinigt euch!! (FALTER 28/15 S.5) Er überreizt sein Blatt; so wird er niemanden überzeugen können, der nicht schon überzeugt ist.

    Anders dieser Blogbeitrag in der Huffington Post. Er verschiebt die Gewichte für die aufmerksamen Skeptikerinnen.

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