Ein Vortrag im Rahmen des Symposiums Cyberspace 2015 in Brünn befasste sich mit der Propaganda des Islamischen Staates, speziell mit dem pdf-Magazin Dabiq.
The Islamic State (ISIS) regularly puts out a glossy propaganda magazine aimed at recruiting jihadists from the West. It is sophisticated, slick, beautifully produced and printed in several languages including English. 1
In der Diskussion wurde gefragt, was der Referent über die Zielgruppe der Publikation wisse. Er hatte keine Information. Nun, eines kann man jedenfalls sagen: Es sind Personen, die gerne professionell gemachte Hochglanzbroschüren lesen. Anders formuliert: die Propaganda des aktuellen Terrors misst sich am Standard der westlichen Unterhaltungsindustrie. “Dabiq” dient jedenfalls dazu, den mörderischen Islamismus in den Kategorien unserer Werbebroschüren gut aussehen zu lassen.
Beim Nachlesen über die Kreuzzüge bin ich auf eine ähnliche Querverbindung zwischen den feindlichen Lagern gestoßen. Paul M. Cobb versucht in The Race for Paradise. An Islamic History of the Crusades die Perspektive der angegriffenen Königreiche und Fürstentümer einzunehmen, und dabei ergibt sich eine wichtige Pointe.
Die Kreuzzüge begannen – aus der Sicht der konventionellen westlichen Geschichtsschreibung – mit einer Predigt, in der Papst Urban II. 1095 zur Befreiung Jerusalems aufrief. Das entspricht nach Paul M. Cobb nicht der Sichtweise der islamischen Quellen. Dort wird der Einschnitt am Beginn der Rückeroberung europäischer Gebiete durch christliche Armeen gesehen. 1072 verlieren die Araber Palermo, 1084 Toledo und 1088 Syrakus. Es leuchtet ein, dass für sie kein päpstlicher Aufruf, sondern der Einbruch christlicher Heere in ihren Machtbereich die Abläufe bestimmt.
Aus dieser Zusatzperspektive ergibt sich ein überraschender Aspekt. “Wir” haben die Kreuzzüge lange als heroische Leistungen gefeiert und sind nun (in weiten Kreisen) bereit, anzuerkennen, dass es sich um eine Agression handelt, für die wir uns schämen sollten. Umgekehrt nimmt “uns” der Islamische Staat als die Invasoren wahr, als die wir uns selbst verstehen, und zahlt es “uns” heim. “Wir erneuern unseren Aufruf an die Muslime in Europa … die Kreuzfahrer in ihrer Heimat …anzugreifen.” 2. Sie übernehmen unsere Geschichte und wenden sie gegen uns.
Islamische Heere haben einen Angriffskrieg gegen Europa geführt. Die Kreuzzüge fallen mit der Bewegung der Reconquista zusammen. Das legitimiert sie keinesfalls, aber es heisst, dass sich in diesen kriegerischen Abläufen, wenn man schon mit Kategorien des Mittelalters operiert, keine Partei als unschuldig bezeichnen kann. Und dass die islamistische Qualifikation der “Kreuzfahrer” eine systemimmanente Replik auf westliche Propaganda ist, wie die erwähnte pdf-Broschüre. Dschihad gegen Dschihad.
War es berechtigt, Sizilien und Spanien von den Besetzern zurückzuerobern? Wer das bejaht votiert für das Heimatprinzip, das Christentum und den Erfolg. Es wird kaum vermeidbar sein, solche “chauvinistischen” Werte zu vertreten. Gut, dass die Türkenbelagerung Wiens gescheitert ist. Man kann nur hoffen, dass sich Europa bei all dem nicht einfach in dieser Art von double bind fangen lässt.
Vor 100 Jahren wurde schon einmal ein Krieg verloren, der nicht unwesentlich auf das Stereotyp der einfachen Mobilisierung von fanatischen Muslimen setzte.
Ein paar Hinweise:
– “In dem uns aufgedrängten Kampfe gegen England, den dieses bis aufs Messer führen will, wird der Islam eine unserer wichtigsten Waffen werden”, schreibt der Diplomat Max von Oppenheim 1914. Der deutsche Kaiser Wilhelm II ließ sich “inspirieren”.
– Der Sultan des Osmanischen Reiches Mehmed Reschad, gleichzeitig Kalif für die globale Gemeinschaft der Muslime, erließ im November 1914 eine Fatwa um alle Muslime aufzurufen, gemeinsam mit Deutschland und Österreich-Ungarn gegen Russland, England und Frankreich zu kämpfen, und zwar im “Heiligen Krieg” gegen die “Ungläubigen”. (http://www.turkeyswar.com/documents/jihad.html)
Dass die “Waffenbrüder” zumindest verdächtig sind, ebenfalls Ungläubige zu sein, war in der Kriegspropaganda nicht berücksichtigt.
Und das deutsch-arabische Kriegslied, das 1916 in Leipzig aufgeführt wurde, trieft vor – zumindest aus heutiger Sicht – halbherzigem Kameradschafts-Gerede:
” Kamerad, komm zu mir her nur,
Ich tu Dir nichts an!
Denk nur nicht im Kopfe, dass ich
Dich nicht leiden kann!
Ich bin Christ und Du bist Muslim,
Doch das schadet kaum!
Unser Sieg ist festbeschlossen,
Unser Glück kein Traum!
Wo da herrschet unser Kaiser,
Ist Sieg sein Panier;
Und wo Stambuls Kaiser waltet,
Flieht die Sorge schier.
Kamerad, komm! Sein wir Freunde!
Weg mit Angst und Not!
Iss mit mir hier die Kartoffeln
Und das Stückchen Brot!”
( http://www.alsharq.de/2015/iranturkei/tuerkei/das-deutsche-kaiserreich-und-die-deutsche-dschihad-strategie/ )
Die aufwändige Propaganda und die Mobilisierungsversuche an alle Muslims sogar via Fatwa haben nichts geholfen. ( http://www.telegraph.co.uk/culture/museums/11022199/Germanys-Grand-WW1-Jihad-Experiment.html ).
Nun blitzen zwar heute die (westlich insiprierten) Propaganda-Methoden vom IS auf und sorgen für Schlagzeilen und Angst. Die Mehrheit der Muslime lässt sich jedoch nicht so einfach aufhetzen: https://en.qantara.de/content/islam-and-violence-conservative-muslims-refute-the-violence-of-is (Dazu demnächst etwas näher in einem separaten Beitrag)
Wishful thinking? Zumindest an dieser Stelle hätte man gerne, dass die Geschichte einen Hinweis gibt.
Nicht nur vor 100 Jahren, auch vor 70:
“In einem Punkt legte Hitler jedoch Selbstkritik an den Tag: Er bereute, aus Rücksicht auf die Kolonialinteressen Italiens und Frankreichs keine „weitschauende Freundschaftpolitik mit dem Islam“ durchgesetzt zu haben. Die Araber bezeichnete er als „unsere treuen Verbündeten“. Das Reich hätte sie in den Weltkrieg einbinden können. (http://www.christundwelt.de/themen/detail/artikel/herrn-hitlers-spaete-liebe-zum-islam/)
Das Themenfeld Heimat/Christentum/Militär ist “genant” (unangenehm, ärgerlich, peinlich). Nach Abschluss des obigen Beitrags habe ich mich an einen großartigen Beitrag erinnert, Berthold Brechts “Kinderhymne” (https://de.wikipedia.org/wiki/Kinderhymne). Ihr Text ist ein Kontrast zu:
“Ich bin Christ und Du bist Muslim, /Doch das schadet kaum! /Unser Sieg ist festbeschlossen, /Unser Glück kein Traum!”
Die beiden letzten Strophen:
“Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das Liebsten mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.”