Grenzen. Eine Bildbetrachtung

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Umstandslos sind dem Bild einige Grenzen zu entnehmen. Das Meer begrenzt das Festland, die gelb-orangen Farben gehören zur Peripherie der Europäischen Union, die in Petrol markiert ist. Innerhalb des Petrolblocks verlaufen weiße Linien – Landesgrenzen. Der schwungvolle rote Strich umgibt den Schengen Raum. Diese Demarkierungen verzeichnen politische Gegebenheiten. Sie wegzudenken heißt, auf wesentliche Informationen zur gegenwärtigen Migrationsbewegung zu verzichten.

Eine Linienführung ist von besonderem Interesse. Im Farbenspiel ist sie eine unter vielen, aber sie signalisiert auch etwas Besonderes. Die schwungvoll rote Schlinge bezeichnet die Grenze eines Staatenbundes. Man sieht es ihr nicht an, aber sie versteckt ein ernsthaftes Problem. Sie ist ein folgenschweres Ablenkungsmanöver, an dem die Europäische Union augenblicklich schwer zu arbeiten hat. Die Schlinge erweckt den Eindruck, als befänden sich alle eingerahmten Staaten in einem Sack. Sie zeigt nicht, dass es Grenzziehungen mit Doppelfunktion gibt: nationale Grenzen, die gleichzeitig Bündnisgrenzen sind.

 

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Die gegenwärtige Misere kann pointierte als eine Folge dieses Bildeffekts verstanden werden. Bei der Einigung auf die Flüchtlingspolitik in Dublin ist übersehen worden, dass es zwei Arten von Grenzen des Schengen Raums gibt. Eine ist allen Staaten gemeinsam, die andere ist zweifach kodiert, als National- und Schengengrenze. In den 90-er Jahren, als in Libyen Ghadaffi herrschte und Bush den status quo im mittleren Osten noch nicht zerstört hatte, ist es nicht aufgefallen. Aber durch diese Konstruktion hat sich die Staatengemeinschaft als Ganzes an die Innenpolitik von Einzelstaaten gebunden. Die Folge war eine Bruchlandung der Vorstellung von “europäischer Solidarität”.

Das Nord-Süd-Gefälle in der Union macht aus der unzulänglich gedachten Grenze ein Rezept für massive Krisen. (Die Einführung des Euro verlief nach demselben unbedachten Muster.) Aktuell ist viel davon die Rede, dass die Grenzen zu offen oder zu verschlossen sind. Da ist ein Übermaß von Metaphysik im Spiel, wie in der Bildbetrachtung, wenn sie von den operativen Unterschieden absieht. Kein richtiger Umgang mit Grenzen ohne Details.

One thought on “Grenzen. Eine Bildbetrachtung

  1. Meiner Meinung nach sind die aktuelle Diskussion und die Standpunkte, die man darin einnehmen kann, durch das Begriffspaar “offen/geschlossen” geprägt, obwohl diese Begriffe nicht einlösen zu können scheinen, was sie suggerieren.

    Eine vollstöndig offene Grenze scheint ein Widerspruch in sich zu sein, da die Offenheit die Grenze genauso obsolet macht, wie umgekehrt die Grenze Offenheit obsolet macht. Eine Grenze ist also immer nur unter bestimmten Umständen offen. Umgekehrt würde eine vollständig geschlossene Grenze implizieren, dass keinerlei Austausch, auch kein gewünschter, mehr möglich ist. Das kann höchstens temporär funktionieren. Dass trotzdem die Begriffe gebraucht werden erzeugt meiner Meinung nach eine bestimmte Semantik, welche die Situation nicht adäquat zu treffen vermag, weil sie den Gebrauch der verwendeten Begriffe überdehnt.
    Ich möchte in diesem Eintrag ein alternatives Begriffspaar anbieten. Ländergrenzen, so möchte ich vorschlagen, changieren nicht zwischen Geschlossen- und Offenheit, sondern zwischen “fast, aber nicht ganz für alle(s) undurchlässig” und “unter bestimmten Umständen durchlässig”, sofern sie Grenzen sein sollen.

    Den Sachverhalt des “fast, aber nicht ganz für alle(s) durchlässig” möchte ich als inhibitorisch bezeichnen, weil eine gewisse Versiegelung erzeugt wird, die nur für bestimmte Belange durchlässig ist. Diese bestimmten Belange können aber nicht einfach passieren, sondern sie gelangen dann in den Sachverhalt des “unter bestimmten Umständen durchlässig”, den ich als katalysatorisch bezeichnen möchte. Hier geht es um die Art, wie Belange der Durchlässigkeit geregelt werden und welches Resultat nach dem Prozess genau herauskommt.

    Den inhibitorischen Aspekt möchte ich als kompliziert bezeichnen, weil es ein kompliziertes Problem darstellt, eine für bestimmte Belange durchlässige “Versiegelung” in die Praxis umzusetzen. Es kann ein Anzeichen für verschiedene ethische, politische und/oder wirtschaftliche Schieflagen sein, wenn der inhibitorische Aspekt dominiert. Dies gilt für ausschließende (z. B. politisch motivierte wirtschaftliche Sanktionen, Flüchtlingsaufnahmestopp, Donald Trump und seine Mauer) ebenso wie für einschließende Maßnahmen (etwa Beschränkung der Zugänglichkeit bestimmter Inhalte im Internet in bestimmten Staaten, Ethnozentrismus, exklusiver Traditionalismus).

    Den katalysatorischen Aspekt möchte ich als komplex bezeichnen, weil es ein komplexes Problem darstellt, die Umstände der Durchlässigkeit zu regeln. Die Umstände bedingen einen Prozess, in dem Katalysatoren eine Analyse, eine Auflösung durchführen. In diesem Sinne geht man über die Grenze, wenn diese durch einen gegangen ist. Je höher die Durchlässigkeit, desto kleinteiliger und verwobener werden die Probleme, die sich ergeben.

    Innerhalb des Schengenraums scheint bei den Ländergrenzen eher die Katalyse zu dominieren, während die Schengengrenze selbst eine eher inhibitorisch dominierte Grenze darstellt. Oder besser: darstellte, denn durch das Ankommen einer Vielzahl von Flüchtlingen im Schengenraum wurde dieser Sachverhalt gekippt. Die Schengengrenze wurde in Hinsicht der Inhibition rasch überfordert und nun wird ein vorher kompliziertes Problem zu einem komplexen. Die Umstände erfordern einen ausufernden und scheinbar nicht bewältigbaren Katalyseprozess.

    Anstatt also zu sagen, dass manche Länder auf die Probleme reagieren, indem die Regierenden Grenzen schließen, was genau genommen nicht wirklich stattfinden kann, oder zu sagen, die Lösung wäre das Öffnen der Grenzen, was genau genommen so nicht stattfindet, weil es dem Begriff der “Grenze” per se widerspricht, schlage ich also vor, eher davon zu sprechen, dass der inhibitorische oder der katalysatorische Aspekt in den Vordergrund gestellt wird. Vielleicht betreibe ich hier nur Haarspalterei. Allerdings denke ich, auch wenn es dabei scheinbar nur um eine Kleinigkeit geht, dass eine Änderung der Terminologie einen bescheidenen Anfang darstellen kann, um aus der eingefahrenen Rhetorik auszubrechen.

    Meiner Meinung wäre ein Lösungsansatz für das aktuelle Problem, sehr allgemein und abstrakt gesprochen, vorauszusetzen, dass ein bestimmter Katalysvorgang in jedem Fall notwendig und nicht ausschließbar ist, auch wenn der inhibitorische Aspekt in den Vordergrund gestellt wird, wobei das nicht bedeutet, dass ich für eine Offenheit plädiere, sondern für einen für die aktuelle Ausanhmesituation adäquat optimierten Katalyseprozess.

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