Strandszene

tsunami_6_by_daikamura_002

Ein vor 10 Jahren verfasster Text “Katastrophen 1906/2006” war durch einen Tsunami im indischen Ozean ausgelöst. Die Reaktion auf Naturkatastrophen enthält neuerdings auch ihre live Dokumentation, bis zum Extremfall, in dem eine Kamera, deren Besitzer ertrunken sind, ans Land gespült wird. Weiter kann Reality-TV nicht mehr gehen. Das Publikum betrachtet in Bildern die Überwältigung der Photographinnen durch den Tod.
 

Ein Blog aus Weimar hat das Szenario mit ausgesuchten Abbildungen illustriert.

ChriswellWashedUp

Das Bild Warren Criswells von 2004 trifft 2016 einen wunden Punkt. Es erinnert an das Strandfoto das ertrunkenen Alan Kurdi, das im Herbst 2015 – wie man früher sagte – “durch die Presse ging”, was heutzutage heißt: sich rasch im Internet verbreitete. Schrifttafeln mit der Aufschrift “Je suis Aylan Kurdi” demonstrierten spontane Solidarität mit dem Opfer.

Eine anspruchsvollere Kundgebung stammt vom chinesischen Künstler Ai Weiwei. Er hat sich für die Zeitung India Today an einen Strand gelegt.

ich-bin-aylan-kurdi-lautet-die

 
Ai Weiwei besetzt einen Knotenpunkt zwischen Naturgewalt, Schiffbruch, Flüchtlingsschicksal, Großkünstler und Medienrummel. Anne-Catherine Simon beschreibt sein Unternehmen ausführlich und zielsicher in “Die Presse”. Auch Julia Voss’ Beitrag in der “Frankfurter Allgemeinen” ist lesenswert. Ein hyper-polemischer Vertreter der Gegenseite ist Niru Ratnam in “The Spectator”:

Ai Weiwei’s Aylan Kurdi image is crude, thoughtless and egotistical.

Niru Ratnam schreckt nicht vor simplen Anzüglichkeiten zurück:

The artist, looking a good deal heavier than the toddler, lies prone on the beach in a restful pose. …
He is not in the same position as Kurdi for the simple reason that, after the photo-shoot, he got up, dusted himself down and returned to whatever leading international artists do, as opposed to Kurdi, whose dead body was carefully picked up by a police officer.

Ai Weiwei hat sicherlich mehr Körpergewicht als das Kleinkind und ist, anders als Alan Kurdi, am Leben. Was sagt das über seine Demonstration? (Siehe dagegen Anne-Catherine Simon!) In einem gedankenarmen Beitrag schließt sich Anne Katrin Fessler der Mäkelei an: “Geschmacklos und zynisch, so lauteten auch die Vorwürfe, als India Today Ai Weiwei als den ertrunkenen Buben Aylan Kurdi reinszenierte und das Foto auf einer Kunstmesse als ‘ikonisches Bild’ präsentierte.”

Anne Katrin Fessler stört es, dass Touristen ohne nachzudenken Fotos von Ai Weiweis Installation im Belvedere machen. Sie schließt mit einem sonderbaren Gedankengang und einer koketten Pirouette.

Ist es womöglich subversiv, wenn sich die Tragödie so in die Urlaubsfotos von Ahnungslosen schleicht? Nein, denn dann würde sich Ai Weiwei ja selbst auf den Leim gehen: Am Dienstag posierten vor der Installation mit Mahnmalcharakter auch die derzeit wegen Compliance-Vorwürfen stark unter Druck stehende Belvedere-Direktorin Agnes Husslein und ihr weltberühmter Künstler. Einzig der für den Fototermin angekündigte Kulturminister fehlte zum Glück.”

Es ist, so impliziert Anne K. Fessler, nicht subversiv, wenn ahnungslose Touristen Fotos anfertigen, weil Ai Weiwei sich dann selbst auf den Leim gehen würde. Wie bitte? Wo ist die Endredaktion der Tageszeitung geblieben? Und welche niedrigen Instinkte bedient sie, wenn zum Abschluss noch eine Watschn für die diskreditierte Museumsdirektorin untergebracht wird?

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.