Bezogen auf eine kleine dörfliche Siedlung, ist die Tätigkeit am Acker eine Transzendenz. Gerade in Niederösterreich, sind die Äcker im Frühling strukturierte “Leere”:
Riesige Flächen Erde, strukturiert von Windschutzgürteln. Ein Spiel-Raum, aber ein existenzieller. Ohne Acker keine Ernte. Ohne Ernte kein Überleben, nicht nur der Bauern sondern der ganzen Siedlung (minus die globalen Import- und Handelsmöglichkeiten, die dieses Verhältnis graduell ent-dramatisieren).
Diese Transzendenz, die über den Horizont des Dorfes hinausgeht, ist ein Übersteigen im räumlichen Sinne, d.h. eine Expansion, eine Bewirtschaftung, eingeschränkt und eingebettet durch einen gesellschaftlich erarbeiteten Flächenwidmungsplan. Die Fläche ist einem Zweck gewidmet, d.h. es wird hier (einmal) etwas (Bestimmtes) sein (was sich ernten lässt). Die Expansion, die über den Lebensraum des Dorfes hinausgeht, ‘sichert’ die Existenz. Es ist etwas subtiler: Die Subjektivität des Bauern hängt ab von (1) der Strukturierung, Bearbeitung, und Pflege des Raumes außerhalb des unmittelbaren Wohn- & Lebensraums, und (2) der Verausgabung seines Körpers zur Affirmation dieser räumlichen Abhängigkeit und der versuchten Entschärfung derselben Abhängigkeit.
Die zweck-gebundene Gemeinschaft mit ihrer räumlichen Expansion hat, wie jeder Zusammenschluss aus Menschen nach Gilden, Bünden, oder professionellen Communities (“Cybersecurity Group of Interest” usw.) den Nachteil der Partikularität der Ziele. Es geht im Leben nicht nur um Felder und Ernten, und selbst wenn das so wäre, wird die Art der Bewirtschaftung innerhalb dieses Ziels von einer vorherrschenden Meinung dominiert. Die räumliche Überschreitung einer Grenze bedeutet keine Überschreitung der gewohnten (“bewährten”) Erfahrungen und Betätigungsfelder (im konkretesten Sinne). Wenn man einem Bauern mit Cybersecurity kommt, stößt man auf Unverständnis (Und umgekehrt). Oder monothematisch: Konventioneller Landbau spießt sich mit Bio-Landbau. Andererseits, warum soll es keine Bauern geben, die auch Cybersecurity-Interessiert sind (Punkt 2 der Subjektivität, die Entschärfung der räumlichen Abhängigkeit, macht es möglich)?
Die Flächenwidmung ist eine politische Frage. Die Übersetzbarkeit und Diskussion verschiedener Bestrebungen und Ansichten in einer losen (die Bünde übergreifenden) Gesellschaft ist ein Thema von ‘Zivilgesellschaft’ und den Medien. Die strategische Ausnützung von Meinungsbildungsprozessen der Zivilgesellschaft wiederum ist die Basis von Volksparteien. Man möchte Themen für sich beanspruchen, die möglichst viele Wählergruppen ansprechen, um breite Unterstützung zu erhalten, Entscheidungen zu treffen, und, so das Versprechen, die Menschen der Region zu repräsentieren.
Hier wird nicht der Raum überschritten, sondern die Orientierung durch die verschiedenen, inflexiblen, partikularen Ziele. Überschreitung (darüber schreiten) bedeutet hier das Ignorieren der Inflexibilität bei Entscheidungen darüber, was wichtig ist (für die Widmung der Flächen).
Diese Einschätzung von Volksparteien vergisst, dass die Gründung solcher Parteien möglich war aufgrund von Ideen zusätzlich zur Ignoranz der Inflexibilität, die einen attraktiven Horizont vorgeben, innerhalb dessen man flexibel sein kann. Quer durch die Themen und Interessenslagen der Leute kann man mit übergreifenden Ideen vorwärts kommen. Dadurch verachtet diese Transzendenz die Zweckgebundenheit der Bünde nicht (unbedingt), stellt sie aber in einem umfassenderen Zusammenhang, durch den die Kompatibilität mit anderen partikularen Zwecken hergestellt werden kann.
Diese Ideen haben verschiedenste Leute bewegt, sich unter einer Flagge zu versammeln, und zwar obwohl Cybersecurity und Feldbewirtschaftung sich wohl nicht darüber einig werden, was der Staat vorsehen soll (im Sinne des Flächenwidmungsplanes und seinen Äquivalenten), und obwohl Bio-Landbau und konventioneller Landbau sich in zentralen Punkten widersprechen.
Diese Ideen kommen in einer Fassung, die historisch Bedeutung gewonnen hat. Sie schaffen es, Stimmungen zu bündeln (manches scharf zu formulieren, anderes abzuflachen, Alternativen verblassen zu lassen), Prioritäten verständlich zu machen, und Irrelevantes offen zu lassen.
Die Offenheit und der Verschluss der Originalfassung der Ideen können sich später rächen. Denn genauso wie bei meiner naiven Vorstellung der Bauern: Die Orientierung an der Originalfassung zementiert einen bestimmten Horizont ein bzw. macht eine Praxis des Laissez-faire selbstverständlich, die wichtige Probleme unsichtbar macht.
Nun liegt die Frage nahe, wie ernst man es mit der Treue zu den Gründungsideen nimmt. Oft sind diese Gründungsideen nur eine unter vielen Faktoren für Entscheidungen die die Gegenwart betreffen, und nicht der Maßstab für Entscheidungen.
Auch die Orientierung an Ideen (bzw. danach die Prinzipientreue) lässt sich überschreiten. Angenommen den Fall, dass man nicht zu neuen Ideen kommt, dann landen wir beim Pragmatismus oder Opportunismus: Die historisch wichtig gewordenen Ideen der Gemeinschaft bilden dabei nicht die Basis für Handlungen und Entscheidungen, sondern werden durch die pragmatische Brille verwässert, oder die am Einfluss orientierte Brille preisgegeben aber durch leere Phrasen verteidigt.
Pragmatismus: Lass uns einen Kompromiss finden, der auch der Konfliktparteie, die die Orientierung an der Idee herausfordert, mehr oder weniger gerecht wird. Reden wir darüber. Es gibt bestimmt eine Lösung.
Opportunismus: Wir orientieren uns an der Mehrheitsmeinung. Doch wie kann man argumentieren, um nicht prinzipienlos zu erscheinen? Wie antwortet man auf eine Interviewfrage: “Wie christlich-sozial ist die ÖVP noch?”? Man möchte authentisch erscheinen, ohne es zu sein.
Eine kritsiche Analyse darüber, wie es um die Prinzipientreue einer Partei und Gemeinschaft steht, bei konkreten Entscheidungen, und eine Analye über die Aktualität dieser Prinzipien, wird man nicht leicht wagen; das würde ja implizieren, dass man nicht mehr überzeugt ist von seiner Prinzipientreue oder den Prinzipien. Fragen würden aufkommen: Haben sich die Parteigründer geirrt? Müssen sie heute korrigiert werden? Muss ‘das Heute’ korrigiert werden? Oder beides?
Pragmatiker würden hier statt dieser Retrospektive zeigen, wie wichtig es ist, statt einer Beschäftigung mit sich selbst, weiterzumachen, und wenn sie clever sind argumentieren, dass die Gemeinschaft getragen von, aber nicht fixiert auf, die Ideen der Vergangenheit ist. Die Vergangenheit braucht darum nicht in den Fokus des Interesses zu kommen.
Es sind trotz Pragmatismus oft Analysen, Rückblicke, Abrechnungen, Vergleiche (in welcher Genauigkeit und mit welchen Motiven auch immer) mit Bezug auf die Vergangenheit gemacht worden (Die Diagnose “Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit” zu Beginn bei Christian Kern, bzw. die jüngsten Gedanken von Reinhold Mitterlehner zur Gefahr des Umbaus Österreichs zu einer autoritären Demokratie).
Ist die Reflexionsfähigkeit, oder sagen wir der Reflexionswille, mit dem auch eine Art von Zögern einhergeht, zweckwidrig oder fremdartig für eine Volkspartei oder ähnliche aus heterogenen Interessen zusammengesetzten Gemeinschaften? Sind Zweifel daran, ob man wirklich getragen ist von den Ideen der Gründungsväter, oder ob es gut ist, dass man von ihnen getragen ist, angebracht, oder schwächen sie ‘den Flow’ jener Initiative, die man doch “im Prinzip” unterstützt?
Man kann den Gedanken nicht ganz wegwischen, dass Pragmatismus und Kompromiss vor allem in Zusammenhängen relevant sind, die nicht einseitig beeinflussbar, oder nicht überschaubar, sind, d.h. wo es nicht möglich ist die verschiedenen Interessen mit Hilfe einer (neuen/erneuerten) attraktiven Idee zusammenzuführen, und wo die Tragfähigkeit der vergangenen Ideenfassung zu Wünschen übrig lässt. Pragmatismus und Flexibilität sind verständlich in aporetischen Situationen, in denen weiterhin ‘Flächenwidmungen’ gemacht werden müssen, jedoch die Ideenfassung fehlt (oder nicht greift), die unabhängig von der Mehrheitsmeinung orientiert.
Es ist, um eine Antwort auf die im vorletzten Absatz gestellten Fragen zu versuchen, ein Schritt zu viel des Pragmatismus einer Gemeinschaft, wenn er diese Analysen unterbinden oder abwehren möchte.
Denn Parteimitglieder sind zum Teil aus idealistischen Motiven in die Politik und in eine bestimmte Partei eingestiegen. Wenn sich diese hinstellen, die Partei kritisieren, und im selben Atemzug sagen, dass man Teil dieser kritisierten Partei ist und (immer) bleiben wird, dann liegt diese Einstellung quer zum Pragmatismus (und den ‘faulen’ Kompromissen) und gegen den Opportunismus, welcher versucht die Mehrheitsmeinung (oder zumindest was davon durch Meinungsumfragen, ‘Gespühr’, und Marktforschung sichtbar geworden ist ) bei Themen, die durch Zivilgesellschaft und Medien aufgeladen wurden, als Orientierung zu nehmen.
Diese Mischung aus Zweifel und Interesse an der gegenwärtigen Prinzipientreue oder an der Originalfassung der Prinzipien ist eine Art von Transzendenz, die weder in einer Expansion endet, noch in einer Idee, noch in einer Pragmatik (und vom Jenseits war nicht die Rede). Dieser Zweifel aus Interesse ist negativ und manchmal nötig. Er überschreitet, oder man sollte besser sagen durchschreitet, diese Optionen, kommt aber nicht selbständig zu einer neuen Lösung. Er diagnostiziert die Absenz von Orientierung durch das Interesse an einer möglichen Präsenz und ihrer Flächenwidmung, (1) mit dem Risiko in Melancholie oder Pessimismus zu kippen, was Pragmatismus und Opportunismus weiter stärkt, und (2) mit der Chance auf Erneuerung, die auch schiefgehen kann.