Wissenschaft in der Krise. 2 Interpretationen

Heute abend fand eine Podiumsdiskussion zum Thema Wissenschaft in der Krise. Die aktuelle Wirtschaftskrise und Anforderungen an wissenschaftliche Forschung statt. Vorweg muss ich sagen, dass man, um der Diskussion vernünftig folgen zu können, mehr Ahnung von Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaften haben sollte als ich. Deswegen verstehen sich die folgenden Notizen nur als eine Art Dokumentation der Diskussion ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder einer Plausibilitätsprüfung.

igwt_dollarbills

Es gab zwei Phasen ohne Diskussion (Gründe der Krise und Rolle der Wissenschaften in der Krise) und eine Schlussphase mit einem unerwarteten Intermezzo über ein aktuell heißes hochschulpolitisches Thema der Uni Wien (Stichwort: Kollektivvertrag), wobei aber von Seiten der Moderation versucht wurde zu verhindern, dass der Rest der Diskussion durch dieses Thema beherrscht wurde (was sich IMHO nicht völlig verhindern ließ).
1. Runde: Ursachen für die Krise


In der ersten Runde wurden die 4 Personen auf dem Podium gebeten, etwas über die Gründe der aktuellen Krise (Finanz- und Wirtschaftskrise) zu sagen.

Michalitsch:

Die Ursachen liegen in der Politik der Liberalisierung und Deregulierung (auch der Daseinsvorsorge):

  • Es kam zu Instabilitäten am Finanzmarkt, Spekulationen und dadurch zu Unsicherheit
  • Die Banken vernachlässigten ihre Rolle als Kapitalgeber für Investitionen und wurden zu “Asset Manager”
  • Die Internationale Politik hat es zugelassen, Spekulationsgewinne nicht zu besteuern

Für Michalitsch ging der ökonomischen Krise eine soziale Krise voran, die erst allmählich sichtbar wird.

Ihr Vorschlag geht in die Richtung, mehr in die Zivilgeselslchaft zu investieren, denn diese hätten die Ideen ohnehin in ihren Schubladen, man müsste sie nur fördern.

Winckler:

Winckler ging zunächst auf die Entwicklung in den 70er Jahren ein: Erdölpreis-Schocks (Schrumpfen der Ökonomie). Es gab eine Reihe von Maßnahmen, doch im nachhinein betrachtet führten diese Maßnahmen zu etwas, was man “Stagflation” nannte. Carter hat die Politik umgedreht, als er das erkannte; er wollte Vollbeschäftigung über eine neue Geld- und Ordnungspolitik erreichen. Und dies dürfte bis vor Kurzem gut gegangen sein – die Wirtschaft wuchs. Jedoch trieb der Finanzsektor unkontrollierbare Blüten (“die selbst die Erfinder dieser Finanzprodukte nicht kontrollieren konnten”). Man dachte, man könne relativ einfach und schnell Gewinne im Finanzsektor generieren und diese Gewinne würden sich auf Konsum und Realökonomie übertragen.

Winckler bezieht sich nun auf Keynes, der vorhergesagt hat, dass Marktwirtschaft generell das Problem habe, dass der Finanzsektor zu dominant werde. Die Entwicklung des Finanzsektors orientiere sich außerdem entweder an zu optimistischen oder zu pessimistischen Einschätzungen. Keynes Vorschlag ist: Fiskalpolitik, die folgendermaßen paraphrasiert werden kann:

“Alles für den Investor und nichts für den Rentier” oder “Euthanasie des Rentiers”.

Scherrer:

Kreditderivate sind Formen privaten Geldes, das vom Staat nicht überwacht wurde.
Lehman Brothers hat für ihre Finanz-Produkte selbst 1$ eingesetzt, und 33$ von anderen Leuten.

———-

2. Runde: die Rolle der Wissenschaften in der Krise

In der zweiten Runde ging es um die Frage, welche Rolle Wissenschaft und Forschung spielen, um der Krise entgegen zu wirken (wobei die Wendung “Wissenschaften in der Krise” auch eine zweite Interpretation zulässt, die später in der Diskussion aufgegriffen wird):

Michalitsch:


Foucault: Welche Wahrheitswerte hat Macht? Welche Fragen werden gefördert/nicht gefördert?

Die Debatte rund um Wissenschaft ist fokusiert auf Exzellenz und Spitzenleistung auf der einen Seite, und Prekarisierung von Wissenschaftlerinnen (m/w) auf der anderen Seite. Es gibt bei den Forschenden einen hohen Grad an unbezahlter Arbeit. Damit zu leben ist auch eine Spitzenleistung.

Welche Fragen werden nicht fokusiert?
– Feministische Theorie
– Nachvollziehen der Zusammenhänge, die Volkswirtschaftlehre und Politikwissenschaften (im Bereich der “Politischen Ökonomie“) getrennt untersuchen. Mann muss den Gesamtzusammenhang verstehen und das wurde bislang stark vernachlässigt.
– Bei den Wirtschaftswissenschaften scheint nur ein Paradigma forciert zu werden, anstatt dass man auch andere Alternativen beleuchtet. Zum Beispiel hat Michalitsch auf der WU beobachtet, dass Betriebswirtschaftslehre (BWL) fokusiert wird auf Kosten der Volkswirtschaftslehre (VWL) (eine bestimmte Professur im “Institut für Institutionelle & Heterodoxe Ökonomie” Prof. Leonhard Bauer – wurde gar nicht mehr nachbesetzt)

Michalitsch’s Forderung ist, die Systemzusammenhänge viel genauer zu erforschen.

Winckler:

Stimmt zu: Das Interesse an VWL ist Krisenabhängig. In den 70er-Jahren gab es ein großes Interesse an VWL, das später jedoch in Richtung BWL soweit abgebaut wurde, dass VWL-Professoren um ihre Jobs bangten. Die Universität Wien habe nach Winckler diesen Schwenk nicht in dieser Radikalität vollzogen. “Wir wollen eine starke VWL”. Er stellt außerdem in Aussicht, dass das Interesse an VWL wieder steigen wird.

Bezüglich dem Verhältnis von Politikwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften:
– Die Forschungsgegenstände dieser beiden Disziplinen decken sich in vielerlei Hinsicht. Große Ökonomen wie Adam Smith, Marx, Keynes, Hayek waren sich dem immer bewusst.

Winckler sieht aber den Unterschied zwischen Ökonomen und Politikwissenschaften in der Bereitschaft, große Datenmengen zu analysieren und zur Theoriebildung zu verwenden. Die Ökonomen versuchen tendenziell durch Ökonometrie auf radikale Weise große Datenmengen anzusehen und ihre Theorien mit den Daten zu konfrontieren. “Die Theorien müssen sich an den Daten reiben. Die Politikwissenschaftler haben sich manchmal diese harte Arbeit erspart”. Die Ökonomie hat mit der Ökonometrie jedoch wahrscheinlich darauf verzichtet, die großen Geschichten zu erzählen, jedoch sagt Winckler mit Lyotard: Die Zeit der großen Geschichten ist vorbei. Wir müssen uns mit Daten auseinander setzen; Modelle bilden und die “Modelle an der Wirklichkeit reiben”.

Scherrer:

Muss schmunzeln bezüglich Winckler’s Einschätzung der Politikwissenschaften: “Die Daten sind nicht das Problem”.
Er stimmt Winckler aber zu: Die großen Ökonomen waren offen für soziale Fragen.

Auf dem 1-Dollarschein steht: “In god we trust.” aber letztendlich vertrauen wir auf die Banken.

Den Fehler, den die Mainstream-Ökonomie gemacht hat ist, sich zu sehr auf konkrete Annahmen der Mikroökonomie zu verlassen. So zum Beispiel die Annahme der “Rational Choice”, dass jedes Individum alle seine Entscheidungen nur aufgrund von persönlicher Nutzenmaximierung trifft. Für diese Ökonomen ist die Makroebene nur eine Ableitung aus dem Mikroverhalten der einzelnen Individuen. Nun hat jedoch Keynes die Vermutung formuliert, dass die Makroebene einer eigenen Logik gehorcht.

Man tut so, als sei das Individuum immer alleine bezüglich ihrer Entscheidungen und völlig unabhängig von gesellschaftspolitischer Grundstimmung oder anderen Einflüssen.

Die Ökonometrie ist eventuell eine Chance, indem dort versucht wird, durch Datenanalyse die Frage zu klären: Was passiert eigentlich in Wirklichkeit und was sagt aber unser Modell voraus? Jedoch darf man die Frage, woher die Daten kommen, nicht vernachlässigen. Viele Daten sind unzuverlässig und so würde man daneben greifen, wenn man alle Daten – egal von wo sie kommen – für gleichermaßen vertrauenswürdig hält.

————————————
3. Phase Hochschulpolitisches Intermezzo:

Die dritte Phase war für mich u.A. gruppendynamisch interessant. Im Publikum (geschätzte 80 Leute) saßen nämlich einige aus der “Arbeitsgemeinschaft: Zukunft der Wissenschaft” die die Fragerunde verwendeten, um über eine – ihrer Einschätzung zufolge – Unterfrage dieses Themas: “Wissenschaft in der Krise” zu sprechen zu kommen. Ich muss  gestehen, dass ich das Thema nicht genau verfolgt habe, und hier nur ungefähr ein paar Kern-Aussagen skizzieren kann (unter Zuhilfenahme des Flyers, der ausgeteilt wurde): Es geht um die Verhandlungen bezüglich des Kollektivvertrags (vermutlich für alle Universitätsmitarbeiterinnen (m/w)). Kritikpunkt ist nicht der Kollektivvertrag selbst sondern die Übergangsregeln zum selbigen:

Die von der uniko vorgeschlagenen Modifikationen der Übergangsbestimmungen sind sozial stark unausgewogen. Die ungleiche Verteilung zu Lasten der ohnehin finanziell und institutionell am wenigsten abgesicherten Beschäftigte, NachwuchswissenschafterInnen und UniversitätslektorInnen ist nicht hinnehmbar.


Stellungnahme von Winckler:

  • Eigentlich gehört dieses Thema nicht in diese Podiumsdiskussion. Er sei aber gesprächsbereit und um das zu zeigen, möchte er kurz dazu Stellung nehmen.
  • Der Kollektivvertrag steht kurz vor dem Abschluss.
  • Man muss dazu sagen, dass aufgrund von Entscheidungen in der Bundespolitik der Entscheidungsspielraum der Unis sehr gering ist.
  • Es gibt zu viele externe Lektorinnen. Wir müssen von dieser prekarisierten Form weg und “senior lecturers” einführen.
  • Die Universität Wien hat in den letzten Jahren sein Personal von 7000 auf 8000 erhöht. Wir müssen uns bemühen, diese große Zahl an Posten zu finanzieren.
  • Wir bekommen vom Bund 90% des Haushalts und wenn der Bund sagt, dass es weniger Geld gibt, dann müssen wir uns rund um diese Entscheidung arrangieren.
  • Die Budgetpolitik des Bundes / des Ministeriums ist letztlich für diese negativen Reaktionen verantwortlich.
  • Sie werden sehen – wenn Sie sich die aktuelle Bilanz ansehen, die in den nächsten Tagen veröffentlicht wird, dass die Universität Wien ein negatives Budget hat.

Weiterer Diskussionsbeitrag bzgl. “Themenverfehlung”:

  • Sie haben eine “Excellence Bubble” geschaffen.
  • In der Politikwissenschaft ist ersichtlich, dass es sich um eine Notverwaltung handelt, die die Uni Wien hier vornimmt. Es wird gespart bis zum Ende. Es müssen deshalb Seminare mit bis zu 70 Teilnehmerinnen stattfinden.

Etwas später, nachdem andere Diskussionsbeiträge zum ersten Interpretation des Themas an die Reihe kamen,  wurde eine kurze Antwort auf den “Excellence Bubble” von Winckler gegeben:
Der Frage, welche Qualität wissenschaftliche Leistung hat, muss sich die Universität auf jeden Fall stellen.

———————

Ansonsten waren noch folgende Schlussmeldungen interessant:
Scherrer:
Es könnte nötig sein, dass wir unseren amerikanischen/europäischen Lebensstil ändern müssen, damit soziale Sicherheit für alle möglich wird.

Außerdem: Plädoyier für Wissenschaftspluralismus: Es ist wichtig, viele unterschiedliceh Optionen zu haben: die Ökonomie muss sich öffnen und muss von der Leitidee: Menschen sollen ausschließlich Nutzenmaximiert denken wegkommen: “Menschen sollen nicht rein nutzenmaximierend entscheiden”. Dafür gab es noch einmal satten Applaus, der nicht nur von der Publikumsfraktion der AG kam.

———————
Obwohl ich zur Plausibilität vieler Aussagen nichts beisteuern kann, war der Abend für mich bereichernd. Bezüglich der Wahl der Personen am Podium fand ich die Sache ein wenig zu sehr überstrapaziert in Richtung Wirtschaftswissenschaften. Ich hätte mir zumindest noch eine Person aus dem juridischen Bereich und/oder der Soziologie und/oder der Philosophie gewünscht.

———————-

Zum Schluss noch eine Liste von zusätzlichen Informationen, die während der Diskussion erwähnt wurden und die eventuell zum Verständnis beitragen können:

Zur Podiumsdiskussion:


Ökonomische Autoren:

Philosophische Autoren:

Stichwörter:

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.