Tunesien: Gehen oder Bleiben?

Die Vision eines Innovationsviertels in Sousse
Bauarbeiten eines Gebäudes im Innovationsviertel

Die letzen 10 Tage war ich in Sousse in Tunesien. Dort fanden am Wochenende Präsidentschaftswahlen statt, nachdem der frühere Präsident, Beji Caid Essebsi, mit 92 Jahren verstarb, der sich seit der Unabhängigkeit Tunesiens von Frankreich erfolgreich etabliert hat. Es folgt ein kurzer Reisebericht über die IT-Wirtschaft einer Stadt, die hauptsächlich vom Tourismus bekannt ist.

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Verkörperte Philosophie? Platon und die Chief Philosophy Officers

Fachzeitschriften begnügen sich nicht damit, ihre Seiten für Kulturinformationen zu öffnen[…] Zur wissenschaftlichen Strenge der Analysen gesellen sich [..] dogmatische Legenden im Predigtton. Philosophien des Armen für Fachkader! Sie entsprechen indes einem Bedürfnis.
– Michel de Certeau: Die Gegenwart wagen. Aus: GlaubensSchwachheit (Kohlhammer 2009). S.83

In dem jüngsten Blog-Artikel aus dem “Manager Magazin” schreibt Personalberaterin und Präsidentin des Ethikverbandes der deutschen Wirtschaft Irina Kummert von Ihrer Beobachtung, dass immer mehr Menschen mit Philosophischer Ausbildung Karriere in der Wirtschaft machen und allmählich in der Führung von Unternehmen landen. Sie nennt Platon als Pate, der in seiner Konzeption des Idealstaats Philosophen in Herrschaftspositionen vorgesehen hat. Sie wären besonders geeignet, Gerechtigkeit in einer Gemeinschaft zu bewahren. In dem Artikel wird dann in weiterer Folge Platon zum Vordenker für Team-Work und Heterarchie und kompatibel mit der “Intelligenz der Vielen” gemacht.

Es folgt eine kurze Kritik an der gefilterten Darstellung Platons sowie der affirmativen Bewerbung dieser Art von Karriere, ohne die Risiken zu nennen und ohne auf Brüche zwischen der Tradition Platos und den Dynamiken von (gegenwärtigen) Betriebsstätten aufmerksam zu machen. Daran schließt sich eine weitere Überlegung über die prekäre Situation verkörperter Philosophie. Sie kann sich nicht für immer auf das vorgängige, ‘gespeicherte’ Training verlassen. Sie ist eine Zusatz-Anstrengung die den stattfindenden Dynamiken der Umgebung eine  retardierende Wendung gibt, dessen Nutzen nicht greifbar ist und die nicht primär an den Bedürfnissen des Unternehmens orientiert ist, obwohl sie diese registriert und im gelungenen Fall informiert. Das geht auch in die andere Richtung: Die verkörperte Philsophie wird von den Unternehmensdynamiken registriert und – hier ist das Risiko – inkorporiert.

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If Libussa had a Blockchain

The hesitant Austrian writer Franz Grillparzer and his drama “Libussa” from 1848 inspired Herbert Hrachovec and Walter Seitter at the end of a podcast to diagnose contemporary democracies and the role of money. That diagnosis could benefit from a reference to recent developments in monetary systems by bitcoin and blockchain. And the other way around: The “elimination of middlemen” through cryptography and peer to peer networks is an idea that can benefit from hesitation.

 

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“better to die ten years from now”

In der aktuellen Ausgabe des New Left Review findet sich ein Gespräch mit Richard Duncan, dem Autor zweier Bücher über die Dollarkrise, Globalisierung und Schuldenfalle.

Er skizziert drei Möglichkeiten, mit der auf Dauer unhaltbaren Praxis umzugehen, stagnierende Volkswirtschaften durch massive Staatsverschuldung anzukurbeln. Die erste Option ist ein drastischer Sparkurs. Er würde direkt in eine globale Rezession führen. Die dritte Möglichkeit, die Duncan empfiehlt, sind weitreichende Programme zur Förderung der Infrastruktur und Produktivität, speziell in den Sektoren Energiewirtschaft und Pharmakologie. Dazwischen liegt das folgende Szenario (Duncan spricht von der US-Regierung):

They can carry on doing this for another five years with very little difficulty, and maybe even for ten years. The US government debt is only 100 per cent of GDP, so they could carry on for another five years and still not hit 150 per cent. But though it’s not clear how high it can go, it can’t go on forever. Sooner or later — say, ten or fifteen years from now — the us government will be just as bankrupt as Greece, and the American economy will collapse into a new Great Depression. So, that’s option two. It’s better than option one, because it’s better to die ten years from now than to die now; but it’s not ideal.

Diese Beschreibung trifft die gegenwärtige Lage. Wir finden uns eingeklemmt zwischen

  • der “revolutionären” Forderung, die bisherige Wirtschaftpolitik zugunsten drastischer fiskaler Einsparungen aufzugeben
  • der optimistischen Zukunftsperspektive, die Weltwirtschaft wäre durch Investitionen zu retten, die nicht dem herrschenden Bankwesen, sondern der Erschließung neuartiger Ressourcen dienen

Auf der einen Seite der augenblickliche Kollaps, auf der anderen der künftige Erfolg, dazwischen: “Wir sind noch einmal davongekommen.” Und nochmals, und nochmals. Aber irgendwann ist Schluss.

Eigenartiger Weise ist das auch eine Beschreibung, wie jedes menschliche Leben abläuft — und endet. Wenn man sich vor Augen hält, dass in Europa vor 70 Jahren Millionen Menschen getötet worden sind, stellt sich die Frage, ob der gepriesene Friede nach dem 2. Weltkrieg nicht abermals auf ein Massensterben hinausläuft.

Kooperation – Opium für Peers?

Gegeben sei eine Organisation mit eingefahrenen Strukturen, einer Kultur des (Zusammen-)Arbeitens und einer Strategie, Ziele und Aufgaben zu bearbeiten. Im Laufe der Zeit kommt es zu neuen Situationen, die für eine Veränderung des aktuellen Zustandes sprechen.

Gesucht ist ein Weg, der neuen Situation gerecht zu werden. Erarbeiten Sie einen Weg, wie die Entscheidungsträger die Organisation nachhaltig verändern und dabei die definierten Ziele erreichen können. Beachten Sie dabei stets die sozialen und psychologischen Phänomene, die bei Verändungen auftreten können (Vgl. Abbildung: Tal der Tränen sowie das 3-Phasen-Modell von Kurt Lewin).

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Zugangsbeschränkungen rekursiv.

Heute im Plenum des Audimax drehte sich ein Teil der Diskussion um die Frage, ob der Zugang zur Galerie aus technischen Gründen (Einsturzgefahr) beschränkt wird und wie man das handhabt. Gestern beim Bauchklang-Konzert gab es eine Überfüllung der Galerie. Die AG Krisenintervention ist unmittelbar eingeschritten und hat die Galerie abgesperrt. Außerdem seien im Falle eines Brandfalles die Fluchtwege nicht frei gewesen, weil alle Wege hoffnungslos überfüllt waren.

galerie. zugangsbeschränkt?

Das ist ein Punkt, wo man sieht, dass es Informationen gibt, die nicht einfach ignoriert werden können, und die anstelle einer breiten Diskussion unmittelbaren Handlungsbedarf erfordern. Die Unis brennen nicht umsonst: Wir haben gehandelt und stören den regulären Universitätsbetrieb. Jetzt können wir diskutieren. Doch der geschaffene Freiraum unterliegt selbst Einschränkungen, mit denen wir umgehen müssen.

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Zurich Kundenservice

In unregelmäßigen Abständen packt mich der Ärger über die sprachliche Schlamperei, die an der Universität ausgebrochen ist. Die Umstellung zu einem Unternehmen läßt ehemalige Standards des korrekten Ausdrucks leicht in Vergessenheit geraten. Manchmal denke ich: solche Ausrutscher würde sich eine Bank oder eine Versicherung niemals erlauben.

Ein frommer Irrtum. Die Zurich schickt mir einen Brief, um mich als Kunden ihrer KFZ-Versicherung zu gewinnen. Ich stutze: in der 2. Zeile ein das-Fehler:

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Der zweite Absatz beginnt sprachlich unbeholfen. Es sollte besser heißen: “Wenn Sie ihr Auto immer benötigen”. Und dann entwickelt er das interessante Konzept der “Pannen oder Unfällen bis zu 6 Tagen”.

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Dauern die Pannen sechs Tage? Oder soll das Tage und nicht Tagen heißen:”bis zu 6 Tage einen Ersatzwagen zur Verfügung”. Nun gut, das ist ein wenig beckmesserisch. Aber “Fahrläsigkeit”?

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Zum Abschied, damit Sie sich persönlich angesprochen fühlen, das etwas andere Angebot:

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Hier der Brief im Ganzen.

un-flach

Dienstag das im vorigen Beitrag kritisierte Interview, Mittwoch eine Überraschung, Jacques Ranciéres Das Unvernehmen. Das ist wirklich eine eindrucksvolle Schrift. Zwei Punkte finde ich besonders markant.

  • die athenische Demokratie ist sozusagen passiert
  • sie besteht in einer strategisch-prinzipiellen Verdrehung

Demokratie ist nicht primär ein Ideal, dem wir nachzueifern haben und das immer nur unvollkommen realisiert wird. Historisch gesehen ist diese Staatsform in Athen dadurch entstanden, dass verschuldete Bürger nicht mehr versklavt werden durften. Damit wurde eine “Isonomie” wirtschaftlich unvergleichbarer Personen(gruppen) geschaffen. Die Philosophie reagiert darauf.

Wer kein Geld hat und nicht durch besondere Fähigkeiten auffällt, hat dennoch eine Qualität: er darf das Schicksal der Stadt frei mitbestimmen. Diese Freiheit hängt zwar völlig in der Luft, weil ihr jede sachliche Unterfütterung fehlt, aber sie ist – durch das Gesetz der größeren Zahl – der bestimmende Machtfaktor der civitas. Die leere Freiheit regelt die sachlichen Entscheidungen, das ist von Anfang an schief.

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Foto: ArtGeneric. Flickr 2440553349

Wissenschaft in der Krise. 2 Interpretationen

Heute abend fand eine Podiumsdiskussion zum Thema Wissenschaft in der Krise. Die aktuelle Wirtschaftskrise und Anforderungen an wissenschaftliche Forschung statt. Vorweg muss ich sagen, dass man, um der Diskussion vernünftig folgen zu können, mehr Ahnung von Wirtschaftswissenschaften und Politikwissenschaften haben sollte als ich. Deswegen verstehen sich die folgenden Notizen nur als eine Art Dokumentation der Diskussion ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder einer Plausibilitätsprüfung.

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Es gab zwei Phasen ohne Diskussion (Gründe der Krise und Rolle der Wissenschaften in der Krise) und eine Schlussphase mit einem unerwarteten Intermezzo über ein aktuell heißes hochschulpolitisches Thema der Uni Wien (Stichwort: Kollektivvertrag), wobei aber von Seiten der Moderation versucht wurde zu verhindern, dass der Rest der Diskussion durch dieses Thema beherrscht wurde (was sich IMHO nicht völlig verhindern ließ).
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Das war nicht eine der üblichen Gewinn-Nachrichten oder Aufforderungen zur Beteiligung an großangelegten Finanztransaktionen, obwohl es sprachliche Anklänge gab. “Wir wenden uns an Sie, weil Sie eine wichtige Funktion im Europäischen Forschungsraum ausüben”. Eine französische Firma schrieb mir und bot Kurse zur erfolgreichen Antragsstellung für das 7. Rahmenprogramm der EU an.

Wenn man das Katalogbild direkt von der Website kopieren will, erhält man die freundliche Aufforderung, wegen einer Lizenzvereinbarung mit der Firma in Kontakt zu treten. Wenn man den Reiter “Bildung” wählt, startet ein unsäglicher Videoclip, den ich mir hier zu reproduzieren versage. Wenn man die Sätze des Briefes genau liest, zeigt sich, dass die Herrschaften einen Einführungskurs in Englisch brauchen könnten.

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Dear Herbert HRACHOVEC ,

Regarding your current position in your organisation Universität Wien, we think this information might be of interest for you.

Welcomeurope, specialist of European Funding and projects management, has identified you as a major actor of the Research and Innovation with the European level.

To entrance your skills within the 7th framework programme of Research and development (7th FP). Welcomeurope proposes 2 modules:

“Project preparation and proposal writing within the 7th framework programme (FP7)” 2nd April 2009 in Brussels,

“Managing research projects financed within the 7th framework programme (FP7)” 3rd April 2009 in Brussels.

Das ist alles sehr verständlich. In der Planung der PhD-Programme ist immer wieder die Rede davon, dass auch die sachgerechte Antragstellung gelehrt werden soll. Mit dem vielen Geld, das die EU zur Verfügung stellt, muss korrekt umgegangen werden und das kompliziert die Sache eben erheblich.

Dennoch gibt es eine ziemlich dunkle Seite. Langsam schleicht sich in Berufungskommissionen die Bereitschaft ein, das Requirieren von Projekten als fachliche Qualifikation anzuerkennen. Das ist eine Art masochistische Auslagerung der Fachexpertise an (teilweise) außer-akademische Akteure. Wer sich die besten Antrags-Designer leisten kann, reussiert. Die Universität richtet sich danach, welche Vorhaben extern Geld bringen. Vorsicht.