un-flach

Dienstag das im vorigen Beitrag kritisierte Interview, Mittwoch eine Überraschung, Jacques Ranciéres Das Unvernehmen. Das ist wirklich eine eindrucksvolle Schrift. Zwei Punkte finde ich besonders markant.

  • die athenische Demokratie ist sozusagen passiert
  • sie besteht in einer strategisch-prinzipiellen Verdrehung

Demokratie ist nicht primär ein Ideal, dem wir nachzueifern haben und das immer nur unvollkommen realisiert wird. Historisch gesehen ist diese Staatsform in Athen dadurch entstanden, dass verschuldete Bürger nicht mehr versklavt werden durften. Damit wurde eine “Isonomie” wirtschaftlich unvergleichbarer Personen(gruppen) geschaffen. Die Philosophie reagiert darauf.

Wer kein Geld hat und nicht durch besondere Fähigkeiten auffällt, hat dennoch eine Qualität: er darf das Schicksal der Stadt frei mitbestimmen. Diese Freiheit hängt zwar völlig in der Luft, weil ihr jede sachliche Unterfütterung fehlt, aber sie ist – durch das Gesetz der größeren Zahl – der bestimmende Machtfaktor der civitas. Die leere Freiheit regelt die sachlichen Entscheidungen, das ist von Anfang an schief.

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Foto: ArtGeneric. Flickr 2440553349

2 thoughts on “un-flach

  1. Ich lese in diesem Beitrag zwei Dinge heraus:

    1.) Die Philosophie ist in einem bestimmten Sinn nicht Erfinderin der Demokratie, sondern hat die in Athen entstandenen gesellschaftlichen Aktivitäten bemerkenswert gefunden und theoretisch untersucht. Allgemein: Es passiert etwas, die Philosophie nimmt dieses Ereignis als Ausgangspunkt für weitere Gedankengänge. Sie möchte wissen, welche Eigenschaften dieses Bild hat, welche Grenzen, Gefahren und Potentiale – im Vergleich zu anderen (früheren) Bildern. Am Ende kommt ein herausgeputztes Idealbild zum Vorschein, das es nie gegeben hat – das es nie geben wird, aber es schaut gut aus. (so etwas: http://bit.ly/AGNLJ )

    2.) Wenn Demokratie mit einer Freiheit arbeitet, die inhaltlich unbestimmt ist, dann ist sie nicht wünschenswert. Warum eigentlich nicht? Beziehungsweise: Gibt es eine Alternative zu dieser Leerstelle (ohne eine Metainstanz zu verwenden, dann wäre es leicht) und wenn ja welche?

  2. ad 1) Das klingt wie eine typisch philosophische Idee: vergiss das Geld und die Umstände, vergiss die Intelligenz und die Lobbies und betrachte jede Person nur für sich und alle als gleichberechtigt. Es ist ein kühner Gedanke, noch heute nicht ganz unumstritten. So etwas kann doch nur beim Philosophieren entstanden sein. Nun, es hat sich in Athen so ergeben. (Abgesehen Frauen und Sklaven natürlich.) Die Sophisten, Sokrates und Platon waren alles Reaktionen darauf. Es ist interessant zu sehen, wie unterschiedlich sie auf diese Radikalität der Umstände reagiert haben.

    ad) Ranciére stellt es so dar: das Volk schreibt sich die Freiheit zu. Ihm fehlt Geld und Expertenwissen. Damit ist es – in seiner einflusslosen Freiheit – der Träger für die Freiheit des Ganzen. Das ist im ersten Zugang unrecht. Es maßt sich eine Gleichheit an, hinter der nichts steht. Das ist (siehe oben) gerade die Demokratiekritik Platons. Bleibt die Frage nach der Alternative.

    Ranciére verteidigt diese Zumutung als den Streit, aus dem die Politik entsteht. Aber das heißt auch, eine platonische Qualitätsdifferenz zwischen pragmatische politische Verfahren und die Politik zu legen. Die Herausforderung des “open source”-Modells besteht darin, dass es eine andere Organisationsform “der Massen” bereitstellt.

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