Gespannt auf den Film “Hannah Arendt” mache ich mich nach der Arbeit auf den Weg ins Arthouse Picadilly in Zürich Stadelhofen. Der Infoscreen am Bahnhof zeigt Zugverspätungen in meine Richtung. Grund: “Personenunfall in Stadelhofen”, ausgerechnet. Ein Artikel im Medienportal blick.ch enthält ein Bild vom “betroffenen Gleis”. Nachdem ich mit Verspätung in Stadelhofen ankam, spürte ich die Betroffenheit nicht der Gleise, sondern der Menschen. Gegeben meine Zugerfahrung, kam mir die Stimmung zur Stoßzeit in einem Bahnhof noch nie so gelähmt und verstört vor. “Die Dauer der Störung ist unbestimmt.” Am Abend sucht die Stadtpolizei im WWW nach Hinweisen.
Und ich frage mich, was es bedeutet, wenn menschliches Unglück mit Verwaltungsterminologie beschrieben wird. Ist das die “Ideologie der Sachlichkeit”? Ich lande bei einem religionsphilosophischen Salon, der den Film „Hannah Arendt“ zum Anlass nimmt, um die Aktualität der Denkerin zu diskutieren. Das führt mich zu Alain Badious Buch “Ethik” und die Reaktionen auf die Hungerstreikenden Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche.
Am nächsten Morgen in besagtem Medienportal heißt es: “Unfall am Bahnhof Stadelhofen – Jetzt ist klar: Der Todessturz […] war ein Unfall”. Die Person erhält ein Alter, ein Geschlecht und eine Nationalität. Die Verspätungen der Bahn werden beiläufig im letzten Absatz erwähnt. So schnell ändern sich Prioritäten.