Ernüchterung

Ich denke, was man an der Uni lernen kann ist, sich mit weniger zufrieden zu geben, aber nicht weil man zu wenig ambitioniert wäre sondern weil man schmerzlich feststellt, dass Wissen nicht jene Art von Erfüllung, nicht die sinnstiftende Vereinigung mit dem Weltganzen herstellt, nach der der Wissensdurst verlangt. Man muss sich darauf einlassen, kleinteilige Untersuchungen durchzuführen.

So ging es mir als ich dieses Muster-Abstract als Vorbild für die verpflichtende Anmeldung zu einer Diplomarbeit las.

Eine ähnliche Befindlichkeit könnte sich seit diesem Semester schon zu Beginn des Informatik-Studiums an der TU Wien einstellen, wenn zwei Professoren vor der Studienanwärterin sitzen um sie über ihre vermutlich unrealistischen Vorstellungen zum Informatik-Studium aufzuklären.

Ernüchterungen sind einerseits eine wertvolle Erfahrung. Die Produktwerbung einer Kaffeemaschine verschweigt die Ernüchterung die sich einstellt wenn man realisiert, dass eine wöchentliche Wartung nötig ist sondern erzählt eine angenehme Geschichte zu ihrem Produkt, um die Profanität ihres “Gestells” zu übermalen.

Wissenschaft dagegen klärt uns auf, mit harten Fakten. Unabhängig davon ob wir es wissen wollen. Wirklich? Ideen, Paradigmen, Ansätze, Verfahren haben auch einen Kontext, eine Geschichte und eine Oberfläche. Es ist bekannt, dass von den meisten wissenschaftlichen Artikeln nur das Abstract, die Zusammenfassung und die Referenzen gelesen werden. Es wird daher zur Kunst, in vier Sätzen die Forschung von einem halben Jahr zusammenzufassen und so das Interesse zu wecken, um zum Lesen des ganzen Artikels zu verleiten und/oder um Blickwinkel zu kanonisieren.

Man darf ja nicht verschweigen, dass Studierende und Wissenschaftlerinnen genauso Menschen sind, die wolkige Visionen rezipieren (möchten) und wer weiß was sie verführt, eine Erklärung als einfach oder adäquat zu beurteilen.

Wie immer das mit unseren Wünschen sein mag.  Ich vermute, man muss zwei Ernüchterungen unterscheiden um zu sehen, dass meine Reaktion auf das Muster-Abstract ein bisschen was von beiden enthält:

  • Die eine ist zu verstehen, dass zu einer Diplomarbeit neben Ideen und Motivationen jedenfalls Detailarbeit dazugehört. Vergleichen, Überprüfen, Ausprobieren. Das kann schonmal eingangs gesetzte Erwartungen und Visionen enttäuschen. Das ist nicht traurig, sondern die einzige Hoffnung von wissenschaftlicher Arbeit: Dass sich durch dieses Prozedere etwas Ungeahntes herausstellt. Aus dem Grund ist es aus Sicht der Intuition zwar unglaublich, aber argumentierbar.
  • Die andere ist eine mehr persönliche Enttäuschung darüber, dass sich seine Erwartungen nicht erfüllen, dass also Anstrengungen in diese Richtung nichts bringen. Es ist wie wenn dir jemand bei einer Wanderung auf einen Berg von oben entgegenkommt und dich fragt, warum du dir das antust: Oben wäre es kalt und nebelig. Damit möchte ich sagen: Obwohl persönliche Rückmeldungen zur Studienwahl wichtig sein können: Man muss aufpassen, wie man diese Eingangsgespräche für Erstsemestrige abhält, da diese Erfahrungs-Asymmetrie ausgenutzt werden kann. Hoffentlich ist der Zweck nicht, die Zahl der Studierenden zu reduzieren, indem man jene Visionen zerstört, die nicht ins Leitbild passen.

7 thoughts on “Ernüchterung

  1. Die Unterscheidung am Schluß kann Unterschiedliches heißen. Einmal kann ich (1) erleben, daß die Bergtour / das Studium nicht das bringt, was man sich davon erwartet (so geht es wohl vielen Studienanfängern). Dann stellt sich (2) die Frage, ob das, was die Reise tatsächlich bringt, die Sache auch wert ist.

    Oder ich kann (1) ernüchtert sein von dem Ausmaß der Mühe, die das Unternehmen bedeutet; dann stehe ich (2) vor der Frage, ob am Ziel etwas ist, für das sich die Mühe lohnt.

    Das zweite Szenario ist irgendwie ein Sonderfall des ersten, denn “die Tour ist anstrengender, als ich gedacht hatte” ist ein Sonderfall von “die Tour ist nicht so, wie ich gedacht hatte”. Irgendwie aber auch nicht, denn den ersten Fall kann man so lesen, daß sich beide Punkte auf das Ziel beziehen; im zweiten Fall bezieht sich dezidiert der erste Punkt auf den Weg.

    Bei Studienfrustrationen spielt aber, meiner Erfahrung nach, noch eine andere Unterscheidung eine besondere Rolle: die zwischen Erwartungen, die einfach nicht realisierbar sind, und solchen, die möglich wären, die aber niemand anbietet.

  2. Dazu hab ich sehr viel auf unterschiedlichen Ebenen zu antworten. Ich versuch es mal strukturiert:

    1. Unterscheiden nach Herkunft
    Vielleicht war ich zu kryptisch. Was ich unterscheiden wollte, waren zwei Komponenten von “abkühlenden” Rückmeldungen im akademischen Betrieb, die vermischt auftreten können aber eine verschiedene Herkunft haben. (a) Eine Komponente geht zurück auf argumentierbare Zusammenhänge beim wissenschaftlichen Arbeiten. (b) Eine andere auf das Verwenden von bestehenden sozialen Verhältnissen (die zu Asymmetrien führen) zu bestimmten Zwecken.

    2. Existentielle Färbung
    Vielleicht war es schon zuviel und zu existentiell gesagt, die Rückmeldungen ernüchternd zu nennen. Es gibt eine breite Palette von Stimmungen, die man nach abkühlenden Rückmeldungen haben kann. Es kann einen ja auch erfrischen. 🙂 Wie man damit umgeht ist sozusagen persönlich. Frustration oder Enttäuschung sind noch härtere Begriffe.

    3. Keep cool
    Was aber denke ich nicht persönlich ist: Dass es diese Abkühlungsphasen gibt, die in den Stand versetzen, ins Detail zu gehen und Ungereimtheiten zu entdecken, für die man im “erhitzten” Zustand nicht offen ist. Es kann aber auch zur Unterkühlung kommen, das ist das Unterschreiten der Schwelle, ab der man noch einen intrinsischen Anreiz hat, etwas in diese Richtung zu tun. Wenn man diesem Artikel glauben schenkt, scheint es übrigens um die (dann noch verbleibenden) externen Anreize (Geld, Karriereaussichten) im deutschprachigen Wissenschaftsbetrieb schlecht bestellt : http://derstandard.at/1297215918529/derStandardat-Interview-Himmelfahrtskommando-akademische-Karriere .

    4. Nicht angebotene Erwartungen
    Ich finde, dass man Erwartungen nicht anbieten kann; sie wachsen und kommen auf einen im Rahmen eines Umfelds zu.

    Falls du es so meinst: Es kann abkühlend sein zu erkennen, dass es für sein Interesse keine lokale Community gibt. Wie reagiert man darauf? Man könnte etwa das Thema selbst und neu etablieren, es sei denn das Umfeld lässt das nicht zu (Ohne Diplomarbeitsbetreuerin kannst du keine Diplomarbeit zu einem exotischen Thema schreiben).

  3. Das heißt dann, die erste Form der “Ernüchterung” ist etwas anderes, als ich zunächst dachte. Zwar stürze ich mich zu Beginn eines Diplomprojekts (hoffentlich) voller Euphorie in die Arbeit, aber zur wissenschaftlichen Arbeit gehört eben viel Detailkram, den ich “nüchtern” und mit “kühlem Kopf” angehen muß. Im Lauf jeder Diplomarbeit klingt die anfängliche Euphorie irgendwann ab. “Frustrierend” kann diese Erfahrung als Ganzes werden, wenn man sich etwas anderes vorgestellt hat. Sonst besteht die Ernüchterung aber nur in der Abkehr von der Euphorie.

    gut, “nicht angebotene Erwartungen” war schlampig formuliert, natürlich wird nicht die Erwartung angeboten, sondern die Möglichkeit, sie zu erfüllen. Ich trete ein Studium an in der Erwartung, etwas über Fach xy zu lernen – bietet das Institut dafür auch Vorlesungen an?

    Was ich meinte, ist einfach: Wenn Studierende frustriert sind, weil die Realität des Studiums ihren Erwartungen widerspricht, kann man im Einzelfall immer darüber streiten, ob diese Realität nun einmal zu dieser Disziplin gehört oder ob sie an einem verkorksten Studienplan liegt, den man auch verbessern könnte. Jemand fängt zum Beispiel Archäologie an in der Erwartung, Ausgrabungsstätten zu sehen, merkt aber schließlich, daß sie ihr Studium nur in der Bibliothek verbringt.

    Da kann die eine Person sagen: “Nun, ich habe mir eine falsche Vorstellung vom Studium gemacht, wenn ich dachte, daß ich den ganzen Tag auf der Ausgrabung rumlaufe”, eine andere dagegen: “Das Studium, wie es hier realisiert ist, ist viel zu praxisfern und müßte dringend einmal reformiert werden.” Das habe ich deswegen erwähnt, weil über solche Sachen tatsächlich viel gestritten wird.

  4. Um es von der anderen Seite her zu beleuchten:

    Mein Beitrag zur einführenden Ringvorlesung vergangenes Semester waren Überlegungen zur Medienphilosophie; zur Rolle des Buches im Vergleich zur Elektronik. Das habe ich weitgehend im Anschluss an Wittgensteins Nachlass dargestellt, mit einem gehörigen Anteil technischer Details.

    Die nachfolgende Evaluation hat ergeben, dass ein unterdurchschnittlicher Prozentsatz der Studierenden durch diese Vorlesung dazu motiviert waren, in diese Richtung weiter zu machen. Und überdurchschnittlich viele waren der Ansicht, dass meine Ausführungen nicht leicht verständlich waren.

    Was soll ich machen? Die Vorlesung anpassen (am 17.3.2011), damit sie attraktiver und leichter zu erfassen ist? Also die Ernüchterung vermeiden? Oder die Überprüfungsagentur davon zu überzeugen suchen, dass die Studierenden unrecht haben? Oder soll ich sagen (ich gehe aus der Deckung): Wenn ihr es nicht versteht, dann versucht es doch bitte nochmals

  5. Die letzte Aufforderung kann ich nachvollziehen; darum geht es doch beim Studieren: Es nochmal zu probieren und wenn man scheitert nachzufragen. Natürlich kann einem nicht alles brennend interessieren.

    Erst gestern Abend dachte ich bei “Rhetorik und Argumentationstheorie”, dass ich vielleicht in der falschen Lehrveranstaltung sitze. Bis zum Ende konnte ich keinen Zusammenhang mit der Lehrveranstaltungsbeschreibung und dem Vortrag herstellen.

    Nachdem der Vortragende 20 Minuten über sein Institut und warum er keine E-Mails schreibt gesprochen hat, um danach zu beginnen, über indo-germanische Sprachen und dann im Speziellen über grammatikalische Ähnlichkeiten des Griechischen, Lateinischen und Deutschen zu sprechen, reduzierte sich kontinuierlich die Zahl der Hörerinnen auf etwa 30%. Bis zum Schluss war (bis auf die Prüfungstermine und ob sie schriftlich oder mündlich sein werden) nicht klar, was dieses Semester in dieser Lehrveranstaltung passieren würde. Als diente der ganze Vortrag hauptsächlich dem Zweck die Toleranzgrenzen von Studierenden auszuloten bzw. dieses Vorhaben durch mehr oder weniger unterhaltsame Ablenkungen zu verbergen.

    So kommt man also, nicht durch den Inhalt aber über die Form, zur Rhetorik. Eine Demonstration sozusagen. Wie dem auch sei, wenn das so weiter geht, werde ich einmal nachfragen, denn immerhin geht es doch auch um Inhalte, wenngleich sie nicht immer in Form von Bullet-Points artikuliert werden müssen. Mein Trost bis dahin: Die Pointe kommt vielleicht noch… 🙂

  6. Ich habe vor einiger Zeit von einem ähnlichen Fall gehört, ich glaube, von einem Freund, der mal Publizistik studiert hat. Dort hat der Dozent auch eine Stunde lang über dies und das geredet, bis er schließlich ungefähr sagte: “Sagt mal, was ist hier eigentlich los – ich rede seit einer Stunde über alles Mögliche, nur nicht über das Thema der Vorlesung, und keiner sagt was!” Die Antwort dieses Dozenten wäre also: nicht davonrennen und auch nicht noch einmal versuchen, sondern mal mit der Faust auf den Tisch schlagen. Das Spannende an dieser Perspektive ist, daß Durchhalten gerade keine studentische Tugend ist, sondern eine Form von Kadavergehorsam. Vielleicht sitzt ja diese Person die Vorlesung so lange aus, bis sich jemand rührt, und wenns bis Juli dauert (und ich habe gerade alles verraten und sollte mich schämen). Könnte aber theoretisch auch sein, daß sie schlecht vorbereitet war.

    Zum Studium gehört nicht nur, sich anzustrengen, es gehört auch dazu, zu klären, wofür man sich anstrengt. Wir stehen wohl ständig in einem Spannungsfeld zwischen dem Erfüllen von Aufgaben und ihrem Hinterfragen. Ich kann noch so duldsam an meinem Diplomprojekt frickeln – wenn ich nicht grundsätzlich eine Vorstellung davon habe, wofür ich das mache, werde ich diesen Dozenten damit nicht beeindrucken.

    Zur Vorlesung am Donnerstag fällt mir ein, daß es allzu leicht ist, sich in den technischen Details zu verzetteln. Eine Vorlesung, gerade eine Einführungsvorlesung, ist kein Diplomprojekt. Hier geht es um das Big Picture, nicht um den Kleinkram. Und auch bei einer Diplomarbeit mache ich den Kleinkram zuhause am Schreibtisch und nicht bei der Präsentation – bei der Präsentation interessiert die Leute nicht, wie lange ich am Schreibtisch gesessen bin, sondern welche Relevanz die Ergebnisse haben. Wenn die Studierenden den Vortrag schwer finden, ist das eine Sache. Wenn sie aber nicht motiviert sind, heißt das nicht, daß sie in das Thema noch Arbeit stecken müßten, sondern daß sie nicht wüßten wofür.

  7. Ich habe mir meine Unterlagen zur Ringvorlesung notgedrungen nochmals angesehen und festgestellt, dass sie tatsächlich schwach sind. Die Kritik war also berechtigt. Hoffentlich konnte ich die Vorlesung verbessern. Der Stachel bleibt jedoch. Auf der einen Seite der Ärger darüber, dass die eigene Anstrengung nicht gewürdigt wird; dass sich die Kritisierenden nicht anstrengen und einfach ihr Unbehagen äussern. Und auf der anderen Seite die Lehren, die man (auch) daraus ziehen kann.

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