Ein Auftritt des Künstlers und Absolventen des Philosophiestudiums David Wendefilm alias David Tynnauer in der Vorlesung “Antiakademisches Philosophieren” und die daran anschließende Diskussion im Philosophieforum hat mich dazu motiviert, einen unfertigen Blogpost über die Tätigkeit des Studierens umzuschreiben.
Alexander Van der Bellen hat in seiner letzten Rede im Parlament darauf hingewiesen, dass man an der Uni nicht lernt, wie man gute, ausgefeilte Reden vor einem großen Publikum hält, sondern “auf der Uni sind wir gewohnt, alles zu überdenken, neu zu prüfen; könnt nicht irgendwo ein Fehler sein, usw.”
Der Auftritt von Herrn Wendefilm wirkt sehr souverän; was angesichts der Rückmeldungen des Publikums und dessen, was man sonst so bei Referaten in Seminaren am Institut kennt, bemerkenswert ist. Ich möchte mir die Sache näher ansehen.
Wendefilm spricht über unerfüllte Erwartungen an das Studium der Philosophie und über akademische Tätigkeit an der Universität Wien im Allgemeinen. Er gibt an, nach seiner Lehre als Verkäufer Philosophie studiert zu haben, um etwas Erfüllendes zu machen. Daran schließt sich ein Vergleich von Professoren mit Ärzten an: So wie die Ärzte sich heute keine Zeit für ihre PatientInnen nehmen um sie von ihren Krankheiten zu heilen, so nimmt sich der Professor nicht seiner Studenten an, um die so brennende Frage nach der richtigen Lebensweise zu klären. Was man bekommt sind Massenveranstaltungen, lange Wartezeiten, Gedränge, und Standardrezepte.
Nietzsche beschreibt die Situation einer klassischen Vorlesung so:
Der Student hört. Wenn er spricht, wenn er sieht, wenn er gesellig ist, wenn er Künste treibt, kurz wenn er lebt, ist er selbständig das heisst unabhängig von der Bildungsanstalt. Sehr häufig schreibt der Student zugleich, während er hört. Dies sind die Momente, in denen er an der Nabelschnur der Universität hängt. Er kann sich wählen, was er hören will, er braucht nicht zu glauben, was er hört, er kann das Ohr schliessen, wenn er nicht hören mag. Dies ist die “akromatische” Lehrmethode.
Der Lehrer aber spricht zu diesen hörenden Studenten. Was er sonst denkt und thut, ist durch eine ungeheure Kluft von der Wahrnehmung des Studenten abgeschieden. Häufig liest der Professor, während er spricht. Im Allgemeinen will er möglichst viele solche Hörer haben, in der Noth begnügt er sich mit Wenigen, fast nie mit Einem. Ein redender Mund und sehr viele Ohren, mit halbsoviel schreibenden Händen – das ist der äusserliche akademische Apparat, das ist die in Thätigkeit gesetzte Bildungsmaschine der Universität. Im Übrigen ist der Besitzer dieses Mundes von den Besitzern der vielen Ohren getrennt und unabhängig: und diese doppelte Unabhängigkeit preist man mit Hochgefühl als “akademische Freiheit”.
Insofern passt der Auftritt zum Thema “antiakademisches Philosophieren” wie bestellt (der Vortragende wehrt sich im Übrigen zunächst nicht gegen die Störung von Wendefilm). Ich muss zugeben, dass ich die Beschreibung Nietzsches mancherorts passend finde. Ich selbst habe, wie überraschend, in den meisten Vorlesungen zugehört und mitgeschrieben – und finde nichts dabei, das zu tun, denn akademische Freiheit ist nicht hinreichend damit beschrieben, es geht auch um die Fragen, die man (sich) als Reaktion auf den Vortrag stellt.
Danach befragt, begründet ein älterer Zuhörer aus dem Publikum seine Anwesenheit in der Vorlesung “antiakademisches Philosophieren” damit, dass man auch fallweise in die Oper geht. Man lässt sich inspirieren vom Flow des Professors (auch der renovierte Hörsaal 33 hat noch das Katheder auf einem Podest stehen und es gibt eine Galerie für extragutem Blick auf den sprechenden/lesenden Professor).
Was ist die Reaktion von PhilosophiestudentInnen im Saal auf Herrn Wendefilms Ansprache? So wie wenn jemand eine Opernvorstellung stört: “Auf Wiedersehen”, “Wir wollen Sie nicht mehr sehen”, “Wir bitten Sie, den Raum zu verlassen”, “Wen interessiert das was du denkst?”, “Genug”, “Buh”, “Abschied”, “Wir wollen Liessmann hören”. Man denkt an Nietzsche und die Nabelschnur.
Ein weiterer Trigger, durch den die Tätigkeit des Studierens fragwürdig werden kann ist der folgende: Während einiger Prüfungen am Institut wird offenbar nicht ausreichend durch Aufsichtspersonen überprüft, mit welchen Hilfsmitteln man die Fragen beantwortet (Einflüsterungen, offene Skripten, Prüflinge die raus und rein gehen). Anders gesagt: Man erschummelt sich das Bestehen der Prüfung. Aus einer älteren Forumsdiskussion dazu ergibt sich das Argument, dass das ganze Studium keinen Sinn hat, wenn man nicht in der Lage ist, für sich selbst die Prüfung zu bearbeiten. “Studenten [sollen] ihr Studium ernst nehmen und der akademischen Bildung nicht noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit abschneiden. Schummeln ist nicht Äußerung einer Zweckorientiertheit, sondern Symptom beschämender Infantilität.” Die Institution Universität sollte die Einzelleistung der Studierenden überprüfen, um den Studiengang nicht zur Farce werden zu lassen.
Darauf wird geantwortet: “Die Universität gibt Wissen an Leute weiter, die es interessiert. Punkt. […] Wir sind schließlich nicht in der Medizin, wo Leben von einer profunden Ausbildung abhängen. […] Was gibt Dir das Recht, Erwartungen an die Weise zu stellen, wie andere Studenten ihr Studium auffassen?”
Was gibt uns das Recht? Ich brauche kein abgesichertes Recht, um Erwartungen an andere zu stellen, die sich aus meinem Verständnis von Studieren ergeben. Es gehört zum Studium, sich mit anderen (Kolleginnen, Professorinnen, Freundinnen,…) darüber zu verständigen, worum es in dem Studium geht, wofür man studiert, wie die gelernten Inhalte zurückwirken auf die Tätigkeit des Studierens? Wenn es egal wäre, könnte man den Eindruck haben: Es geht um nichts. Ein Minimalverstädnis zumindest mit jenen Leuten zu erzielen, mit denen man zusammenarbeitet, ist darum sinnvoll.
Herr Wendefilm ist enttäuscht darüber, dass es zwischenmenschliche Auseinandersetzungen dieser Art im Studium nicht gibt; man produziert nur isolierte Abschlussarbeiten die Altbekanntes wiederholen, die niemand liest, die nur dafür produziert werden, um einen Titel zu bekommen, nicht um (gemeinsam ethische) Probleme zu lösen.
Wendefilm hat jedoch den Duktus der Bildungsmaschine, gegen den er sich stellt, selbst verinnerlicht. Die Verbrennung seines Diplomzeugnisses hilft ihm nicht darüber hinweg, dass er den Mund repräsentiert und das Publikum die vielen Ohren (die aber nicht hören wollen). Anstatt während dem Studium die Auseinandersetzungen unter KollegInnen zu suchen, steigt er am Ende des Studiums aufs Podest und beklagt sich: Das was ich mache, das was wir alle machen, ist Müll. Unser Studium enthält “eine Ethik die nichts verändert, die nur da ist, damit wir uns selbst reden hören”. Und was ist der Status dieses Auftritts?
Es ist wie beim Faust’schen Seufzer gegen die Gelehrtenrepublik, den Friedrich Kittler auf geniale Weise zerlegt (Vgl. erstes Kapitel von F.Kittler: Aufschreibesysteme 1800-1900). Wendefilm beschwert sich, dass wir ein Leben lang nach Worten kramen und ständig die gleichen Phrasen wiederholen. Dem ist hinzuzufügen, dass der Gestus, sich hinzustellen und seinen Beschluss zu verkünden, im Doktorat “mit dem Abschreiben aufzuhören, und mit dem Denken anzufangen” ebenfalls eine Phrase ist, siehe Faust:
Das Pergament, ist das der heil’ge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.
Für mich ist der Auftritt amüsant anzusehen – auf Kosten der Glaubwürdigkeit, dass es um die Sache, nämlich Studieren am Institut für Philosophie, geht. Er zeigt aber auch: Das Publikum reagiert völlig emotional und versucht gar nicht erst, die Möglichkeit zur Diskussion zu nutzen. Fragen wie “wer liest denn die ganzen Abschlussarbeiten” und welchen Sinn haben sie, sind auch für mich brennend. Die Tatsache, dass der Auftritt professionell gefilmt wurde, gibt zumindest im Anschluss ausreichend Gelegenheit, den Event und das Thema zu analysieren – bzw. den Namen Wendefilm zu googeln und auf seine Homepage zu stoßen. 🙂
Nachdem der Zentrale Informatikdienst der Universität Wien demnächst meinen Account einfrieren wird und ich daher formal formell gesehen nicht länger an der Universität Wien studiere, habe ich ebenfalls eine Art Retrospektive vorgesehen. Sie besteht nicht darin, meinen Abschluss für wertlos zu halten und ihn zu verbrennen.
Studieren ist erstens kognitives Training zum Zwecke der Orientierung und zweitens volitives Training zugunsten der Spezialisierung und der Praxis. Trotz der Vielfalt an Einführungen in Herangehensweisen, die ich am Institut für Philosophie im Bachelorstudium besuchte, gab es die Möglichkeit, Anziehungskräfte und eigene Schwerpunkte zu entwickeln. Das hängt nicht nur an Prozessen, sondern auch an jenen Menschen, mit denen man interagiert. Ein Studienplan bremst die allzu schnelle Begeisterung. Man ist gezwungen, andere Aspekte kennenzulernen. Bleiben die initialen Anziehungskräfte stabil? Halten sie Gegenargumenten und Gegenkräften stand? Verstärken sie den Wunsch, sich stellenweise zu vertiefen? Man wird differenzieren lernen.
Trotz bereits genannter und einiger ungenannter Punkte, die ich kritisch sehe, ist das Institut für Philosophie der Universität Wien ein Ort, in dem spannende Auseinandersetzungen mit analytischer und kontinentaler Philosophie möglich sind; es gibt Einführungen in die verschiedensten Spielarten der Philosophie, sowie weiterführende Veranstaltungen, auch im Bachelorstudium. Es gibt Potenzial, Lesekreise zu besuchen oder zu organisieren, man kann Aufzeichnungen von Vorlesungen/Diskussionen mit Hilfe der Philosophischen Audiothek austauschen und nutzen – was die klassische Vorlesungssituation à la Nietzsche zumindest modifiziert.
Es bleiben viele aufgeworfene Fragen offen. Zum Beispiel: Lösen wir im Philosophiestudium Probleme und inwiefern? Als ich die oben zitierte Nietzsche-Stelle im Buch von Kittler getroffen habe, war ich geneigt zu antworten: Philosophie fertigt Beschreibungen an, die manchmal den Effekt haben, dass uns die Normalität stellenweise sonderbar, diskussionswürdig erscheint. Man hat jedoch nichts Bestimmtes hinzugefügt. Wie wenn einer das Gummiband eines Phänomens nimmt, spannt und abrupt loslässt. Die Phänomene beginnen sich zu drehen und neu zu gruppieren. Einige Eigenheiten werden damit klarer, andere dunkler.
selbst student der philosophie und am selbigen institut angesiedelt halte ich den eintrag – übers forum darauf gestoßen, wo er ja kritisiert wurde – für treffend und betrachte die vorgänge am institut ähnlich. ohne in den duktus moderner apokalyptiker a la anders zu fallen (in einen solchen fallen ja viele der forums-diskutanten) eine sachliche, undogmatische charakterisierung ohne ideologisierende tendenzen (die ebenfalls im forum kursieren, weshalb mich selbiges auch immer mehr nervt) – alles in allem also ein schöner artikel, dem ich zustimmen kann!