Die Verbrennung des Diplomprüfungszeugnisses durch David Tynnauer hat eine Spur durchs Netz gezogen. Zahlreiche flapsige Bemerkungen und einige überlegte Kommentare. Soweit ich sehe hat Gianna Reich den von Herrn Tynnauer auf Youtuber hochgeladenen Clip als Erste über Twitter geschickt. Eine rapide Verbreitung fand die Nachricht über das Blog der Bildzeitung. Der Perlentaucher bezog es von dort, die Geisteswirtschaft, das Lauerbrett, die Twitter-Trends. Weiter zu Siggi Becker auf Google+ usw.
Auf “quatsch” sorgte der Beitrag Andreas Kirchners für eine rekordverdächtige Zahl von Zugriffen vom “Bildblog”. Es war eine “Eintagsfliege”: nach den 1600 Klicks am 10. Juli fiel die Frequenz sofort wieder zurück. Um im Geschäft zu bleiben, muss man Nachfolgeeffekte und zur rechten Zeit neue Impulse generieren. Das ist nicht neu, Printmedien funktionieren genauso. Wie sieht es mit der verhandelten Sache aus? Unterscheidet sich eine webdokumentierte Aktion von einem Zeitungsbericht?
Ein Punkt ist eklatant. Klaus Kusanowsky schreibt:
Das Interessanteste ist nämlich das Verhaltens des Professors, der an seiner Vorlesung gehindert wird. Er lässt es zu, wartet ab, greift nicht ein, widerspricht nicht. Obgleich er auch mit Geringschätzung die Szene betrachten mag, so verbleibt er passiv.
Schade, dass der Film nicht zeigt, was im Anschluss an die Protestaktion im Hörsaal vor sich geht, ob der Professor diese Szene noch kommentierte oder gleich zur Tagsordnung über ging.
Kusanowsky berücksichtigt nicht, dass Liessmanns Vorlesung in der “Philosophischen Audiothek” aufgezeichnet wurde. Hier die Antwort auf seine Frage:
[jwplayer mediaid=”1127″]
Liessmann macht zwei ausgezeichnete Bemerkungen.
- Diplomzeugnisse werden heutzutage zentral in Datenbanken erfasst. Verbrannt wurde einer von potentiell beliebig vielen Ausdrucken.
- Der Appell, hungernden Kindern zu Helfen dient zur moralischen Befestigung einer Kunstaktion, die als solche in der Luft hängt.
Das sind, für eine Überfallsaktion, geistesgegenwärtige Reaktionen. Kusanowsky hat eine nicht mehr zeitgemäße melodramatische Vorstellung von Protest, als müsse ein in der Vorlesung gestörter Professor um die Autorität und Wahrheit seiner Worte kämpfen. Liessmann verhält sich neutral, das kann man ihm nicht vorwerfen. Das Publikum ist eine andere Sache.