Ein eigenartiger Faden zieht sich durch meine letzten Beiträge. Vergangene Woche besuchte ich auf einer Erkundungstour den Iran. Wir hatten Gespräche mit mehreren Fakultäten. Das Setting war überall ähnlich: 8-12 Wissenschaftler, kaum eine Frau, begrüßen uns höflich. Wir tauschen Oberflächlichkeiten aus und ansatzweise versuche ich, umstrittene Themen zu berühren. “Sie unterrichten Burschen und Mädchen getrennt. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? An der Universität Tehran gibt es diese Einschränkung nicht.”
Der rote Faden ist die Rolle der Religion in der Welt der Wissenschaft. Die Organisation des University College Qom ist typisch. Es gibt drei Fakultäten:
- Theologie und arabische Sprache (die gehört wegen des Korans zur Theologie)
- Rechtswissenschaft
- Management
Was auf der Website “Theology” heißt, wird in einem Organigramm als “Jurisprudence” bezeichnet. Es ist die Grundlegung des richtigen Lebens, Scharia im neutralen Sinn. Darauf baut die Rechtslehre auf, die sich mit den faktischen juridischen Regelungen beschäftigt. Und zuletzt die Nutzanwendung: das moralisch unterlegte Management.
Wie wirkt sich die islamische Grundüberzeugung auf die Führung eines großen Ölkonzerns aus? Darauf wurde geantwortet: Jeder Mensch folgt ethischen Prinzipien, auch in alltäglichen Entscheidungssituationen. Die Problemstellung ist aus der christlichen Soziallehre bekannt. Es ist – für Philosophen – schwierig, nicht etwas Sympathie mit dieser Großraumperspektive zu empfinden. Also nickte ich höflich. Doch das befriedigte wieder andere iranische Teilnehmer nicht. Sie fragten nach, ob ich mit dieser Reaktion zufrieden sei. Es ist nicht unschuldig, für eine hohe Durchlässigkeit zwischen Glaubens- und Geschäftssachen einzutreten.
Die Frage für mich ist, ob man zwischen Glaubens- und Geschäftssachen säuberlich unterscheiden kann. Und wenn man rausfindet, dass das nicht geht, ist dieses Urteil selbst wiederum ein ethisches Postulat oder ein ‘hard fact’?
Wenn man behauptet, es ist ein ‘hard fact’, behauptet man implizit: Es gibt eine Trennung zwischen Glaubens- und Geschäftssachen (performativer Widerspruch?)
Wenn man aber behauptet, es ist ein ethisches Postulat, warum sollte das jemand anderen überzeugen, der ganz andere Postulate hat?
Die Problematik bleibt für mich auf einer so allgemeinen Ebene wohl unentscheidbar. Man muss selbst entscheiden, in welchen Fällen es (unter Rücksicht auf andere ethische Postulate) niemanden schadet, dass man sich nach seinen Grundüberzeugungen richtet und in welchen Fällen es zu destruktiv ist.
Das setzt voraus, dass man sich immer über seine Grundüberzeugungen bewusst ist, was wiederum problematisch ist. Man braucht wohl möglichst viele unterschiedliche Akteure, die sich gegenseitig korrigieren, indem sie selber zwischen Grundüberzeugungen und sowas wie Neutralität/Sachlichkeit(?) hin- und herpendeln; also durchaus sowas wie das von Badiou erhoffte Ergebnis eines Treffens von vielen unterschiedlichen Leuten, die gemeinsam versuchen, sich über einen Punkt zu verständigen. (vgl. http://phaidon.philo.at/qu/?p=408 ).
Was aber selbst wiederum nur eine märchenhafte Skizze sein könnte…
Und trotzdem feiern manche Weihnachten (ein Ereignis, das sowohl christlich-religiös als auch ökonomisch relevant ist) – es ist kaum zu fassen 🙂