Ich kann nicht behaupten, dass mich die Theorie der Tugend je interessiert hätte. Wenn man über Sokrates und Plato arbeitet, kommt man allerdings nicht ganz daran vorbei. Die “ἀρετή” [Arete: Tauglichkeit, Exzellenz, (sittliche) Vortrefflichkeit] hat eine auffällige Position. Einerseits gibt es “gute” Schuster oder Baumeister, andererseits das Streben nach “dem Guten”. Philosophie appliziert die Qualität, die aus handwerklichen Fertigkeiten bekannt ist, auf das menschliche Leben schlechthin.
Erstaunt und neugierig registrierte ich eine Abhandlung über Commons-based Peer Production and Virtue. Sie enthält eine hervorragende Zusammenfassung der wichtigsten Thesen Yochai Benklers und einen lachhaften Versuch, die ganze Gelehrsamkeit etablierter philosophischer Forschung für die Feststellung zu mobilisieren, dass Tugend zur Mitarbeit an open source Projekten veranlasst und dass solche Projekte umgekehrt zur Tugend verhelfen können.
Zeitgleich bemerkte ich ein persönlicher gewendetes Statement zu diesem Zusammenhang. Peter Fleissner formuliert Thesen zur Wissenschaftspolitik, in denen ebenfalls Wissenschaft, Sittlichkeit und open source zusammengeführt werden
Wissenschaftliches Denken darf nicht auf der Ebene des Positivismus stehenbleiben, sondern muss mit Wertfragen und ethischen Dimensionen zusammengeführt werden. Wissenschaft muss menschlich und emanzipatorisch werden, an Friedenserhaltung, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit ausgerichtet sein und nicht bloß an wirtschaftlichen Partikulärinteressen, was sich auch im Bildungswesen niederschlagen soll. Es wäre zu untersuchen, ob und wie weit Persönlichkeitsbildung (Fähigkeiten zur Kooperation, Selbstkritik, Empathie, Großzügigkeit, Selbstlosigkeit, Perspektivenwechsel, interkulturelle Erfahrungen etc.) im Zuge des Bildungswesens explizit vermittelt werden kann.
Soziale Experimente alternativer Arbeits- und Lebensformen auf freiwilliger Basis sollen nicht verhindert, sondern gefördert, durch Begleitforschung professionalisiert und in den Massenmedien verbreitet und zur Diskussion gestellt werden. Beispiele sind zahlreich: Studienzirkel, regionale Tauschkreise, open source Bewegungen, creative commons, targeted intelligence networks, Kommunen aller Art etc.
Was soll man dazu sagen? Was soll man sagen? Das ist vielleicht das Problem: “Wissenschaftliches Denken darf nicht auf der Ebene des Positivismus stehenbleiben, sondern muss mit Wertfragen und ethischen Dimensionen zusammengeführt werden.” Diesen Imperativen zu gehorchen ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Arbeit tun.
Die von Fleissner beschriebene Persönlichkeitsbildung wird – mit Ausnahme von Selbstlosigkeit – im Zuge jeder besseren Managementausbildung gelehrt. Daraus ziehe ich zwei Schlüsse:
1) Jeder Wissenschaftler sollte als Manager ausgebildet werden
2) Selbstlosigkeit kann – auch für wissenschaftliche Arbeit – kontraproduktiv sein.