strukturelle Gewalt, Anti-Heteronormativität – aber worüber sprechen wir eigentlich?

Was mich zu Beginn des Studiums abgeschreckt hat, Kontakt mit der Studienvertretung der Informatik aufzunehmen, war der Ruf der radikal links-politischen Einstellung.  Ich habe aber beschlossen – 3 Jahre später – den Ruf zu ignorieren, den Leuten  zuzuhören und Fragen zu stellen. Im Rahmen eines von der /bin – der Basisgruppe für Informatik – veranstalteten Seminars hatte ich 3 Tage die Gelegenheit, in Diskussionen einen Crash-Kurs in die Grundsätze der /bin, in Basisdemokratie und geschlechtergerechte Sprache zu bekommen.

violent_talk_445905

Nach diesen Tagen intensiver Diskussionen und gemeinsamen Zusammenlebens muss ich sagen: Der Ruf ist nicht ganz unberechtigt, aber man muss es differenzierter sehen: Viele Diskussionspunkte finde ich bis zu einer gewissen Grenze berechtigt. Im Folgenden ein paar Reflexionen zu einem bestimmten Punkt:

Das Seminar war von zwei Kommunikations-Beraterinnen moderiert, da man beim letzten unmoderierten Seminar offenbar schlechte Erfahrungen gemacht hat. Die Moderation war recht professionell – die Gruppendynamik führte nicht zu offensiven Feindseligkeiten. Aber mein Eindruck: So richtig zufrieden war am Ende niemand, obwohl man sich auf personeller Ebene sicher näher gekommen ist.

Ein Punkt, worauf in der /bin u.A. Wert gelegt wird: Man soll beim Sprechen darauf achten, patriarchale Strukturen nicht zu aktualisieren. Man soll diesbezüglich strukturelle Gewalt vermeiden. Bis zu einem gewissen Grade kann ich das verstehen und auch unterstützen. Wenn jedoch 3 Tage lang über den Modus des Sprechens und den Grundsätzen des Handelns gesprochen wird, dann führt das zu struktureller Gewalt in einem anderen Sinne – Es werden nämlich Strukturen aktualisiert, in denen ausschließlich auf einer Metaebene diskutiert werden darf; d.h. wo man ausschließlich über die Art und Weise des Sprechens diskutiert.

Metakommunikation hat aus meiner Sicht ihre Berechtigung, wenn Komplikationen auftauchen, die auf der Sachebene nicht mehr geklärt werden können. Sobald die Missverständnisse zu groß werden, sollte man von den Sachthemen absehen und überlegen, was in der Diskussion schief gelaufen ist bzw. was gut gegangen ist und worauf man in Zukunft achten sollte, wenn man über etwas diskutiert.

Wenn ich rede, spielen mind. zwei Aspekte in je unterschiedlichem Grad mit:

  • a.) Beziehungsebene: Ich möchte mich mitteilen (Wenn ich spreche, verrät das etwas über mich, meine Person, meine Einstellungen, meine Sympathien, meinen Character)
  • b.) Sachebene: Ich möchte ETWAS mitteilen (Man redet über ein Faktum, oder eine Eigenschaft eines Faktums, oder einen Zusammenhang, oder eine Definition, etc. Es geht darum, Information mitzuteilen und sei es auch so etwas wie: Ich bin frustriert.)

Auf der Metaebene beschreibt man ungefähr, bei welcher Diskussionsteilnehmerin welcher Aspekt stärker hervortrat, wo es Missverständnisse gab, in denen Sach- und Beziehungsebene verwechselt wurden, etc. Natürlich kann man selbst wieder über die Metadiskussion reden, was jedoch irgendwann müßig wird. Vor allem, wenn die Teilnehmerinnen auch Sachprobleme ansprechen wollen. Von diesen Sachthemen, die mit ein Grund waren, warum man zu sprechen begonnen hat, wird in Metadiskursen stark abstrahiert. Zum Sachthema wird der Diskurs an sich, dessen Strukturen und Zusammenhänge ich auch sehr wichtig finde.

Ich hätte mir trotz aller personeller und weltanschaulicher Differenzen, die innerhalb der Seminarteilnehmerinnen zum Vorschein gekommen sind oder sich schon länger angebahnt haben, etwas mehr Raum für einfache Diskussionen zum Thema Hochschulpolitik und Studienrichtungsvertretung gewünscht. Man hätte es versuchen können. Es wäre eine Chance gewesen, die Aufmerksamkeit von obigen Differenzen auf sachliche Gemeinsamkeiten zu lenken und zu überlegen, wo die /bin hin will und wer sich wo in welchem Ausmaß einbringen kann. Es hilft den Personen ungemein, wenn sie über Dinge reden können, die es nicht voraussetzen, dass man spezielle Literatur gelesen hat oder spezielle Fertigkeiten hat – relativ gesehen auf Wissen, Erwartungen, Fähigkeiten der Gruppenmitglieder.

Es war irgendwie enttäuschend, dass man zu wenig versucht hat, durch breite relativ voraussetzungsfreie Themen das Kennenlernen zu fördern. Stattdessen wurden Diskussionen geführt, wo nur wenige mitreden konnten, weil sie einfach zu wenig davon gewusst haben (z.B. weil sie noch nicht viele Erfahrungen mit der /bin haben oder weil sie sich mit Gender-Studies noch nicht beschäftigt haben).
Trotz obiger Enttäuschung war es ein bereicherndes und geselliges Wochenende. Gesellschaftsspiele, viel Konversation, neue Lebensstrategien kennenlernen.

Trotzdem: Um mich einer Gruppe zugehörig zu fühlen, ist mir wichtig, dass ich dort meine Ideen einbringen diskutieren und verwirklichen kann. Mir ist wichtig, dass – wenn die Gruppe Funktionen mit Verantwortung auf sich nimmt, wie z.B. die Vertretung von Studierenden, dass Entscheidungen und Informationen so transparent wie möglich gemacht werden und dass alle, die vertreten werden, die Möglichkeit haben, Kritik zu üben und Vorschläge zu machen.

Weiters möchte ich in meiner Art zu sprechen und denken nicht gänzlich den Kontakt und die gemeinsame Basis zu den Menschen verlieren, die sich nicht so sehr in Metadiskursen aufhalten. (Jemensch anstatt Jemand ; Rechnerin anstatt Rechner ; mensch statt man ; … das ist fast schon eine eigene Sprache. Dadurch, dass man sie spricht, baut man – ganz gleich, wie gut die Absichten sind, eine Differenz zwischen  QueerStudies-Wissenden und “Mainstream”-Unwissenden auf, was mich ein bisschen ängstigt und was ich so nicht unterstützen kann).

Außerdem möchte ich nicht zu denken aufhören, sobald ich in einer Gruppe tätig bin. Im konkreten Fall: ich bin überzeugt, dass man der strukturbildenden Eigenschaft der Sprache nicht entkommen kann. Selbst wenn man immanente Strukturen in der Alltagssprache der Gesellschaft aufdecken kann, wird man nicht verhindern können, in seinem Sprechen (und Handeln) Strukturen aufzubauen, die andere wiederum entlarven können. Strukturen müssen nicht zwangsläufig in jedem konkreten Fall unterdrückend sein, sondern geben einem auch Halt und Orientierung für Sprechen und Handeln. Man kann nicht über die Sprache hinaus… wenn man redet. Je mehr man es versucht, desto gefährlicher wird es, weil die Abstraktion immer höher wird und man gar nicht mehr weiß, worüber man eigentlich etwas sagt. Folgendes Verfahren ist mir zu wenig:

1. Wir diskutieren. Thema ist die Art und Weise, wie wir sprechen und handeln.

2. Wir haben festgelegt, wie wir sprechen und handeln durch die Menge X an Regeln.

3. Wir diskutieren. Thema ist 1. Die Art und Weise ergibt sich durch X.

Und so fort ad infinitum. Schrecklich. Gibt es nicht andere Themen, in der sich die Menge X bewähren oder Fehl gehen kann? Welche Projekte sind zu starten? Welche Aufgaben zu erledigen? Wofür wird Geld ausgegeben?  Wie sieht die Informationsverteilung aus?

2 thoughts on “strukturelle Gewalt, Anti-Heteronormativität – aber worüber sprechen wir eigentlich?

  1. “Anti-Heteronormativität” — ja natürlich :-).

    Man kann eine Erklärung dafür geben, was sich hinter dieser Wortbildung (ich enthalte mich eines ästhetischen Urteils) verbirgt. Das mainstream-Geschlechterverhältnis zwischen Frau und Mann wirkt auf zwei unterschiedlichen Ebenen: eine Mehrheit der Bevölkerung hält sich danach und glaubt darüber hinaus, dass es so sein soll. Diese “Heteros” bestimmen die Norm, dagegen die Initiative. Es geht nicht um Minderheitenschutz, sondern darum, Andersgesinnten die volle Freiheit zur Entfaltung zu gewährleisten.

    Der Terminus ist unglücklich gewählt. “Heteronorm” klingt sehr wie “heteronom” – das soll gerade vermieden werden. Und Bezeichnungen wie “Heterodoxie” oder “heterogen” suggerieren gerade das Gegenteil von “heterosexuell”, nämlich die Abweichung vom Standard.

    Aber man muss sagen, dass dieser Ausdruck besser ist als “Heterosexismus”, was ich in diesem Zusammenhang auch schon gehört habe. Wie schwierig die Materie ist, kann man an diesem Wort gut sehen. “Heterosexuell” ist deskriptiv, “heterosexistisch” ist polemisch. Das ist analog zu national/nationalistisch. Die Versuchung besteht darin, dass man den aggressiven Ausdruck nimmt, um einen Sachverhalt darzustellen.

    Da sind wir bei der “strukturellen Gewalt”. In Grenzen kann ich einsehen, dass etwas einengt, einfach weil und insofern es mehrheitlich akzeptiert wird. Aber – hier stimme ich mit Andreas überein – man sollte Gründe haben, wenn man auf die Metaebene übergeht. Die Leichtigkeit, mit der etwas “reflektiert” und “kritisiert” werden kann, ist verführerisch.

  2. Wie wär’s mit Normoheteropseudoaktivität? Ich wünsche mir, dass dieses Neusprech ein ähnliches Schicksal erleidet wie Esperanto. Vielleicht versinkt die deutsche Sprache dadurch eindgültig in Bedeutungslosigkeit. Die Angelsachsen haben jedenfalls kaum Probleme dieser Art.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.