Im Kontext der Debatte um Studienplatzfinanzierung und Zugangsbeschränkungen wird oft ein reziproker Zusammenhang zwischen Studierendenzahl und Qualität des Studiums hergestellt, etwa: Bei einem schlechten Betreuungsverhältnis kann man keine gute Lehre machen, darum sind Zugangsbeschränkungen notwendig. Das mag für gewisse Formate von Lehrveranstaltungen (etwa ganz krass bei Übungen ab dem zweiten Studienjahr des Medizinstudiums, nachdem ein Grundstock des Faktenwissens aufgebaut wurde und wo es um praktische Belange geht, die am Besten mit individueller Anweisung gelernt werden) zutreffen. Doch ein großer Teil von Zeit- und Geld-Ressourcen wird momentan verwendet, jedes Jahr dasselbe Programm durchzuziehen, völlig unabhängig von Studierendenzahl und aktuellen Entwicklungen, oder Wortmeldungen der Studierenden. Das ist gar keine Kritik am Inhalt sondern eine Frage, ob Lehrende einer Universität auf diese Art ihre Zeit und Energie verwenden sollten? (Man könnte böse gesagt von Rationalisierungsmaßnahmen sprechen; jedoch verlöre niemand seinen Job: Man hätte mehr Zeit für so dringend benötigte Dinge, nämlich individuelle Betreuung und Forschung bzw. forschungsnahe Lehrveranstaltungen)
Es gibt dieses Semester einen Kurs an der TU Wien über Security. Der Lehrveranstaltungstyp ist recht gewöhnlich: Vorlesung mit Übung (VU). Jedoch wird der Vorlesungsteil ausschließlich als Audio-Aufzeichnung bzw. als Foliensatz bzw. als Pflichtlektüre zur Verfügung gestellt. Studierende können sich das anhören bzw. durchlesen und das begleitende Lehrbuch zu Rate ziehen. Dann gibt es drei Modi der Leistungsbeurteilung:
Im Forum stellt jemand fest:
There was no lecture today. It looks like this is a lecture with exercises (VU) without any form of lecture.
Antwort:
The lecture-part is offered as recordings from a native speaker.
Instead of the “classical” lecture, you might see it as a generalization, meaning you can “go” to the lecture when- and wherever you want.
In Zeiten, wo (Ein- und Mehrweg)-Kommunikation unter Abwesenden zentrale Bereiche unseres Lebens berührt, ist es auch angebracht, Konzepte der “klassischen” Vorlesung zu überdenken. Einen Film produziert man auch nur einmal. Und wer würde behaupten, dass er – obwohl Millionen eine Kopie davon besitzen – an künstlerischer Qualität verlieren würde? Bei Vorlesungen ist der eingangs gestellte Zusammenhang jedenfalls – wenn man die aktuelle Praxis einiger Basislehrveranstaltungen voraussetzt – unhaltbar: Studienassistenten werden angestellt, um Lehrbücher zu exzerpieren und Foliensätze zu erstellen. Lehrende lesen die Foliensätze und sprechen Studierenden Fragmente von dem vor, was in den Lehrbüchern steht, während jede einzelne Studentin davon Notizen und Zusammenfassunen für sich schreibt, um die Prüfung zu bestehen. Im schlimmsten Fall hat man nach diesen 4 Vermittlungen nur noch Bullet Points mit Zeichenketten. Warum also verleugnen, dass die Präsenz eines Vortragenden und die Versammlung rund um diesen bei der gerade skizzierten Form von Wissensvermittlung aus Lehrbüchern nicht notwendig ist? Interesse und Beliebtheit von Vortragenden ließen sich gut durch Downloadzahlen und Feedback (oder die ein oder andere Rückmeldung) in Foren oder Wikis erheben. Vielleicht zu gut? Auch Meinungen zur Qualität der Lehrveranstaltung ließen sich leichter treffen, unabhängig von Zeit und Ort. Vielleicht zu leicht?
Die Pointe ist mir nicht klar. Läuft das darauf hinaus, dass der Standardinhalt auch mit stark reduziertem Personalaufwand vermittelt werden kann? Oder dass das nicht sinnvoll ist.
“Bei Vorlesungen ist der eingangs gestellte Zusammenhang jedenfalls – wenn man die aktuelle Praxis einiger Basislehrveranstaltungen voraussetzt – unhaltbar.” Das geht um schlechtes Betreuungsverhältnis = schlechte Lehrqualität? Also: Audios plus Übungen können auch gute Lehre sein.
Dagegen stehen “nur noch Bullet Points mit Zeichenketten” im letzten Absatz.
Die Pointe hängt von der Art ab, wie man Lehre betreibt.
Ich wollte darauf hinweisen, dass “mehr Personal” in manchen Studien womöglich eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für gute Lehre ist. Beim Veranstaltungstyp Vorlesung spitzt sich das zu. Heißt das, dass es bei Vorlesungen egal ist, wie viele Studierende auf einen Lehrenden kommen? Wenn man die aktuelle Praxis voraussetzt, könnte man geneigt sein, diese Frage mit Ja zu beantworten. Einer spricht, die anderen hören zu. Der Fokus des Interesses dreht sich dann nur noch um das Fassungsvermögen der Räume, in denen die Ohren untergebracht sind.
Ich versuche es nochmal anders zu formulieren:
Ich definiere das Betreuungsverhältnis versuchsweise als: Anzahl an Rückmeldungen pro Vortragenden. Dann ist offensichtlich, dass eine Vortragende nicht unendlich viele Rückmeldungen sinnvoll bearbeiten kann. Das setzt jedoch voraus:
Gemäß dieser Situation (mit den obigen Voraussetzungen) wird klar, dass man auch bei tradiertem Wissen mehr Lehrende benötigt. Jedoch wird wohl niemand ernsthaft behaupten, dass klassische Vorlesungen solche Situationen widerspiegeln (Bei “Vorlesung mit Übung” wird das schon anders aussehen).
Das letzte, was ich mit meinem Beitrag sagen wollte ist, dass man die aktuellen Probleme ausschließlich mit Technik lösen könnte. Doch ein zeitgemäßeres Vorgehen würde nicht schaden.