“Eine männerfreie Gesellschaft ist möglich”
Das lese ich auf einem Plakat der Österreichischen Hochschülerschaft. Während einer von Studierenden selbst organisierten Lehrveranstaltung “Informatik und Geschlecht” haben wir darüber diskutiert. Wenn Sprechen Wirklichkeit schafft, praktiziert der Slogan nicht, was er – nach einer kurzen Überlegung – fordert.
- Angenommen, eine Person ist zu Zeitpunkt x entweder ein Mann oder eine Frau.
- Es ist entsprechend dem Slogan möglich (und da er ein Plakat ziert, offenbar gefordert), dass zu einem Zeitpunkt y niemand mehr ein Mann ist. Ist demnach jede Person eine Frau?
- Es wurde konstatiert: Nein. Die Unterscheidung Mann/Frau greift nicht mehr, denn wovon soll eine Frau unterschieden werden, wenn es keine Männer mehr gibt. Der Slogan soll zum Ausdruck bringen, dass die Unterscheidung Mann/Frau in der Gesellschaft nicht mehr relevant sein darf.
- Angenommen, es ist wünschenswert, dass die binäre Unterscheidung Mann/Frau in der Gesellschaft irrelevant werden soll: Wenn die Menge der Männer leer ist, bleibt noch immer die Kategorie Mann übrig, über die man (so wie im Slogan) reden und die weiterhin wirksam bleiben kann als Aggregation bestimmter Eigenschaften (rational, stark, initiativ, …) – und das, obwohl niemand mehr von sich behauptet, er/sie/es (?) sei ein Mann.
- Und selbst, wenn die Kategorien sich auflösen würden: Wie trägt der Slogan dazu bei, diese abzubauen?
Es gibt mitunter irritierende und provozierende Slogans. Letztere rufen vorhande Standpunkte in Erinnerung, anstatt sie zu stören.
Die “Wissenden” mögen den Slogan verstehen als Forderung, die Unterscheidung Mann/Frau zu hinterfragen und sich beklagen, dass sich nichts ändert. Wiedermal Typisch! Die “Unwissenden” verstehen den Slogan z.B. als Wunschvorstellung, die Gesellschaft von Männern zu reinigen und die Alleinherrschaft der Frauen auszurufen. Widermal Typisch!
Ein wenig Irritierender dagegen etwas, was Dirk Baecker in einem Artikel über den “glass ceiling effect” in einer Fußnote schreibt. Zunächst der Satz, der den Kontext bildet:
Die Frau widerspricht ganz eindeutig, obwohl niemand weiß warum(*), den mehrdeutigen Erwartungen an die Spitze einer Hierarchie.
Und nun die Fußnote:
(*) “Goffmaan (1977, S.326ff) vermutet, daß die Gesellschaft in genau der Hinsicht sexistisch ist, daß sie in dem Moment, in dem sie auf eine weibliche Identität zurechnet, diese Identität mit Verwundbarkeit konnotiert. Nur deswegen “helfen” Männern Frauen; Die Hilfe ist die zivilisierte Form der Bedrohung mit physischer Gewalt; wer hilft, stellt seine Stärke unter Beweis; die Frau bedankt sich.”
Der markierte Satz wird zwar kein Slogan sein können, da seine Subtilität mehr an einen Grammatikfehler erinnert. Aber wenn man den Satz ein wenig gelesen hat, fragt man sich vielleicht: Wer hilft jetzt wem? 😉 Mehr zu Systemtheorie und Geschlechterforschung hier.
Bekannt ist das alte Dilemma des die-Türe-Aufhaltens oder in-den-Mantel-Helfens. Dagegen: “Ich kann mir selbst den Mantel anziehen.” “Ich brauche Deine Hilfe nicht.” Gut, damit hat man eine Ungleichheit abgewiesen. Aber wem ist damit geholfen, dass es nun 2 separate Individuen gibt, zwischen denen keine Abhängigkeiten herrschen?
Die genannten Beispiele sind symbolisch aufgeladen und die “moderne Auffassung” beseitigt diesen Paternalismus. Und wenn es darum geht, einen schweren Sessel ins andere Zimmer zu tragen? Soll man dann die Möbelpacker holen?
Vermutlich ja, wenn die Personen im Umfeld, die gebeten werden könnten, sonst _nur_ Bücher wälzen.
Was ich spannend finde und was man sich zum Teil bewusst machen kann ist, wie stark die Unterscheidung zwischen Mann und Frau die Wahrnehmung unserer Welt strukturiert.
Oft wird gefordert, diese Unterscheidung gänzlich zu streichen oder von der Binarität abzugehen und fuzziness einzuführen. Trotz allem Sexismus und einer Verabsolutierung der Geschlechterdifferenzen bringt eine Unterscheidung aber auch Orientierung. Wichtige soziale Interaktionen versammeln sich in Bezug auf diese Unterscheidung. Im Allgemeinen kann man darauf zurückgreifen, im Einzelfall wird man ausverhandeln.
[NB: Beim “glass ceiling effect” zeigt sich das “im Allgemeinen” deutlich. Dirk Baecker meint, dass wir den Gesprächspartner bei Kommunikation so wenig wie möglich festnageln – gerade in professionellen Kontexten (in Unternehmen, in der Uni) thematisiert man die Unterscheidung gar nicht – doch letztlich, wenn es um das Übernehmen von Führungspositionen geht, ändert sich die Interaktion der Gesprächspartner im Rahmen eines “ambiguity failures”. An der Spitze der Hierarchie sind es nicht nur Männer, die Frauen diese Rolle nicht zutrauen, sondern die Frauen “machen [..] den Fehler, die Frauenkarte auszuspielen, und wissen nicht, daß diese gezinkt ist.”]
Ich finde es in gewissen Kontexten sinnvoll, Verwirrung zu stiften und die Eindeutigkeit von Zuschreibungen zu lockern, ohne eine völlige Auflösung weder zu erwarten noch zu wünschen.
“Ein Indianer kennt keinen Schmerz.” – “Das ist aber nicht Lady-like.” – “WAS, du magst kein Fußball?”
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Logos sind in ähnlicher Weise festgefahren wie Top Models oder andere hervorgehobene Instanzen eines Geschlechts, wenn ich das richtig verstanden habe: http://hrachovec.philo.at/markenzeichen/img19.html
Jedoch ist bei Top Models ist die Nachahmung erlaubt und gewünscht (Lady Gaga-Imitation: http://www.youtube.com/watch?v=YFMaLuI1uxc&feature=related ).
Ich gehe meines Weges, sehe eine menschliche Gestalt. Die Gestalt signalisiert mir unmittelbar: Das ist eine Frau, genauer: ein Punker-Girl. Ich verbinde etwas damit. Auch in dieser Hinsicht sind wir konditioniert und konditionierbar.