Vorstellen und Verstecken

Letzte Woche war ich in der Andrássy Universität im Herzen Budapests, um von den Studierendenprotesten im Herbst/Winter 2009 zu sprechen.  Thema des Workshops war die Entwicklung eines europäischen Hochschulraums. Einleitend sprach eine deutsche Botschafterin über die Wichtigkeit, ein gemeinsames Netzwerk von Hochschulen in Europa aufzubauen. Dann gab Sören Iseib aus dem deutschen Institut für Hochschulforschung einen historischen Abriss über den Diskurs, ein solches Netzwerk aufzubauen und nannte gegenwärtige Herausforderungen. Schon nach dem Ende des zweiten Weltkriegs lassen sich Harmonisierungsbestrebungen von Hochschulausbildung finden, worauf nach und nach Beschleunigungsphasen und ein gewisser Anpassungsdruck entstanden, die in den Bologna-Erklärungen ab 1998 mündeten. Der Vortrag machte mir außerdem Ähnlichkeiten mit der #unibrennt-Bewegung klarer: Es gab keine zentrale politische Steuerung des Netzwerks und man kann eher ein Nebeneinander als ein gemeinsames Miteinander bemerken. Wohl aber gab und gibt es funktionierendes Organisationsmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Berichtswesen.

Daran schloss sich mein Vortrag “Verwerfung, Emulation und Bemächtigung globaler Netzwerke. Bildungsprotest in Österreich” an. Im Manuskript ist mir vorhin ein Flüchtigkeitsfehler aufgefallen, der gar nicht so unpassend ist: Studienprotest. So gesehen eignet sich der Protest als Studienobjekt (das #unibrennt-Buchprojekt hat das bereits während der Proteste praktiziert) um etwas über gegenwärtige Hochschulpolitik zu lernen.

Jede Kritikerin der Proteste wird zugeben: Was in der #unibrennt-Bewegung geklappt hat war ein Bild von brennenden Unis zu vermitteln. Die Medienkampagne, der Aufbau eines internationalen Netzwerks (das noch immer aktiv ist), der Beschluss von Maßnahmen, waren effektiv und effizient. Man bemühte sich mit der Protestzeitung “über.morgen”, regelmäßigen Familien-Führungen durchs besetzte Audimax und poppigen Flash-Mobs um “ein sauberes Bild nach außen”.

Als Autor von Blog-Postings, als jemand der zu Hause oder von wo immer Livestreams und Twitter-Nachrichten konsumiert und sich zeitweise sympathisiert hat, ist jedoch Selbstkritik angebracht: Durch Links, Tweets und Likes wurde das Netzwerk vergrößert und aktualisiert. Das ist zentral für das Überleben von Protesten. Doch Energie, die man ins Weitertragen der (“frohen”) Botschaft eines brennenden Hochschulraums gesteckt hat, fehlt irgendwann bei den Löscharbeiten, oder – wenn man die Ansprüche niedriger setzt – bei der Verständigung mit den Löscharbeiterinnen.

Nun kann man sagen, dass Medien nicht dafür verantwortlich sind, die Lage zu verbessern. Und eine Protestbewegung ist auch ein Medium, wie ein Beteiligter der Arbeitsgruppe Doku in einem Kommentar appellierte: “Don’t hate the media, be the media.” Doch irgendwo muss nicht eine Darstellung sondern eine Diskussion, eine Konfrontation mit dem status quo vollzogen werden und wo sonst als lokal an den Unis? Die Vorstellung von #unibrennt war autonomer zu sein als frühere Proteste, basisnäher als die Österreichische Hochschülerschaft und unabhängig von kommerziellen Massenmedien. #unibrennt hat zu erstaunlich erfolgreicher Öffentlichkeitsarbeit, Organisationsentwicklung und modernem Wissensmanagement geführt. Zu den Projektzielen von #unibrennt siehe die lesenswerte Projektbeschreibung für die Ars Electronica: “the ubiquitous #unibrennt cloud”. Man hat dafür einen Ehrenpreis in der Kategorie ‘digital communities’ erhalten.  Form und Selbstverständnis der Proteste haben aber versteckt, dass der Bereich des Politischen eine zusätzliche Qualität hat: Es gibt irreduzible Abhängigkeiten. Proteste schwingen sich von Abhängigkeiten auf mit dem Ziel, sie angenehmer zu gestalten.

Ich weiß nicht, welche Vorstellung ich oder auch andere hatten, als wir #unibrennt als Ort des Nachdenkens über Bildung bezeichnet haben oder als die Möglichkeit unsere Angelegenheiten zum Thema Bildung zu verhandeln. Auf die Frage “Wo brennt’s denn?” haben wir geantwortet: “Überall! Hier ist unsere Karte.” (siehe etwa meine Beiträge, die aus der 1. Person Plural geschrieben wurden).

Eines der Lernfelder, mit dem ich zur Diskussion einleitete, war, dass an der Universität Wien eine lebendige Entscheidungs- und Streitkultur auf der mittleren Ebene gefehlt hat – und noch fehlt. Das wurde von Andrea Braidt und Herbert Hrachovec schon bei einer Radiosendung diskutiert, und ich habe damals spontan reagiert, dass das im Organisationsplan der Universität abgesichert sein muss, sonst hat es keine Bedeutung. Das war zu kurz gegriffen. Denn es stellt sich die Frage, wie etwas Bedeutung erhält. Personen, die sich – z.B. im Rahmen eines (abklingenden) Protests – engagieren, hätten das korrektive Zeug dazu, lokal etwas zu ändern. Geschehen ist das durch #unibrennt (noch) nicht. Zumindest an der Universität Wien. An der Universität Graz, wie aus dem Vortrag von Regina Ressler und im Gespräch herauskam, offenbar schon. (Überhaupt scheinen in Graz so manche Bologna-Widerstände durch Workload-Erhebungen und Curriculums-Evaluierungen behebbar zu sein – was in der Zusammenfassung des Workshops mit dem Hinweis auf überdimensioniertes Berichtwesen im Hochschulbereich relativiert wurde.)

“Von oben” – der Bologna-Ministerkonferenz 2010 – sind die Proteste als Zeichen für fehlerhafte Implementierung und schlechte Erklärung der Bologna-Ziele gesehen worden. Vom anderen “oben” – dem Rektorat – hat man mangelnde Finanzierung und die Situation in Massenuniversitäten hinzugefügt. Wie man “unten” bei so einer Einstellung auf Missstände anders reagieren kann als mit Protest, weiß ich nicht.

Zum Abschluss ein weiteres überschaubareres Beispiel:

Die ESU (die European Students Union) ist einer der wahrgenommenen Stakeholder im Bologna-Prozess. Diese veranstaltet offenbar regelmäßig eine Maßnahhme, um breitere Beteiligung im Prozess zu erzielen: Der European Student Summit, vergangenes Jahr sogar in Wien mit dem relevanten Thema “Bologna and Lisbon: mutually exclusive or sides of the same coin?”. Bezeichnend ist erstens, dass der 10-Jahres-Bericht der ESU schon vor der Veranstaltung fertiggestellt und dort nur noch vor-gestellt wurde. Gut, das kann man als Input sehen, um möglichst realitätsnahe Diskussionen zu führen.

Zweitens wurde der Event kaum von der österreichischen HochschülerInnenschaft propagiert. Ich habe nachträglich nichts außer ein Protokoll gefunden, nach dem die Organisation des Events der ÖH etwa 70.000€ kostet. Man kann argumentieren, dass man intern ausreichend Fachpersonal hat, um sich Einladungen an Studierende zu ersparen, denn es gehört zum Service oder zur Verantwortung der gewählten Repräsentantinnen, dabei zu sein.

Dann aber verwundert mich drittens, dass man weder deutschsprachige noch englischsprachige “Nachbereitungen” findet, in Form von Berichten, Kritiken oder Konsequenzen. War der Gipfel ohne Pointe?

Gewöhnlichen Studierenden bleiben die Interaktionen zwischen high-level und low-level durchsichtig, so dass sie gar nicht auffallen. Transparenz in diesem Sinne – so praktisch sie für Dienstleistungen ist – scheint mir im Politischen problematisch.  Man kann das noch an zwei anderen Beispielen zeigen: (1) Eine Studentin sieht die Universität und die eigenen Bedürfnisse, die sich automagisch verbinden – oder nicht. (2) Akteure des Bologna-Prozesses sehen die Bologna-Maßnahmen und einzelne Hochschulen die konform gehen – oder nicht. Die Komplexität dazwischen ist uninteressant und soll ausgeblendet werden. Diese Verwendung von Transparenz bedeutet eine Verschaltung derart, dass nur die verstehbaren, gewünschten Aspekte gezeigt und die anderen versteckt werden, mit dem Argument, dass es uns die Sicht verstellt auf das was wir wirklich wollen. Es glättet Unsicherheiten und Entwicklungen, an denen man andocken könnte (Zur Darstellung der Hochschulentwicklung in Mittel- und Osteuropäischen Staaten trug übrigens Christine Teichmann mit einer instruktiven Analyse bei).

Damit überlagern sich die Ebenen: Transparenz im mehrschneidigen Sinn von Vorstellen und Verstecken ist ein wichtiges Kennzeichen einer “Cloud” und vermutlich dasjenige, das ihren Erfolg geebnet hat:

Cloud Computing bzw. Rechnerwolke umschreibt den Ansatz, abstrahierte IT-Infrastrukturen (z. B. Rechenkapazität, Datenspeicher, Netzwerkkapazitäten oder auch fertige Software) dynamisch an den Bedarf angepasst über ein Netzwerk zur Verfügung zu stellen. Aus Nutzersicht scheint die zur Verfügung gestellte abstrahierte IT-Infrastruktur fern und undurchsichtig, wie in einer „Wolke“ verhüllt, zu geschehen.

Man möge sich erinnern an: the ubiquitous #unibrennt cloud, vielleicht schon nächste Woche?

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