Begriff und Eingriff

welt * label

Angenommen, die Wissenschaft von den Situationen ist die radikalste Situation, eine die die allgemeinste Gegebenheit, das Gegeben-sein selbst, auf den Begriff bringen will, umgrenzt von Axiomen und organisiert vom Regime des strukturierten Ausdrucks. Genau hier,  durch den höchstmöglichen Grad der Rasterung, lässt sich explizieren, dass jede Ganzheit (jede Totalität der Struktur) ein Ergebnis ist, das (ungefragt) durch einen (fachgerechten?) Eingriff wiederbelebt und weiterentwickelt werden kann.

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Woraus resultiert eine Ganzheit? Die Antwort wird aus der Frage destiliert: Aus einem Mechanismus, der unterschieden wird von dem Material, das ihm gegeben wird. _Dass_ es dieses Material gibt, folgt mit Notwendigkeit, wenn man annimmt dass der Mechanismus stattfindet. _Was_ es ist, das erschließt sich durch diese Annahme nicht. Der Prozess der – wenn man bis zu Ende zählen könnte – auf eine totale Rasterung hinausläuft, basiert auf einer erschlossenen totalen Leere, der absoluten Indifferenz, die man auch Vielheit nennen kann, nur kann man nicht unabhängig vom Mechanismus explizieren, was das bedeutet (Kant würde sinngemäß, für die Erkenntnistheorie, bezogen auf ein Subjekt, sagen: Unser Erkenntnisapparat filtert jeden Inhalt, drückt ihm seinen eigenen Stempel auf, durch den die Dinge nicht als sie selbst bewusst werden, sondern es erfolgt eine Homogenisierung durch Kategorien. Die Homogenisierung gewährleistet eine gewisse Kohärenz: “Ich denke” kann alle unsere Gedanken begleiten. Wenn man fragt, wie die Dinge-an-sich beschaffen sind, also was vor der Homogenisierung war, ist die unmittelbare Antwort: Das geht nicht. Alles wird uns durch Homogenisierung vermittelt. Punkt. Nachdem das manchmal unbefriedigend ist, lehrt die Kantische Philosophie einen Ausweg: Zum Kern des Pudels gelangst du höchstens, wenn du dir Gedanken über den Prozess der Homogenisierung machst, diesen miteinrechnest und überlegst, ob etwas übrig bleibt (Intelligible Welt). Bei Kant sagt uns dieser ‘Rest’ sogar, was im Prinzip zu tun ist. Wie dem auch sei: _Dass_ es Dinge-an-sich gibt folgt (1) aus der Tatsache, dass uns _etwas_ bewusst wird und (2) weil wir mit dieser Tatsache in die Werkstatt der kontrafaktischen Analyse gehen, da uns mit ihr etwas seltsam vorkommt).

Alain Badiou in der ersten Meditation von Sein und Ereignis:

“Eine Situation, das heißt eine strukturierte Präsentation, wird bezüglich der gleichen Terme, also ihrer doppelten – inkonsistenten und konsistenten – Mannigfaltigkeit, durch die Teilung der Zählung-als-Eins dargelegt, wobei die Inkonsistenz am Anfang und die Konsistenz am Ende steht. Die Struktur ist zugleich dasjenige, was uns zwingt, rückwirkend zu betrachten, das die Präsentation eine (inkonsistente) Vielheit ist, und was uns vorausschauend erlaubt, die Terme der Präsentation als die Einheiten einer (konsistenten) Vielheit zusammenzusetzen. Man wird erkennen, dass diese Aufteilung in Zwang und Erlaubnis aus dem Eins, das nicht ist, das Gesetz macht. Es ist ganz eins, zu sagen, dass das Eins nicht ist oder dass es ein Gesetz der Vielheit ist, letzteres im doppelten Sinne dessen, wodurch die Vielheit gezwungen wird, sich als eine solche zu erweisen, und dessen, was deren strukturierte Zusammensetzung reguliert.”

Was geht bei der Zählung-als-Eins vor sich? Es zählt sich doch nicht von selbst, es gibt jemanden oder etwas, der/die/das zählt.
Was geschieht, wenn ich zähle? Ich zähle eins: “Das hier ist _eine_ Tasse”. Damit markiere ich etwas sprachlich. Die Heraushebung teilt das Gegebene in die hervorgehobene konsistente Vielheit und den inkonsistenten Rest. Mit Letzterem lässt sich der Reihe nach weiterzählen.

Auf einer weiteren Ebene lässt sich auf Basis des Hervorgehobenen weiter zählen. Man kann sagen wir führen weitere Unterscheidungen ein: “Die Tasse hat einen Henkel”. In der Zahlentheorie führt die Zählung auf Basis von einem bereits Gezählten von den natürlichen etwa zu den rationalen Zahlen. Das geht prinzipiell immer so weiter. Dass es prinzipiell immer so weiter geht, ist eine Message der reellen Zahlen. Interpretativ gesprochen: Die reellen Zahlen entstehen, wenn man den Prozess des Zählens auf Basis von Gezähltem verallgemeinert ohne eine Grenze zu ziehen die sagt: Hier darfst du nicht weiterzählen.

Die Resultate der Zählung sind also bekannt. Doch was war davor? Was war, bevor ich die Tasse markiert habe? Man möchte sagen: Eine Zählung zählt doch … _etwas_. In einer zugespitzten Situation wie der Ontologie, muss ich den Wunsch so zu reden respektieren und gleichzeitig korrigieren. Denn sobald du sagst: “Ich zähle etwas”, hilft mir das nicht weiter bei der Frage: Was war vor der Zählung? Denn ein Etwas ist immer _ein_ Etwas und damit schon gezählt. Wenn mich die Frage nicht loslässt, worauf die Zählung operiert, kann ich eine negative Antwort versuchen: Es handelt sich um etwas, das nicht auf eigenen Beinen stehen kann (Es ist nicht: ein fertiges Ding). Für sich betrachtet fällt es auseinander: eine ungezählte (inkonsistente) Vielheit. Jetzt aber wirst du sagen: Beim Besprechen der ungezählten Vielheit ist der Term doch selbst gezählt. Sie ist ein Term einer speziellen Situation (der ontologischen), ein schräger Notbehelf, um auszudrücken, was bei allen Situationen vor dem Zählen steht, obwohl da gar nicht _etwas_ ist, was steht. “Nur ruhig”, werde ich sagen. Wichtig ist zunächst einmal nur, dass innerhalb der Spielregeln der Situation keine Ungereimtheiten bei der Rede von (ungezählten) Vielheiten entstehen. Machen wir doch kein Geheimnis daraus: Wenn dich eine Antwort auf die Frage interessiert, musst du mir zugestehen, etwas zu sagen. Vielleicht werde ich nicht direkt antworten, aber aus meiner Antwort sollte sich deine Frage erledigen.

Diese Darstellung des Badiou’schen Projektes macht klar, dass die ontologische Situtation eine zugespitzte, ungewöhnliche, fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Situation ist, die keine graduellen Übergänge und Relativierungen kennt. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass Ontologie im Prinzip axiomatische Mengenlehre ist. Was sie einzig an Bewegung zulässt, ist durch Deduktionen bestimmt. Dafür braucht es Axiome und Regeln. Sobald die Eckpfeiler und die Größe der Rasterung festgelegt sind, gibt es kein Schönreden, kein konsensuales Gespräch und nichts das wir offen lassen, denn Thema der Ontologie sind weder die Agenten, die den Axiomen und Regeln folgen noch sind es die Beobachter, die über sie diskutieren. Leibniz hätte gesagt: Es entscheidet sich, wer Recht hat, indem wir uns hinsetzen und rechnen. Oder zählen. Was auch immer implizit ist, die Wissenschaft der reinen Vielheiten wird es erbarmungslos ans Licht zerren und falls nicht (wie im Fall der reinen Vielheit): zumindest zur Kollaboration zwingen. Eine Abrechnung mit der Welt, unabhängig davon, wer rechnet.

Es scheint als wäre eine solche Ontologie subjekt- und erbarmungslos. Sie nimmt außerdem für sich in Anspruch, nicht bloß neben anderen Situationen zu existieren, sondern was sie thematisiert, möchte etwas über alle Situationen sagen. Sie möchte zur Klassifikation von Situationen beitragen. Alles andere ist Sache des Subjekts.

Der Effekt jeder Situation, auch der ontologischen, betrifft uns. Dass uns ein Effekt betrifft, ermöglicht – nach den Regeln der Kunst – uns einzubringen, obwohl die Situation dieses Einbringen selbst nicht (immer) zum professionellen Thema hat. Wir können also den ontologischen Diskurs bereichern indem wir eingreifen:

“Wenn keine ontologische Aussage, kein Lehrsatz, ein Ereignis betrifft oder die nähere Umgebung seiner Auswirkungen ermessen kann, wenn also die Ontologie im eigentlichen Sinne keine Gesetze über die Treue erlässt, so gilt nichtsdestotrotz, dass im gesamten Verlauf der geschichtlichen Entfaltung der Ontologie bestimmte Theorie-Ereignisse existieren und dass folglich auch die darauf beruhende Notwendigkeit existiert, diesen treu zu sein. Dies ruft uns nachdrücklich in Erinnerung, dass die Ontologie, welche die Präsentation der Präsentation ist, selbst in der Zeit nur als Situation präsentiert wird und dass die neuen Aussagen diese Präsentation in Perioden unterteilen. Der mathematische Text ist gewiss intrinsisch egalitär, denn er klassifiziert die Aussagen nicht gemäß deren Grad der Nähe oder der Verknüpfung [zu] einer Ereignis-Aussage bzw. zu einer _Entdeckung_, in der diese oder jene Stätte der theoretischen Anordnung mit der Aufgabe konfrontiert wird, Unpräsentierbares vorkommen zu lassen. Die Aussagen sind wahr oder falsch, bewiesen oder widerlegt und alle sprechen in letzter Instanz von der reinen Vielheit, also von der Form, in der sich das “Es gibt” des Seins-als-Seins vollzieht. Die Bemühung, der sich die Verfasser mathematischer Werke stets unterziehen, die Aussagen gerade gemäß einer Hierarchie von Gewichtigkeiten zu klassifizieren (fundamentale Lehrsätze, einfache Lehrsätze, Behauptungen, Lemmata, usw.) und die Tatsache, dass zur Benennung dieser Aussagen zumeist das Datum ihres Vorkommens und der Mathematiker, der ihr Autor ist, verwendet werden, stellen jedoch Symptome dar, die sich zwar jenseits des Wesens des Textes befinden, aber offenkundig sind.” (Meditation 24)

In eigenen Worten: Es ist schon witzig, dass obwohl es den Mathematikerinnen der Sache nach immer um die Weiterentwicklung von Folgen aus fixierten Strukturen geht, die Nennung von Namen so wichtig ist: “Zermelo-Fraenkel”, “Satz von Fermat”, “der Gödel’sche Unvollständigkeitssatz”, “die Russel’sche Antinomie”, “Hilbert-Raum”. Das gebietet der wissenschaftliche Ehrenkodex, hat aber mit dem Thema nichts zu tun.

Badiou setzt im nächsten Absatz fort:

“Die empirische Verfasstheit der mathematischen Schriften trägt also die Spur dessen, was die ontologische Ereignishaftigkeit, obgleich diese in ihrem expliziten Resultat außer Kraft gesetzt wird, darüber bestimmen lässt, dass das theoretische Gebäude zu einem bestimmten Zeitpunkt das ist, was es ist.”

Es geht zwar um die Frage, ob die eingebrachte Neuerung im Rahmen deduktiver Vorgänge gültig ist, jedoch weisen die konkreten mathematischen Texte darauf hin, dass Eingriffe selbst in der Mathematik passieren und wichtig sind, obwohl sie thematisch verboten sind. Dieses Verbot, das in “Sein und Ereignis” selbst ein selektiver Eingriff in die Mathematik ist (siehe Beitrag über “The Mathem of the Event”), ist ein anderes Mal zu thematisieren.

Letzte Bemerkung: Badiou spricht in einer Vorlesung von 2011 davon, dass vom indifferenten Sein keine große Sache in Bezug auf eine Veränderung der Welt zu erwarten ist. Denn:

“Das was es gibt” begnügt sich das zu sein was es gibt, und das was es gibt ist nicht die Welt, das was es gibt inkonsistiert. [… Das Sein wird gebildet durch eine] Serie von Netzen extensionaler Vielheiten [im Rahmen ] einer außergewöhnlichen Rafinesse [frz.: une extraordinaire sophistication] dessen Denken sich in der Mathematik findet, die diese Vielheiten zum Gegenstand hat.”

Ich verstehe das so: Zu den unfertigen Vielheiten gelangen wir durch eine außergewöhnliche Rafinesse, durch radikal regelgeleitete Gedankenexperimente. Soviel zur Ontologie, Wissenschaft des Seins. Zunächst getrennt zu behandeln ist die Frage nach einer Veränderung der Welt, Veränderung erfolgt durch (interpretative) Eingriffe, mit denen Befindlichkeiten, Intensitäten und Abstufungen ins Spiel kommen. Da wir aber immer in der Zeit und in der Welt leben, ist die ontologische Situation keine endgültig statische, wir können uns, in Beschäftigung mit ihr, einbringen.

5 thoughts on “Begriff und Eingriff

  1. Ich würde es so formulieren: Wenn man annimmt, dass der Mechanismus stattfindet, ist damit auch gesagt, dass er Material betrifft. “folgt mit Notwendigkeit” ist etwas großsprecherisch. (Wer Fußball spielen kann, hat auch Füsse.)

    Die Frage nach der Materie ohne Form ist ähnlich dem Lächeln ohne Gesicht. Ob man “absolute Indifferenz” oder “Ding an sich” sagt, es ist dasselbe Dilemma. Aber es gibt natürlich Erklärungen dafür, warum wir in bestimmten Situationen versucht sind, das Lächeln ohne Gesicht zu denken.

    Warum läßt uns die Frage, was vor der Zählung ist, nicht los? Es lassen sich Faktoren angeben, die zum Zählen nötig sind: jemand, der zählt, ein Mechanismus, etwas Zählbares. Was ist das Zählbare, bevor es in den Kontext des Zählens eintritt? Ist das nicht eine Scherzfrage? Was ist ein Rapidanhänger, bevor es den FC Rapid gibt?

    Man kann durch eine gezielte Verwendung von “vor dem Zählen” auf einen Bereich deuten, der nicht den Gesetzen des Zählen gehorcht. Man kann auch demonstrieren, dass man sich dabei in Widersprüche verwickelt. Die Frage ist aber, was an diesen Widersprüchen (den inkonsistenten Mannigfaltigkeiten), so attraktiv ist. Es gibt Anderes als Zählen, aber warum muss man sich für diese Erkenntnis spekulativ verrenken?

    “Radikal regelgeleitete Gedankenexperimente”. Ich würde Badious Vorgehen nicht “Gedankenexperiment” nennen. Das wären Platons Höhle, Descartes Zweifel oder Searles Chinesisches Zimmer. Diesen Entwürfen ist gemeinsam, dass sie ein Themenfeld zur Erprobung von Intuitionen eröffnen. Badiou fährt das Insgesamt der Situationen gegen eine Grenze und findet ein paar eindruckvolle Worte, zu beschreiben, wie es dort aussieht, wo es nicht so ausehen kann, wie hier.

  2. “Es gibt Anderes als Zählen, aber warum muss man sich für diese Erkenntnis spekulativ verrenken?”
    Man muss sich nicht verrenken, genauso wenig wie man Break Dance ausüben muss, oder Extremsportarten. Es gibt Personen, die daran gefallen finden oder sonst wie Interesse haben, sich an der Grenze des Sagbaren, oder Tanzbaren zu bewegen, und was man erreichen kann sind einmalige Dynamiken, die allgemein interessante Perspektiven bieten können.

    “Ich würde Badious Vorgehen nicht “Gedankenexperiment” nennen.”
    Zwei Punkte dazu:
    – Was mir nun klarer geworden ist: Badiou spricht _über_ Ontologie und sagt: Mathematiker betreiben Ontologie, ohne es zu wissen. (Insofern müsste man meinen früheren Blogeintrag “Was ist Ontologie? Hybride Hybris” umbenennen: “Was ist Metaphysik? Hybride Hybris”)
    – Herbert hat Recht: Gedankenexperiment ist zu eng, da der Fokus des Gedankenexperiments sich um das Ausnützen, Ausbuchstabieren und Weiterdenken einer Intuition dreht. Eine Charakteristik von Gedankenexperiment lässt sich aber aufrecht erhalten, und zwar: Was sind die Folgen festgesetzter Annahmen? Für die Ontologie: Gegeben eine Liste von Axiomen und Regeln: Lässt sich z.B. daraus ein Widerspruch herleiten? Oder: Welche Ordnung entsteht, wenn die gelisteten Axiome und Regeln gelten? Hier ist Raffinesse einer speziellen Art gefragt: Die Basis dafür ist ein Training, wie man in der Mathematik Beweise bastelt oder welche Strategie man verfolgt (Reductio ad absurdum, etc.).

    “Was ist das Zählbare, bevor es in den Kontext des Zählens eintritt? […] Was ist ein Rapidanhänger, bevor es den FC Rapid gibt?”
    Der Vergleich hinkt, da man bei der Rapidanhängerin leicht den Kontext wechseln kann: Die (potentielle) Rapidanhängerin ohne FC Rapid ist eine Frau. Ich kann mich mit ihr treffen und feststellen dass wir etwas gemeinsam haben, obwohl ich kein Fußball mag.
    Das Zählbare ohne Zählung? Mathematik stellt keinen anderen Kontext zur Verfügung, zu dem man flüchten könnte, wenn diese Frage auftaucht. Was sind eigentlich die Objekte, mit denen sich die Mathematik beschäftigt? Die Zählung beginnt aus dem Nichts: Fiasko, könnte man meinen; man kommt nicht auf gleich. ZFC umkreist das Fiasko.

    1. Badious Überlegungen stehen in der Tradition der spekulativen Philosophie, die eine Art Extremsport darstellt, einverstanden.

      Den Punkt mit der Rapidanhängerin würde ich radikalisieren. Im ersten Durchgang ist es naheliegend, eine Person anzunehmen, die es abgesehen vom Sportklub gibt. Andreas hat recht, dass sich das nicht mit den prädiskursiven Unbestimmtheiten vergleichen läßt. Doch hier ist die Zuspitzung:

      “Bevor es den FC Rapid gibt” heißt in der stengen Fassung, bevor die Zeichenkette “FC Rapid” einen Sinn hat. Bevor ein Umfeld fixiert worden ist, in welchem es sich um eine Fußballmannschaft handelt oder handeln könnte. Nur weil es die Buchstaben gibt, heißt es noch nichts. Wenn wir dann fragen, worauf sich – unter der Annahme der Sinnlosigkeit von “FC Rapid” – “Rapidanhängerinnen” bezieht, können wir nicht sagen, es seien zumindest Frauen. Wenn “FC Rapid” der Name eines Berges ist, könnte es sich um eine Bergkette handeln.

  3. Herberts zugespitzte Version kann ich akzeptieren. Wenn man genauer darüber nachdenkt und das Alltagsverständnis daraufhin abklopft, was “-anhängerin” sonst noch bedeuten könnte, gibt es eine Unschärfe, sobald es die Zuordnung zum Fußballclub nicht mehr gibt.

    Zusammenfassend: Es gibt die Frage nach einem Bereich vor dem Einfluss einer bestimmten Kategorisierung (zum Beispiel: FC Rapid). Und dann gibt es die Frage nach einem Bereich vor jeder Kategorisierung. Bei ersterem entstehen schlimmstenfalls Mehrdeutigkeiten, im anderen Fall entsteht…. ja, was eigentlich? Paralyse, Sprachlosigkeit. Andere sind der Meinung, es handelt sich um einen Witz, man dürfe die Frage gar nicht ernst nehmen.

    Badiou nimmt die Frage auf, doch übergeht das Schweigen. Er beruft sich auf die Genialität der axiomatischen Mengentheoretiker, die mit ZFC etwas entwickelt hätten, das im Kontext der Mathematik funktioniert und mit dem sich einige klassischen Gefährdungen der Metaphysik besiegen ließen. Mit dieser Sicherheit im Rucksack geht er wie Odysseus an den schweigenden Sirenen vorbei, tut so, als wäre nichts gewesen, als ob gar nichts gewesen sein wird. “[D]ie Sirenen verschwanden förmlich vor seiner Entschlossenheit, und gerade als er ihnen am nächsten war, wußte er nichts mehr von ihnen.”

  4. Diese Diskussion hat ein wichtiges Ergebnis hervorgebracht. Ausgangspunkt ist das Verhältnis eines definierten Felds zu einem Vorfeld. (Andreas) Es gibt eine Kandidatin und wer sind ihre prospektiven Wählerinnen. Ich habe Urlaub und welche Erholungsorte kommen in Frage.

    Von einer etablierten Fragestellung aus fällt sozusagen Licht auf ihr Einzugsgebiet. Man kann diskutieren, ob die Reise nach Budapest, Paris oder Glasgow gehen soll. Und es ist möglich, die Betrachtungsweise zu verschieben und zu fragen: Wie kommst Du “überhaupt” auf diese Städte? Will sagen: Warum nicht Wiener Neustadt oder Mombasa. Dieser Blickwechsel macht den Unterschied zwischen vorprogrammiert und phantasievoll.

    Die betreffende gedankliche Bewegung abstrahiert von Hier-und-Jetzt und bezieht sich auf einen neutralisierten Bereich, der als Vorfeld in Frage kommt. Die natürlichen Zahlen geben eine Struktur und Praxis des Zählens vor. Aber sind sie schon alles Zählbare? Indem wir das Vorfeld mittels eines definierten Felds adressieren, erzeugen wir eine produktive Unterbestimmtheit. (Das war der Trick bei den “Rapidanhängerinnen”.)

    Die Pointe ist nun, dass man den Blickwechsel, so wichtig er ist, auch übertreiben kann. Die “schlimmstenfalls Mehrdeutigkeiten” (Andreas), die sich belebend auswirken können, entstehen durch nicht-intendierte Interpretationen faktischer Vorgaben. Was passiert aber, wenn nicht nur von einzelnen gegebenen Strukturen, sondern von allen möglichen Strukturen abgesehen wird? Das ist der Unterschied dazwischen, dass (1) eine Struktur “Anhängerin” aus dem Fußballzusammenhang gelöst wird und alternativ in der Topographie auftaucht und (2) alle zulässigen Strukturen als Ausgangspunkt des Blickwechsels genommen werden. Andreas beschreibt, was dann passiert. Eine freundliche Beschreibung wäre, dass Philosophinnen nicht wissen, wo sie aufhören müssen. Sie wollen des Guten zuviel.

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