Andreas Kirchner schreibt im vorigen Beitrag über die Geschichtspflege in der Philosophie. Zeitgleich ist die letzte Ausgabe von Information Philosophie erschienen, in der Konrad Liessmann den Hauptessay beisteuert. Die “Information Philosophie” ist (sympathischer Weise) so unzeitgemäß, dass sie (im Moment) noch nicht einmal das Inhaltsverzeichnis am Netz hat. Der Titel des Aufsatzes sei verraten: “Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben”. Und er beginnt, wie zu erwarten, mit Nietzsche und der Unzeitgemäßheit der Philosophie.
Ich verrate auch die Pointe des Essays. Die Philosophie möge sich darauf besinnen:
… dass eine ihrer wesentlichen Aufgaben nicht darin besteht, die Menschen glücklich zu machen oder mit Sinn auszustatten, sondern sie – wenigstens hin und wieder – zu betrüben.”
Eine bemerkenswert klarsichtige Beschreibung der Rolle der Philosophie im Feuilleton. Dazu ein Aufwand von Nietzsche zu Goethe zu Epiktet zu Vico zu Hegel zu Dilthey zu Hugo von Hofmannsthal. Eine vielgestaltige Schlauchverbindung. Andreas: “Alte Schläuche können brechen – beim neuen Wein. Es ist keine Notwendigkeit, dass das Überlieferte Entscheidungen in der aktuellen Lage vorwegnimmt.”
Die Koinzidenz hat mich an frühere Zeiten erinnert, als ich unter heftigen Druck des Wiener Vergangenheitsbewusstseins als Postdoc Proseminare zu halten hatte. Aus diesem Anlass habe ich ein Exposé ausgegraben, das – bei aller Naivität – eine kleine Protestkundgebung gegen die Gedankenrevue darstellt: Philosophie im 1. Wiener Gemeindebezirk.
… denn die Form, in der sich Wissen vom Menschen bilden kann, ist die Repräsentation des Vergangenen. (K. Liessmann paraphrasiert Giovanni Battista Vico)
Diese philosophische Grundeinstellung möchte ich dem Selbstbewusstsein eines Antiquitätenhandlers in der Nostalgiewelle vergleichen. Er hat eine fundierte Ausbildung in einem Spezialbereich, dem gerade das allgemeine Interesse gilt. Hermeneutik ist Umgang und Handel mit Altwaren, der außer seiner allgemeinen Ehrbarkeit durch ein gegenwärtiges Bedürfnis nach Geschichte besondere Berechtigung gewinnt. (h.h.)