Girls with Guns

Am 8. März sah ich einen Film aus dem Genre “Rape & Revenge”: A Gun For Jennifer. Eine junge Frau wird von einer Gruppe von Rächerinnen aus den Fängen zweier Vergewaltiger gerettet, mit einer Waffe ausgestattet und in die extreme Gruppe aufgenommen. Ein Strip-Club dient als Basis, von dem aus die Gruppe potenzielle Vergewaltiger ausfindig macht, kastriert und tötet. Eine schwarze Polizistin ermittelt gegen sie, doch hat ebenfalls die Männer in ihrem Polizeirevier satt. Selbstjustiz à la Batman im Gotham City für Gender-Angelegenheiten. Nach dem Film bin ich so klug wie zuvor. Vielleicht hilft Literatur…

Bei der Darstellung von Überschreitung und versuchter Vergeltung begibt man sich auf vermintes Terrain. Mit dieser Erkenntnis beendet Julia Reifenberger ihre Jogging-Tour durch die Filme des Rape-and-Revenge Genres in dem kleinen Buch “Girls with Guns: Rape & Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien?” (Bertz + Fischer 2013)

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Day Of The Woman, Thriller – En Grym Film, Baise-Moi, Irréversible, Hard Candy, Girl With The Dragon Tattoo.

Alle diese Filme konstruieren Schauplätze, Grenzgebiete an denen sich der “Krieg der Geschlechter” in verschiedensten Schlachten abspielt. Was zeigt man den Zuschauern? Herablassende Kommentare im Alltag? Das gewaltsame Eindringen in einen Körper? Die Rache nach dem Verlust der territorialen Integrität? Und wie zeigt man es? Eine Vergewaltigung darzustellen kann zur Folge haben, dass sich der Zuschauer (m – manchmal w) mit dem Täter identifiziert. Die Opferrolle kann als selbstverschuldet dargestellt werden: “She asked for it”.

Gewalt ist eine Antwort auf Ohnmacht, auf die Impotenz in einer Situation. Julia Reifenberger zitiert die These der Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal:

“Vergewaltigung ist das Verbrechen das uns am meisten gendert. Nicht, weil es das Verbrechen ist, das uns aufgrund unseres Geschlechts passieren kann, sondern weil es uns mitteilt, was unser Geschlecht ist, wie unsere Geschlechterrollen sind und wie viele Geschlechter es gibt, nämlich zwei.” Im Rape-Revenge-Film reagieren die Täter mit sexualisierter Gewalt auf die verwirrend uneindeutigen Geschlechtspositionen ihrer Opfer, in dem sie sie über die Vergewaltigung als gendernden Akt in eine eindeutig weibliche Geschlechtsrolle zu zwingen versuchen. Die Überschreitung der Geschlechterverhältnisse soll so rückgängig gemacht, die Frau für die Grenzüberschreitung bestraft und eine patriarchale symbolische Ordnung erneuert werden.”(S.68)

Das wirft ein neues Licht auf die Wrecking Ball Geschichte vom Miley Cyrus Song: I came in like a wrecking ball … but then you actually wrecked me. Die Protagonistin möchte die dichten Grenzvorstellungen des Anderen aufbrechen, was diesen verwirrt und zu einem Zerstörungsakt fehlleitet. Das vorgesehene Schema bei Rape & Revenge Filmen nimmt eine weitere Wendung. Die Zerstörung ist nicht vollständig und – das ist eine Sichtweise – der Auftakt zur Selbstermächtigung:

Die Opfer aber weigern sich konsequent, sich gewaltsam “regendern” zu lassen. Die Vergewaltigung, die die angstbesetzten Projektionen der Männer beim Anblick der geschlechtlich uneindeutigen Frau verscheuchen soll, löst die Transformation des Opfers zur Rächerin erst aus. Als leibhaftige Verkörperung des imaginierten Schreckens der männlichen Protagonisten entsteht die phallische Frau mit der Waffe. (S.68)

Eine weitere Beobachtung ist, dass eine Frau mit Waffe mindestens so attraktiv für die (männliche) Schaulust dargestellt werden kann. So etwa im Film Thriller – En Grym Film – inklusive Handtasche:

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Liebe ist ein Rausch- und Tauschgeschäft, singt Bernadette La Hengst. Nur was ist die “gerechte Strafe” bei Fehlen einer Gegenseitigkeit, bei Missachtung von bilateraler Partnerschaft? Bei häuslicher Gewalt? Bei gedankenlosen, degradierenden Aussagen? Manches ist unverzeihlich. Vergebung kann man nicht erwarten: die Tat ist irreversibel. Darum ist es kurz gegriffen, Vergewaltiger mit einer Gegen-Vergewaltigung büßen zu lassen, “um ihnen eine Lektion zu erteilen”. Die Spiegelung der Gewalt als Revanche schafft keinen Ausgleich. Es bleibt ein unvergeltbarer Rest:

Im aktuellen Rape-Revenge-Film sind es [..] besonders häufig Blicke der Figuren in die Kamera, die die Betrachter_innen mit ihrer eigenen Zeugenschaft der filmischen Gewalt konfrontieren und ihnen damit die Möglichkeit rauben, sich auf eine moralisch distanzierte Position zurückzuziehen. Wenn sie, wie in DESCENT oder STRAIGHTHEADS, am Ende der Filme zum Einsatz kommen, also dann, wenn die Rache vollzogen und die Vergewaltiger bestraft sind, fordern sie zudem das binäre Opfer-Täter-Konzept des Genres heraus und verweisen auf die virale Qualität von sexualisierter Gewalt. Gerade der Blick der Protagonistin in DESCENT verfolgt eindeutig dieses Ziel. Mayas Rache ist, im Gegensatz zu ihrer Vergewaltigung, als erotisches Tableau inszeniert, in dem der Mann zum Objekt der sadistischen sexualisierten Gewalt der Frau wird. Auf die Frage eines Komplizen ihrer Racheaktion, ob mit der Vollendung der Vergeltung nun wieder alles in Ordnung sei, bleibt Maya stumm. Während sie den Blick in die Kamera wendet, rollt eine Träne ihre Wange herab.” (S.93)

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