petites mesquineries

drachen

 

Alain Badiou operiert, das ist im vorigen Beitrag angesprochen worden, mit der Kategorie Rechtschaffenheit. Ein Beispiel ist Jeannne d’Arc, “une héroïne sublimement chrétienne”, die er gegen Voltaires frivole Satire in Schutz nimmt. Das geschieht in einem Beitrag in “Le Monde”, in dem er die folgende Parallele zieht: “Voyez les obscénités de Voltaire à propos de Jeanne d’Arc : son La Pucelle d’Orléans est tout à fait digne de Charlie Hebdo.”

Die Fronten für Badiou sind klar. Auf der einen Seite liefern sich der militärgestützte Neoliberalismus und die islamistischen Terrorbewegungen einen Schaukampf, in dem die “faschistischen Verbrechen” der Attentäter zum Anlass des Schulterschlusses der “demokratischen Öffentlichkeit” werden. Auf der anderen Seite unterdrücken die Ordnungsmächte des reichen Westens das neue Proletariat, das sie in Europa selbst verursacht haben. Gegen den destruktiven Universalismus des Kapitals setzt Badiou die Hoffnung auf einen geläuterten Kommunismus:

Il en ira ainsi tant que l’universalisme vrai, la prise en main du destin de l’humanité par l’humanité elle-même, et donc la nouvelle et décisive incarnation historico-politique de l’idée communiste, n’aura pas déployé sa neuve puissance à l’échelle mondiale, annulant au passage l’asservissement des Etats à l’oligarchie des propriétaires et de leurs serviteurs, l’abstraction monétaire, et finalement les identités et contre-identités qui ravagent les esprits et en appellent à la mort.

Badiou endet mit einer memorablen Pointe. Die Farbe, unter der es zu kämpfen gälte, ist nicht das Blau-Weiß-Rot der französischen Republik, sondern das einfache Rot der Revolution.

Jacques-Alain Miller stört die Kritik an Voltaire und er eröffnet einen Rundumschlag gegen Badiou. Da bleibt kein Auge trocken. Er versieht die Abfuhr mit autobiographische Aufputz:

Ce qui me bluffait surtout chez Alain quand nous étions amis et que nous déjeunions ensemble deux fois par an, c’était son art des solutions verbales. Comme j’aimais à l’entendre déployer avec une aisance admirable les anneaux de somptueuses phrases creuses, charriant le vocabulaire de plusieurs philosophies à la fois !

J.-A. Miller lässt der Polemik freien Lauf:

  • “Il fut un temps où Badiou jouait le révolutionnaire hard, réveillant la symbolique du couteau entre les dents. Sa défense inspirée de Pol Pot marque les mémoires de sa génération.”
  • “Chez Badiou, on ne badine pas avec la vérité. Elle est une, elle est toute, elle est mathématique. On platonise. On logicise. On révère le grand homme démiurge de l’histoire, haranguant les masses du haut du Capitole. On a le sens et le goût du sacrifice (sur l’estrade).”
  • “Les ingrédients une fois broyés, ajoutez à convenance une ou deux gouttes de vin de messe. Décorez avec une branche de buis, et optionnellement une rondelle de citron. Sirotez. Vous vous sentez tout de suite plus sublime. Cela s’appelle le Bloody Badiou.”

Lustig? Dieser Einblick in die Gepflogenheiten der Pariser Szene ist voll von biographischem Tratsch (Badious Vater war …), quasi-gelehrtem name calling (“un marxisme kabbalistique, un manichéisme oraculaire de type bergsonien”) und Seitenhieben (… brüstet sich, der meistübersetzte französische Philosoph zu sein …). Argumente sind für ein Pamphlet nicht nötig und Badiou selber schreckt bisweilen nicht vor geschmackloser Polemik gegen Kontrahenten zurück. Aber wo liegt der Nährwert dieser Rempeleien?

Die beiden Positionen sind bemerkenswert. Der programmatische Kommunist findet in der katholischen französischen Nationalheldin ein Insignium der Wahrheit; der Sachwalter des Lacanschen Erbes, irritiert über diese Ernsthaftigkeit, versucht sich als Freigeist und stellt Badiou, den Provinzler (“Provincial comme Onfray, lui monta à Paris pour y être adoubé par la famille sartrienne …”), als eitlen Tugendbold dar. Dabei trifft der Vergleich Voltaire/Charlie Hebdo die Sache gut.

Voltaire: Ein englischer Mönch erfährt aus Zaubersprüchen, dass eine Jungfrau Frankreich retten wird und macht sich mit einem Eselstreiber auf den Weg, ihrem Zustand ein Ende zu bereiten. Die beiden schläfern Jeanne d’Arc ein und streiten um den Frauenkörper, bis der Heilige Dionys sie verjagt. Auf einem geflügelten Esel reitet Johanna sodann ins englische Heer und malt dem Pagen des Feldherrn die französischen Lilien auf den Hintern. Und so weiter. Die Rüpelhaftigkeit der Provokationen gegen religiöse Gefühle ist ein gemeinsamer Nenner.

Ein Unterschied besteht darin, dass der Westen (mehr oder weniger) gelernt hat, mit Blasphemien zivilisiert umzugehen. Darauf kann J.-A. Miller mit Recht hinweisen. Dabei wird aber auch ein Grund für seinen Ausfall gegen Badiou sichtbar. Der hat darauf aufmerksam gemacht, dass eine derartig selbstgefällige Libertinage sich heutzutage unbedenklich mit der Polizei verbündet, wenn es gegen Fremdheit im eigenen Land geht. Diese Wahrheit können kleine Gemeinheiten nicht erreichen.

One thought on “petites mesquineries

  1. Ein paar Notizen dazu:

    1. Zusammengefasst: Einerseits sind Karikaturen von Mohamed eine Provokation, die den Glauben von Muslimen unnötig beleidigen. Andererseits handelt es sich nicht um einen gefestigten Glauben, wenn dieser durch eine Karikatur zum Mord führt.

    2. Die religiöse Tradition der westlichen Welt zog sich ins Spirituelle und dann ins Private zurück. In der Gesellschaft hinterlässt sie strukturell Spuren im Kapitalismus und inhaltlich Spuren bei den Menschenrechten. Eine solche Gesellschaft kann leichter mit Blasphemien umgehen, weil der Glaube nicht das kollektive Bewusstsein und kollektive Praktiken prägt.

    3. Die englische Version von Badious Artikel in Le Monde findet sich hier:
    http://www.versobooks.com/blogs/1833-the-red-flag-and-the-tricolore-by-alain-badiou . Er plädiert für eine neue Politik unter dem Banner der roten Flagge. In diesem Rahmen soll mit Menschen (Arbeitern) auf allen Ebenen kooperiert werden, um fundamentalistische Motive an ihren Wurzeln zu packen – vor allem Mangel an Perspektive:

    “Isn’t the central task of emancipation, of public freedom, in fact to act in common with as many of these young banlieue proletarians as possible, and with as many of these young women – whether veiled or not, it doesn’t matter – as possible, within the framework of a new politics? That is, a new politics that is not based on any identity (‘the workers have no fatherland’), and which prepares the egalitarian future where humanity finally takes charge of its own destiny?”

    4. Slavoj Zizek hat Tage vor dem Geplänkel zwischen Badiou und Miller formuliert, dass es nicht ausreicht, Fundamentalisten zu verurteilen und eine mutmaßlich unschuldige Bevölkerung mit Mauern oder Polizeischutz vom Fremden zu trennen, sondern dass es auch eine Kritik und ein Engagement für die Länder braucht, die sich Freiheit und Demokratie auf die Fahnen schreiben: http://www.newstatesman.com/world-affairs/2015/01/slavoj-i-ek-charlie-hebdo-massacre-are-worst-really-full-passionate-intensity

    “the conflict between liberal permissiveness and fundamentalism is ultimately a false conflict – a vicious cycle of two poles generating and presupposing each other. What Max Horkheimer had said about Fascism and capitalism already back in 1930s – those who do not want to talk critically about capitalism should also keep quiet about Fascism – should also be applied to today’s fundamentalism: those who do not want to talk critically about liberal democracy should also keep quiet about religious fundamentalism.”

    5. In Zeiten wo die öffentlichen Räume besetzt werden von privaten Interessen: Geben nicht die multi-nationeln Konzerne die wahrscheinlichsten Nährböden und Plätze ab für Begegnungen zwischen Menschen zur gemeinsamen Aktion? Verschiedene Nationalitäten, verschiedene Religionen, verschiedene Berufsgruppen mit heterogenen Hintergründen und Motivationen; Putzdienste, Managerinnen, Zeitarbeiter, IT-Dienstleister, Call-Agents, Familienväter, Schwangere, Programmiererinnen, Designer, usw. versammeln sich im Namen einer Organisation um – naja – zumindest Geld zu verdienen. Das ist nicht das Framework einer neuen Politik, jedoch ein Ausgangsort, den man zur Kenntnis nehmen muss, um an die Alltagswelt von Hyperinkludierten, prekär-inkludierten und Exkludierten zu kommen. Sonst bleibt die Rede von der roten Flagge so abstrakt (und Klientel-orientiert) wie das universale Geld.

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