geschicktes Abwägen

Heinrich C. Kuhn hat auf meine gestrigen xDCberlegungen zum “unpraktischen” Grundzug der Philosophie mit dem Hinweis auf Petrarca reagiert. Tatsächlich habe ich die Tradition des kontinentalen mainstreams des letzten Jahrhunderts im Auge gehabt. Die Arbeitsteilung zwischen Technik und Reflexion ist da viel weiter fortgeschritten, als zu Beginn der Neuzeit.

Die nette Point ist natürlich, dass in der Medienphilosophie wieder auf frühere Umstände zurückgegriffen werden kann. In der klassischen Tradition fühle ich mich mehr oder weniger verpflichtet, etwas über den Unterschied von Archiv und Datenbank zu sagen. Das sind wohldefinierte Begriffe und es muss möglich sein, aus ihrer Explikation Orientierung zu gewinnen.

Aber die Umstände sind nicht so. Sie verwischen sich zusehends. Das bringt Unruhe und neue Impulse in die Begriffswelt.

Fehlerquellen

Gestern beim “Computerbasteln” eine bedenkenswerte Situation. Ich versuchte, mit einem Programm, dessen Funktionsweise mir noch unklar ist (transcode), ein Videofile von einem Format ins ein anderes zu bringen (mpeg -> mov). In solchen Situationen freut man sich ja schon, wenn etwas läuft und nimmt das Produkt als Beweis dafür, dass es passt.

Aber natürlich ist das erst zu überprüfen. Also lade ich das mov-File in ein Video-Verarbeitungsprogramm, von dem ich annehme, dass es mit diesem Format umgehen kann (cinelerra). Siehe da: die Videospur ist vorhanden und auch die Tonspur sieht normal aus. Jedoch: kein Ton. Also ist doch etwas schief gegangen (wie so oft zuvor) —

Irrtum, inzwischen hatte ich ein Systemupdate durchgeführt und dadurch war die Lautstärke der Soundkarte auf Null gesetzt worden. Solche Situationen kommen im Handwerksbetrieb ständig vor, in der Philosophie werden sie fast niemals thematisiert. Unsicherheiten, die nicht prinzipiell zu lösen sind, sondern durch geschicktes Abwägen situationsrelevanter Faktoren.

Kommerz und Meinungsfreiheit

Die on-line Berichterstattung über die Erniedrigung irakischer Gefangener durch die US-Armee hat einen makabren Beigeschmack. Wenn man sich die Fotos auf CNN oder der Webseite der Washington Post ansieht, findet man sie von Werbespots umgeben. In traditionellen Printmedien ist die erste Seite zumeist weitgehend werdefrei, aber im Web zählt der Einstieg. Also Urlaubsplanung und Militärpornographie.

Die Sache hat aber ihre Richtigkeit. CBS hat mit der Veröffnetlichung 2 Wochen gewartet, weil der Armeechef angerufen hat. Vermutlich hätte er mit etwas mehr Druck auch erreicht, dass diese Tatsachen ganz unter den Teppich gekehrt werden. Dagegen wirkt das Gesetz des Marktes. Als der “New Yorker” die Story ankündigte, liess sich CBS nicht mehr zurückhalten.

Wir sehen die Folter-Bilder wegen der Werbung, die sich auf diesen Seiten findet. Dass Skandale sich verkaufen lassen, ist in unserem System ein Garant für Informationsfreiheit.

Osterei

Eine nette xDCberraschung zu Ostern betrifft die UG2002-konforme Regelung der Vorschläge zur Dekansbestellung.

Dazu sind die Professoren, nicht der Mittelbau befugt. Zusätzlich aber auch die Gastprofessoren. Das heisst: Personen, die 14 Tage an der Universität lehren, können den Vorschlag, der an das Rektorat geht, mitgestalten. Zur Erstellung der Vorschläge hat sich das Rektorat an den dienstältesten Professor gehalten. Der macht das ohne weitere (veröffentlichte) Verfahrensvorschriften. Das könnte ziemlich schief gehen.

Am Beispiel der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften im Sandkastenspiel verdeutlicht: es gibt 13 Auserwählte, welche die Dekanin vorschlagen können. Davon sind 5 Gastprofessorinnen. Gesetzt den Fall, die tatsächlich hier angestellten Professorinnen haben eine 5:3 Mehrheit für bestimmte Kandidatinnen. Dann bestimmen die Gastprofessorinnen, die es nicht mehr angeht, die Mehrheiten. Es würde mich wundern, wenn das nicht irgendwo zu Komplikationen führt.

industrieller Unterricht

Erich Neuwirth macht in einem Eintrag seines blogs darauf aufmerksam, dass die Einführung eines “industrial strenght” Lehrsystems (“Plattform”) an der Universität WIen eine Reihe wichtiger Fragen aufwirft. Zum Beispiel diese: was kommt dabei heraus, wenn man die Anschaffung so eines Programms in Analogie zum Inskriptions- oder Mailsystems betreibt?

In solchen Fällen ist klar, dass es sich um Software für die Massen handelt, die hauptsächlich administrative Stabilität und ein Minimum an Wartungsaufwand bieten muss. Das sind Qualitäten, die auch von der e-learning Plattform gefordert werden können. Doch diese xDCbertragung in einigen Punkten bedenklich.

Administration: zwischen Massenvorlesungen und Forschungsseminaren besteht ein riesiger Unterschied. Wie sinnvoll ist es, denselben Rahmen über beide zu spannen? Betreuungsaufwand: “Skripten über das WWW” (E. Neuwirth) kann man billiger verbreiten, als für zehntausende Euros pro Jahr. Andererseits ist ein Mercedes wie WebCT für experimentellen Ansätze überdimensioniert.

Die Steuerungsgruppe, der wir diese Entscheidung verdanken, musste ins kalte Wasser springen und hat einen viel zu grossen Anzug gewählt, in der Erwartung, dass das “Kind” da bald hineinwächst. Meine Einschätzung ist eher, dass — wenn es so weit wäre — der Anzug nicht mehr attraktiv sein wird.

Telefonat

Vergangene Woche, beim Kongreß der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie in Salzburg, gab es eine kuriose Premiere.

Ich hatte ein Workshop über “Medienphilosophie” angekündigt und zeigte den Vorspann zu einer ORF2-Sendung, die Ende Jänner gelaufen war. “Ein Gott für alle Menschen” mit Robert Spaemann, Peter Strasser und Ernst Tugendhat. Eine genaue Analyse dieser Einleitung macht deutlich, welche simplen Visualisierungsmechanismen im Fernsehen offenbar als nötig angesehen werden. Götzenbilder, Feuer, Rauch, alles kunstvoll durch eine Computeranimation umrahmt. Mein Kommentar hob einige Gemeinplätze hervor.

Ein Teilnehmer des Workshops war Josef Mitterer aus Klagenfurt. Er zückte sein Mobiltelefon — und rief einen der Sendungsmacher an. Ein neuer Zugang zur Bestätigung von Interpretationen! Und der Versuch fiel noch aus einem anderen Grund eindrucksvoll aus. Als der Kontaktierte nach 10 Minuten zurückrief stellte sich heraus, daß er sich gerade in London auf einem Rundgang durch die Tate Modern befand.