Zu Max Biundo hatte ich im vorhergehenden Beitrag geschrieben: “Den Auftritt kann ich nur transluzent nennen. Durch das gesammelte Wissen von Betrug und Täuschung mittels Klischees hindurch strahlt eine Unverfrorenheit welche, noch ein starkes Wort, mesmerisiert.” Das war ein Beispiel aus der Unterhaltungsmusik. Hier ist eines aus der “hohen Literatur”.
Adalbert Stifters “Witiko” spielt im Mittelalter. Ein schlichter Reiter macht sich auf den Weg zu seinem Glück. Die textkritische Ausgabe des Werkes ist in Innsbruck erarbeitet worden. Ziemlich am Anfang steigt Witiko im Böhmerwald auf den Dreisesselstein. Auf einer Wiese unterwegs trifft er zwei jodelnde Mädchen. Eines läuft, als sie ihn sieht, davon, das zweite bittet er zu bleiben.
Das andere blieb stehen. Der Reiter ging zu demselben hin. Da er bei ihm angekommen war, sagte er: “Was stehst du mit deinen Rosen hier da?”
“Ich stehe hier in meiner Heimath da,” antwortete das Mädchen, “stehst du auch in derselben, daß du frägst, oder kommst du woanders her?”
“Ich komme anders woher,” sagte der Reiter.
“Wie kannst du dann fragen?” entgegnete das Mädchen.
“Weil ich es wissen möchte,” antwortete der Reiter.
“Und wenn ich wissen möchte, was du willst?” sagte das Mädchen.
“So würde ich es dir vielleicht sagen,” antwortete der Reiter.
“Und ich würde dir vielleicht sagen, warum ich mit den Rosen hier stehe,” entgegnete das Mädchen.
“Nun, warum stehst du da?” fragte der Reiter.
“Sage zuerst, was du willst,” erwiederte das Mädchen.
“Ich weiß nicht, warum ich es nicht sagen sollte,” entgegnete der Reiter, “ich suche mein Glük.”
Unbeholfenheit, Sprödigkeit, überschüssiges Wichtigtun. Witiko und Bertha sprechen nicht miteinander, sie tauschen Inschriften aus. Die Szene ist eine Folge von Comics-Bildern mit Text in Sprechblasen. Sie liest sich wie eine Twitter-Konversation über einen Kontinent hinweg. Die beiden stimmen sich nicht aufeinander ein; sie verwickeln sich nicht in ein Gespräch. Zwischen ihren Äußerungen bricht jedesmal die Stille aus. Transluzent: Beklommenheit reißt Löcher in die ganze Geschichte. Bedeutungsschwanger wird das Geschlechterverhältnis zu einer unschuldigen Peinlichkeit und nicht nur dieses. In einem zufälligen Sonntagmorgentreffen auf der Wiese geht es um Heimat, Schicksal und Glück. “Give me a break!” Genau: einen Bruch nach jedem Satz.