Pädagogik und Statistik

Erich Neuwirth kommentiert in seinem blog die schiefe Optik der PISA Studie 2004. Es ist faszinierend zu lesen, wie sich vor dem Blick eines Statistikers die Schlagzeilen der Zeitungen in eine Mischung aus xDCbertreibung, Ungenauigkeit und Leichtgläubigkeit auflösen.

Ohne die Unterscheidung in Schultypen, Geschlechter, Daten und Extrapolationen kommen nur metaphysische Aussagen über die Schulbildung, den Leistungsabfall und die Lehrerinnenausbildung zustand.

Doktorat alt und neu

Vor kurzem las ich auf dem Gang die Prüfungszettel des Institutes und stellte fest, dass ein Student zum Rigorosum angemeldet war, dessen Dissertation ich kannte. Ich hatte sie im Entwurf abgelehnt, weil die Literatur der letzten 10 Jahre fehlte. Nun wurde die Arbeit von den geschätzen Kollegen Wuketits und Zeidler offenbar für akzeptabel gefunden.

Damals war mir natürlich klar, dass der Kandidat sich andere Prüfer suchen würde. Aber ich wollte auch nicht so weit gehen, aktiv Schritte zu unternehmen, um das zu verhindern.

Heute habe ich mich dafür zu einem Workshop in englischer Sprache in Salzburg angemeldet. Es geht um die Zukunft des Doktoratsstudiums in Europa und die Mozartstadt muss wieder einmal dran glauben:

The Ministry of Education, Science and Culture of Austria, the Federal Ministry of Education and Research of Germany, and the European University Association will therefore jointly host a Bologna Seminar entitled “Doctoral Programmes in the European Knowledge Society”, which aims at providing high-quality input on this issue for the 2005 Conference of Ministers of Education in Bergen.

We would like to cordially invite you to participate in this seminar, which will take place at the University of Salzburg, Austria, from February 3 ? February 5.

As the birthplace of Wolfgang Amadeus Mozart, Salzburg, situated close to the German border, should provide the right setting and ambience for fruitful discussions, and there will be ample opportunity to enjoy its urban flair and culture, should you decide to stay for the weekend.

Wenn ich heute träumen sollte, dann wird es wohl davon sein, dass ein high-quality input Seminar in Salzburg in Zukunft die Qualität der Doktoratsstudien steigert.

gestrichen

Noch bevor es überhaupt zu Verhandlungen über den Entwicklungsplan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft kommt, hat das Rektorat bereits zugeschlagen. Heideggerianisch gesagt: “es ist immer schon gestrichen worden”. Dem Dekan wurde mitgeteilt, dass zwei volle Professorenstellen, die unglücklicherweise im Moment nicht besetzt sind, überhaupt nicht zur Verfügung stehen.

Statt des Ministeriums ist jetzt das Rektorat für die Kürzungen verantwortlich. Die offizielle Version: durch den Entwicklungsplan würde das transparent gemacht. De facto wird genauso willkürlich agiert, wie früher. Man kann die Stimmen verstehen, die es so einschätzen:

für mich persönlich habe ich allerdings die entscheidung getroffen,solange nicht mehr voll im rahmen der derzeitigen höchst eigenartigen ug struktur zu kooperieren, solange geradezu perfide machtausübung jede
form von konstruktiver mitarbeit diskreditiert.

Gemeinheit

In der Debatte um die philosophischen Ansprüche der Hirnforschung, die sich im letzten Jahr entwickelt hat, herrscht in der Regel ein vornehmer Ton. Insgeheim flüstern sich Philosophinnen (m/w) schon zu, dass sie es mit Amateuren zu tun haben, aber es ist inopportun, Naturwissenschaftler direkt zu attackieren. Ich halte mich auch daran. Nur Herbert Schnädelbach hat sich in einem – leider nicht am Netz verfügbaren – Aufsatz in der “Frankfurter Rundschau” über die Herren lustig gemacht.

Der Ton wird schärfer. Petra Gehring hat in einem Literaturbericht in der Philosophischen Rundschau schwere Geschütze aufgefahren. Der erste Teil des Beitrags ist eine phänomenologisch-wissenschaftstheoretische Diskussion. Gegen Ende attackiert sie aber die sozialen, insbesondere juridischen, Auswirkungen:

Die Abschaffung der Schuldstrafe gehört zum Repertoire staatsrassistischer Erziehungsdiktaturen oder ruft solche auf den Plan.

Mit Singer und Roth würde ein durch neurowissenschaftliche Gutachten gesteuertes Gefährlichkeits-Verwahrsystem drohen, und da nun das Böse nicht mehr in der Seele, sondern im ‘Hirn’ sitzt, bleibt womöglich die Hirnmanipulation als der einzige Weg ins Freie.

Zuletzt ganz unverblümt der Verdacht: vielleicht suchen die Hirnforscher unter den Verbrechern Versuchskaninchen.

Schönheitskonkurrenz

Wenn man einmal von der problematischen Einbettung absieht, bieten die Entwicklungspläne der einzelnen Fakultäten der Universität Wien eine anregende Lektüre. Hochintelligente Leute sind damit beschäftigt, widersprüchliche Anforderungen möglichst effektiv zu erfüllen. Ausgangspunkt war ein Fragenkatalog des Rektorates, herausgekommen sind sehr unterschiedliche Dokumente.

Einen krassen Gegensatz bilden z.B. die Vorlagen der historisch-kulturwissenschaftlichen und der mathematischen Fakultät. Die Mathematiker verlegen sich auf das Abfeiern ihrer “big shots”. So- und soviele Aufsichtsratposten sozusagen. Und dazu, nicht zu vergessen, die Forderung nach möglichst vielen neu zu berufenden Professoren. Man muss schon sagen: die lockere Selbstverständlichkeit, mit der sie suggerieren, dass sie die besten sind, wirkt beinahe ansteckend.

Die Historikerinnen haben sich viel Mühe gemacht. Sie bieten eine allgemeine Einführung in die Arbeit der Fakultät am gesellschaftlichen Gedächtnis und spannen einen Bogen, der nicht nur von der Ressourcen-Aquirierung motiviert ist, sondern sich an allgemeinere Prinzipien kultureller Identität richtet.

Bin schon gespannt: was die Theologen schreiben, habe ich noch nicht gelesen.

Reinigungsfragen

Vermutlich ist es nicht Rektor Winckler, der die Reinigung in der Weihnachtszeit abbestellt hat. Aber es ist symptomatisch dafür, wie er die Universität führt, dass auch dieses unhygienische Detail (siehe die gestrigen Berichte) direkt auf ihn bezogen wird.

Gäbe es eine klarer konturierte Identität der Vizerektorinnen (m/w) und eine nachvollziehbare Organisationsstruktur, so würde sich die Beschwerde vermutlich direkt an die betroffene Stelle richten. Wenn man sich schon als übergeordnete Leitungspersönlichkeit präsentiert, bekommt man auch diese Kratzer ab.

Feiertags-nicht-Putz

Günther Stocker schreibt an die Mailing Liste epoche:

“ich weiß ja nicht, wer auf die grandiose Idee gekommen ist, während der unterrichtsfreien Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest gleich auch sämtliche Putzdienste ersatzlos abzubestellen, aber für diejenigen, die in diesen Tagen im Hauptgebäude arbeiten, bieten sich schön langsam unzumutbare Zustände: schmutzige, stinkende Toiletten, kein Fetzchen Klopapier weit und breit, volle Mistkübel, in denen allmählich organisches Leben zu entstehen scheint, etc. Aber am Vormittag des 31.12. muss man/frau arbeiten oder Urlaub nehmen …

Ist dieser Auswuchs des totalen Sparens nun symptomatisch, Ausdruck eines dynamischen Reformgeists, der das Personal zu vermehrter Eigeninitiative motivieren soll, nach dem Motto, jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin ein eigenes Klobeserl? Oder soll der Ort, an den selbst der Rektor zu Fuß hingeht, absichtlich vernachlässigt werden, eine Universität des reinen Geistes symbolisieren, die sich völlig von den Körpern und ihren schnöden Bedürfnissen verabschiedet hat?”

Und Andreas Schwarcz ergänzt:

“Sehr verehrter Herr Rektor!
Magnifizenz!

Da ich weiss, dass Sie normalerweise auch zu Ferienzeiten selbst im Haupthaus unentwegt arbeiten, sind Ihnen die von den KollegInnen monierten sanitären Unzukömmlichkeiten sicher schon selbst aufgefallen. Ich habe selbst heute nach einem Semester als Gastprofessor an der Georgetown University meinen Dienst wieder angetreten und der Vergleich mit einer amerikanischen Hauptstadtuniversität fiel mir selbst bei diesen administrativen Kleinigkeiten sofort unangenehm auf. Als Mitglied des Betriebsrates mache ich darauf aufmerksam, dass angemessene sanitäre Verhältnisse für die Angestellten für einen österreichischen Betrieb – geschweige denn für eine Universität mit Weltruf – eine Selbstverständlichkeit darstellen. Ich bin sicher, dass Sie sofort die nötigen Massnahmen zur Abstellung der Misslichkeiten in die Wege leiten werden.

Mit freundlichen Grüssen und den besten Wünschen für ein glückliches und
erfolgreiches Jahr für Sie persönlich und die Universität Wien

Ihr Andreas Schwarcz”

Habilitationsverfahren

Der Senat hat den Satzungsteil über Habilitationen geändert. In seiner Weisheit hat das UG 2002 die Habilitationen dem Rektorat übertragen:

Das Rektorat hat das Recht, auf Antrag die Lehrbefugnis (venia docendi) für ein ganzes wissenschaftliches oder künstlerisches Fach zu erteilen. Die beantragte Lehrbefugnis muss in den Wirkungsbereich der Universität fallen oder diesen sinnvoll ergänzen. Mit der Erteilung der Lehrbefugnis ist das Recht verbunden, die wissenschaftliche oder künstlerische Lehre an dieser Universität mittels deren Einrichtungen frei auszuüben sowie wissenschaftliche oder künstlerische Arbeiten (xA7xA7 81 bis 83, xA7 124) zu betreuen und zu beurteilen.

Man muss sich vorstellen: an der Universität Wien handelt es sich in Jahr um Dutzende Ansuchen aus allen vertretenen Fachgebieten. Niemand im Rektorat ist dafür sachlich qualifiziert. Ein Zentralismus schlimmster Sorte, der pflichtgetreu in die Satzung geschrieben wurde – bis sich doch die Einsicht durchsetzte, dass das kein praktikabler Weg ist.

Der Satzungsteil Habilitation, Mitteilungsblatt Nr. 31 vom 22. 01. 2004, wird wie folgt geändert:

1. xA7 3. Abs. 1 lautet:
“xA7 3. (1) Der Antrag auf Verleihung der Lehrbefugnis ist schriftlich und mit Angabe des Faches, für welches die Lehrbefugnis angestrebt wird, im Wege der für das beantragte Habilitationsfach zuständigen wissenschaftlichen Organisationseinheit (bei Fakultäten: im Wege des Dekanats) an das Rektorat zu richten (xA7 103 Abs. 4 Universitätsgesetz 2002).”

Kurz gesagt: die Arbeit haben jetzt die Fakultäten, das Rektorat bleibt die – fachlich unqualifizierte – Abwicklungsstelle. Das geht aus dieser Passage schön hervor:

Die Dekanin oder der Dekan oder die Leiterin oder der Leiter des Zentrums hat den Antrag auf seine Zulässigkeit zu überprüfen. Ist eine der Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 bis 4 nicht erfüllt, ist das Rektorat im Wege der Personalabteilung unverzüglich zu informieren und der Antrag vom Rektorat als unzulässig zurückzuweisen.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, mit welchem Enthusiasmus die Dekaninnen (m/w) und das Dekanatspersonal sich dieser Aufgabe annehmen werden, in welcher sie fachliche Qualifikation ohne administrative Kompetenz zugesprochen erhalten.

Betriebsrat Premiere

Gestern gab es die erste Sitzung des Betriebsrates. Früher war das der “Dienststellenausschuss”, ein Gremium der Bundesverwaltung. Jetzt ist die Universität Wien vom Personal her gesehen der drittgrößte Arbeitsgeber Österreichs und ein Unternehmen, das nach dem Modell einer Firma strukturiert ist. (Der Entwicklungsplan der Fakultät für Lebenswissenschaften enthält auch schon alle Floskeln des Leitbild-Denkens.)

Gert Michael Steiner, der neue Vorsitzende, geht die Sache in einem angenehm unaufgeregten Stil an. Eines der dringlichsten Themen ist die Mitbeteiligung des Betriebsrates an einer Vereinbarung über den Einsatz und die Funktion der Datenverarbeitung im Unternehmen, insbesondere der Umgang mit Personaldaten. Und natürlich wird es einen Kollektivvertrag geben.

Eine Eigenheit von Universitäten zeigt sich dabei deutlich: in der Firma sitzen jene Experten, die anderswo erst angefordert werden müssen. Wir haben die Informatiker (m/w), die normalerweise externe Gutachten schreiben, in den eigenen Reihen (ebenso die Juristen, Ökonomen, und Medienwissenschaftler).

Kittler Über Universitäten

In der US-amerikanischen Zeitschrift “Critical Inquiry” ist gerade der Beitrag Friedrich Kittlers zum Symposium Arts of Transmission erschienen: Universities: Wet, Hard, Soft, and Harder.

Kittler wird immer schwächer. Er geniert sich nicht für diese einleitende Bemerkung:

“I rely on a simplified version of Heidegger’s Seinsgeschichte for my analysis. I can think of no other means than historical inquiry to prepare us for the future.”

Als ob irgendetwas von dem, was Heidegger vorlegt, eine historische Analyse oder auch nur Untersuchung wäre. Als ob die Zukunft daraus entstünde, dass man Verfalls-Fantasien kess mit Turingmaschinen kombiniert und in den Fussnoten, wie gehabt, Pink Floyd und Nietzsche anführt. Garniert mit jenem wissenschaftlichen Imponiergehaben, das eine kurze Bemerkung auf Seite 9 von “Sein und Zeit” zu einer Aussage über Heideggers Beziehung zu Hilbert (den er nicht erwähnt) aufbläst.

xDCber Universitäten? “To make it possible that tomorrow’s universities will still work, may a deeply recursive gratefulness, throughout our daily labor, stay in our minds and hearts.” ogottogott