Gemeinheit

In der Debatte um die philosophischen Ansprüche der Hirnforschung, die sich im letzten Jahr entwickelt hat, herrscht in der Regel ein vornehmer Ton. Insgeheim flüstern sich Philosophinnen (m/w) schon zu, dass sie es mit Amateuren zu tun haben, aber es ist inopportun, Naturwissenschaftler direkt zu attackieren. Ich halte mich auch daran. Nur Herbert Schnädelbach hat sich in einem – leider nicht am Netz verfügbaren – Aufsatz in der “Frankfurter Rundschau” über die Herren lustig gemacht.

Der Ton wird schärfer. Petra Gehring hat in einem Literaturbericht in der Philosophischen Rundschau schwere Geschütze aufgefahren. Der erste Teil des Beitrags ist eine phänomenologisch-wissenschaftstheoretische Diskussion. Gegen Ende attackiert sie aber die sozialen, insbesondere juridischen, Auswirkungen:

Die Abschaffung der Schuldstrafe gehört zum Repertoire staatsrassistischer Erziehungsdiktaturen oder ruft solche auf den Plan.

Mit Singer und Roth würde ein durch neurowissenschaftliche Gutachten gesteuertes Gefährlichkeits-Verwahrsystem drohen, und da nun das Böse nicht mehr in der Seele, sondern im ‘Hirn’ sitzt, bleibt womöglich die Hirnmanipulation als der einzige Weg ins Freie.

Zuletzt ganz unverblümt der Verdacht: vielleicht suchen die Hirnforscher unter den Verbrechern Versuchskaninchen.

Schönheitskonkurrenz

Wenn man einmal von der problematischen Einbettung absieht, bieten die Entwicklungspläne der einzelnen Fakultäten der Universität Wien eine anregende Lektüre. Hochintelligente Leute sind damit beschäftigt, widersprüchliche Anforderungen möglichst effektiv zu erfüllen. Ausgangspunkt war ein Fragenkatalog des Rektorates, herausgekommen sind sehr unterschiedliche Dokumente.

Einen krassen Gegensatz bilden z.B. die Vorlagen der historisch-kulturwissenschaftlichen und der mathematischen Fakultät. Die Mathematiker verlegen sich auf das Abfeiern ihrer “big shots”. So- und soviele Aufsichtsratposten sozusagen. Und dazu, nicht zu vergessen, die Forderung nach möglichst vielen neu zu berufenden Professoren. Man muss schon sagen: die lockere Selbstverständlichkeit, mit der sie suggerieren, dass sie die besten sind, wirkt beinahe ansteckend.

Die Historikerinnen haben sich viel Mühe gemacht. Sie bieten eine allgemeine Einführung in die Arbeit der Fakultät am gesellschaftlichen Gedächtnis und spannen einen Bogen, der nicht nur von der Ressourcen-Aquirierung motiviert ist, sondern sich an allgemeinere Prinzipien kultureller Identität richtet.

Bin schon gespannt: was die Theologen schreiben, habe ich noch nicht gelesen.

Reinigungsfragen

Vermutlich ist es nicht Rektor Winckler, der die Reinigung in der Weihnachtszeit abbestellt hat. Aber es ist symptomatisch dafür, wie er die Universität führt, dass auch dieses unhygienische Detail (siehe die gestrigen Berichte) direkt auf ihn bezogen wird.

Gäbe es eine klarer konturierte Identität der Vizerektorinnen (m/w) und eine nachvollziehbare Organisationsstruktur, so würde sich die Beschwerde vermutlich direkt an die betroffene Stelle richten. Wenn man sich schon als übergeordnete Leitungspersönlichkeit präsentiert, bekommt man auch diese Kratzer ab.

Feiertags-nicht-Putz

Günther Stocker schreibt an die Mailing Liste epoche:

“ich weiß ja nicht, wer auf die grandiose Idee gekommen ist, während der unterrichtsfreien Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigsfest gleich auch sämtliche Putzdienste ersatzlos abzubestellen, aber für diejenigen, die in diesen Tagen im Hauptgebäude arbeiten, bieten sich schön langsam unzumutbare Zustände: schmutzige, stinkende Toiletten, kein Fetzchen Klopapier weit und breit, volle Mistkübel, in denen allmählich organisches Leben zu entstehen scheint, etc. Aber am Vormittag des 31.12. muss man/frau arbeiten oder Urlaub nehmen …

Ist dieser Auswuchs des totalen Sparens nun symptomatisch, Ausdruck eines dynamischen Reformgeists, der das Personal zu vermehrter Eigeninitiative motivieren soll, nach dem Motto, jedem Mitarbeiter/jeder Mitarbeiterin ein eigenes Klobeserl? Oder soll der Ort, an den selbst der Rektor zu Fuß hingeht, absichtlich vernachlässigt werden, eine Universität des reinen Geistes symbolisieren, die sich völlig von den Körpern und ihren schnöden Bedürfnissen verabschiedet hat?”

Und Andreas Schwarcz ergänzt:

“Sehr verehrter Herr Rektor!
Magnifizenz!

Da ich weiss, dass Sie normalerweise auch zu Ferienzeiten selbst im Haupthaus unentwegt arbeiten, sind Ihnen die von den KollegInnen monierten sanitären Unzukömmlichkeiten sicher schon selbst aufgefallen. Ich habe selbst heute nach einem Semester als Gastprofessor an der Georgetown University meinen Dienst wieder angetreten und der Vergleich mit einer amerikanischen Hauptstadtuniversität fiel mir selbst bei diesen administrativen Kleinigkeiten sofort unangenehm auf. Als Mitglied des Betriebsrates mache ich darauf aufmerksam, dass angemessene sanitäre Verhältnisse für die Angestellten für einen österreichischen Betrieb – geschweige denn für eine Universität mit Weltruf – eine Selbstverständlichkeit darstellen. Ich bin sicher, dass Sie sofort die nötigen Massnahmen zur Abstellung der Misslichkeiten in die Wege leiten werden.

Mit freundlichen Grüssen und den besten Wünschen für ein glückliches und
erfolgreiches Jahr für Sie persönlich und die Universität Wien

Ihr Andreas Schwarcz”

Habilitationsverfahren

Der Senat hat den Satzungsteil über Habilitationen geändert. In seiner Weisheit hat das UG 2002 die Habilitationen dem Rektorat übertragen:

Das Rektorat hat das Recht, auf Antrag die Lehrbefugnis (venia docendi) für ein ganzes wissenschaftliches oder künstlerisches Fach zu erteilen. Die beantragte Lehrbefugnis muss in den Wirkungsbereich der Universität fallen oder diesen sinnvoll ergänzen. Mit der Erteilung der Lehrbefugnis ist das Recht verbunden, die wissenschaftliche oder künstlerische Lehre an dieser Universität mittels deren Einrichtungen frei auszuüben sowie wissenschaftliche oder künstlerische Arbeiten (xA7xA7 81 bis 83, xA7 124) zu betreuen und zu beurteilen.

Man muss sich vorstellen: an der Universität Wien handelt es sich in Jahr um Dutzende Ansuchen aus allen vertretenen Fachgebieten. Niemand im Rektorat ist dafür sachlich qualifiziert. Ein Zentralismus schlimmster Sorte, der pflichtgetreu in die Satzung geschrieben wurde – bis sich doch die Einsicht durchsetzte, dass das kein praktikabler Weg ist.

Der Satzungsteil Habilitation, Mitteilungsblatt Nr. 31 vom 22. 01. 2004, wird wie folgt geändert:

1. xA7 3. Abs. 1 lautet:
“xA7 3. (1) Der Antrag auf Verleihung der Lehrbefugnis ist schriftlich und mit Angabe des Faches, für welches die Lehrbefugnis angestrebt wird, im Wege der für das beantragte Habilitationsfach zuständigen wissenschaftlichen Organisationseinheit (bei Fakultäten: im Wege des Dekanats) an das Rektorat zu richten (xA7 103 Abs. 4 Universitätsgesetz 2002).”

Kurz gesagt: die Arbeit haben jetzt die Fakultäten, das Rektorat bleibt die – fachlich unqualifizierte – Abwicklungsstelle. Das geht aus dieser Passage schön hervor:

Die Dekanin oder der Dekan oder die Leiterin oder der Leiter des Zentrums hat den Antrag auf seine Zulässigkeit zu überprüfen. Ist eine der Voraussetzungen des Abs. 1 Z 1 bis 4 nicht erfüllt, ist das Rektorat im Wege der Personalabteilung unverzüglich zu informieren und der Antrag vom Rektorat als unzulässig zurückzuweisen.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, mit welchem Enthusiasmus die Dekaninnen (m/w) und das Dekanatspersonal sich dieser Aufgabe annehmen werden, in welcher sie fachliche Qualifikation ohne administrative Kompetenz zugesprochen erhalten.

Betriebsrat Premiere

Gestern gab es die erste Sitzung des Betriebsrates. Früher war das der “Dienststellenausschuss”, ein Gremium der Bundesverwaltung. Jetzt ist die Universität Wien vom Personal her gesehen der drittgrößte Arbeitsgeber Österreichs und ein Unternehmen, das nach dem Modell einer Firma strukturiert ist. (Der Entwicklungsplan der Fakultät für Lebenswissenschaften enthält auch schon alle Floskeln des Leitbild-Denkens.)

Gert Michael Steiner, der neue Vorsitzende, geht die Sache in einem angenehm unaufgeregten Stil an. Eines der dringlichsten Themen ist die Mitbeteiligung des Betriebsrates an einer Vereinbarung über den Einsatz und die Funktion der Datenverarbeitung im Unternehmen, insbesondere der Umgang mit Personaldaten. Und natürlich wird es einen Kollektivvertrag geben.

Eine Eigenheit von Universitäten zeigt sich dabei deutlich: in der Firma sitzen jene Experten, die anderswo erst angefordert werden müssen. Wir haben die Informatiker (m/w), die normalerweise externe Gutachten schreiben, in den eigenen Reihen (ebenso die Juristen, Ökonomen, und Medienwissenschaftler).

Kittler Über Universitäten

In der US-amerikanischen Zeitschrift “Critical Inquiry” ist gerade der Beitrag Friedrich Kittlers zum Symposium Arts of Transmission erschienen: Universities: Wet, Hard, Soft, and Harder.

Kittler wird immer schwächer. Er geniert sich nicht für diese einleitende Bemerkung:

“I rely on a simplified version of Heidegger’s Seinsgeschichte for my analysis. I can think of no other means than historical inquiry to prepare us for the future.”

Als ob irgendetwas von dem, was Heidegger vorlegt, eine historische Analyse oder auch nur Untersuchung wäre. Als ob die Zukunft daraus entstünde, dass man Verfalls-Fantasien kess mit Turingmaschinen kombiniert und in den Fussnoten, wie gehabt, Pink Floyd und Nietzsche anführt. Garniert mit jenem wissenschaftlichen Imponiergehaben, das eine kurze Bemerkung auf Seite 9 von “Sein und Zeit” zu einer Aussage über Heideggers Beziehung zu Hilbert (den er nicht erwähnt) aufbläst.

xDCber Universitäten? “To make it possible that tomorrow’s universities will still work, may a deeply recursive gratefulness, throughout our daily labor, stay in our minds and hearts.” ogottogott

gaku/plum

Zum Bericht über Wahlen (siehe gestern) gehört auch das Wahlergebnis: die Liste der “Gewerkschaftlichen Aktionsgemeinschaft Kritische Universität” (GAKU) und der “Plattform für Universitäre Mitbestimmung” (PLUM) (ergänzt durch die IG LektorInnen, stud. MitarbeiterInnen, Grüne, FSG und Unabhängige) errang 58% der Stimmen, 15 Mandate und die absolute Mehrheit im Betriebsrat der Universität Wien. Ein epochales Ergebnis, mit dem es an der Uni erstmals eine linke Mehrheit gibt.

Anlass zu einer kleinen Reminiszenz. Ab Mitte der 70-er Jahre, also mit Beginn meiner universitären Karriere, war ich in der GAKU engagiert. Eine kleine Gruppe vorwiegend unabhängiger Dissidenten vom herrschenden konservativen Konformismus. Auch die Hochschulreform 1976 änderte nicht viel an der vorwiegend mitte-rechts Ausrichtung des Universitätspersonals.

Zum Bruch kam es (wenn ich mich recht erinnere) Anfang der 80-er Jahre. Als Mitglieder der Personalkommission sprach ich mich gegen die Weiterbestellung einer Kollegin aus, die ihrer Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen war, mit gewerkschaftlicher Unterstützung aber das Angebot einer Fixstelle im wissenschaftlichen Dienst ausschlug, um besser eingestuft zu werden. Der inzwischen verstorbene Michael Weinzierl teilte mir in einem peinlichen Gespräch den Ausschluss aus der Gruppierung mit – meine GAKU-Kollegin an der Fakultät hatte intrigiert.

Seit dieser unschönen Episode beobachtete ich das schrumpfende GAKU-Team mit einer Mischung aus Distanz und Wehmut. Eine Aktivität auf anderem Terrain begann vor einem Jahr: die Organisation einer Mitbestimmungsinitiative nach dem UG 2002. Resultat war die PLUM. Für die Wahlen zum Betriebsrat verbündete sie sich – siehe oben – mit der GAKU. Der Kreis schließt sich.

betriebsrat

mit den Wahlen vom 1. und 2. Dezember ist an der Universität Wien ein Betriebsrat gewählt worden. Einer davon: myself. Das gibt Stoff für die Zukunft.

Warum erst jetzt die Notiz: ich komme gerade aus dem Iran zurück, von einer Vortragsreise, die wie eine Tourismusveranstaltung klingt: Kerman, Teheran, Schiraz, Isphahan. Der wichtigste Eindruck? Ein Land, das in der Weltpolitik weit unter seinem Wert behandelt wird.

Übrigens: das Land Ibn Sinais (Avicenna). Passanten am Flughafen kennen ihn. Ob man das in Wien von Wittgenstein sagen kann?

der geist weht

Gerhard Spann hat in einem Kommentar mehr Symposien wie das vom vergangenen Wochenende angeregt. Nun, es war ein bemerkenswertes Ereignis. Einerseits war deutsche Prominenz nach Wien gekommen. Die Vorträge von Jens Halfwassen und Christoph Rapp boten erste Qualität. Andererseits wurden die Wiener Philosophinnen Überhaupt erst einen Tag vor dem Treffen informiert. Es war von der “my way Privatstiftung” ausgerichtet worden und wandte sich an ein Publikum, das mehrheitlich nicht aus der akademischen Philosophie zu stammen schien.

Die Diskrepanz ist am Kopf des Programmzettels augenscheinlich:

Ein Pfad zur Erleuchtung wird von zwei Geist-xC4pfeln flankiert, die vielleicht auf den kommenden Advent (Bratäpfel) hinweisen.