intellectus agens

Der Zufall will es, dass ich letzte Woche zwei Begegnungen mit dem “intellectus agens” hatte. Die erste in der betreffenden Bemerkung zu PowerPoint von hck, die zweite gestern in einem klassischen Philosophie-Vortrag.

Cristoph Rapp aus Berlin sprach über Geist und Seele bei Aristoteles, mit Ausblick auf Thomas v. Aquin und hatte einige interessante Bemerkungen parat. Es scheint, dass Aristoteles bloss an einer Stelle in seinem gesamten Werk von diesem tätigen Intellekt spricht. Es handelt sich um 15 Zeilen und die Eigenschaften, die er diesem Intellekt zuschreibt, stammen alle aus dem Bereich des Göttlichen.

Nach Rapps Darstellung hat die aristotelische Tradition, und speziell Thomas, versucht, diese göttlich gefärbte intellektuelle Tätigkeit als Eigenschaft des menschlichen Geistes zu fassen. Systematisch hängt daran u.a. die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Wenn der intellectus agens sie bestimmt, ist sie immateriell und damit vor dem Tod geschützt.

Keinerlei PowerPoint in diesem Vortrag. War auch nicht nötig, er war spannend ohne diese Unterstützung. Aber es braucht auch eine spezielle Klientel dazu, sich eine Stunde lang eine Spezialvorlesung zu Aristoteles, Averroes und Thomas von Aquin anzuhören (geschweige denn über Siger von Brabant :-))

ppt

Nun zur anderen Seite der PowerPoint Debatte.

Vor einer Woche hatte ich einen Projektabschluss mit Präsentation, Diskussion, Evalutation. Es wäre ganz undenkbar gewesen, nicht mit der entsprechenden Software zu agieren. In etwa, als ob man bei der Erbtante mit Irokesenfrisur auftaucht. Natürlich ist das nicht strafbar und in Einzelfällen sogar witzig und erfolgreich. Aber der allgemeine Mehraufwand steht in keinem Verhältnis zum Effekt.

Das gilt auch für meine beiden Vorträge nächste Woche. Am Tag der neuen Medien Über Wiki-Webs zu sprechen erfordert die passende visuelle Begleitung.

Ich habe mich darauf eingerichtet, die Herausforderung anzunehmen und andere Akzente zu setzen. Erstens mal nicht MS-Powerpoint (und auch nicht Open Office) sondern ein schickes kleines UNIX-Programm (magicpoint), das auch vieles kann, aber anders zu bedienen ist und anders aussieht. Man erzeugt die Folien nicht durch herumklicken, sondern durch die Verfassung einer Textdatei, nach dem Prinzip von LaTex. Wenn man diesen Fummelzwang vermieden hat, kann man sich auch noch was inhaltlich einfallen lassen. Demnächst hier.

Wenn Aristoteles PowerPoint gehabt haette …

Ein weniger buntes Beispiel als der Hamlet,
aber inhaltlich sehr beindruckend, und soweit ich sehe nicht satirisch/ironisch gemeint: Aristoteles De anima III,4 und III,5 (die fürchterlichen Kapitel über den Intellekt, inkl. der ca. 18 Zeilen ueber den intellectus agens auf einer einzigen PowerPoint-Folie dem Publikum endlich mal klar und leichtverdaulich dargeboten: http://info1.nwmissouri.edu/nwcourses/rfield/376ppt/lec15/sld004.htm.

Wenn die “Alten” schon PowperPoint gehabt hätten, wenn Aristoteles selber schon PowerPoint gehabt hätte, und die Sache daher auch schon selber hätte derart klar machen können: muessten wir uns nicht mehr mit Alexander von Aphrodisias, Simplikios, Themistios, Averroes, Durandus, John Baconthorpe, Pelacani, Paulus Venetus, Augustinus Niphus, Pomponazzi, Cesare Cremonini und wie sie alle heissen herumschlagen — und ich hätte nicht gewusst worüber meine MA-Arbeit und Diss. schreiben, und müsste jetzt nicht versuchen fuer SEP was zu “Renaissance aristotelianism” (m.E. ein ens inexistens) zu schreiben, – und hätte wohl einen weniger spannenden Job … .

  1. Nur wer Powerpoint nicht benutzt bleibt unklar.
  2. Nur wer unklar bleibt gibt künftigen Generationen von Philosophiehistorikern was zu kommentieren.
  3. Wenn künftige Generationen nichts mehr zu kommentieren haben, stirbt die Philosphiehistorie aus.
  4. Das Weiterberstehen der Philosophiehistorie ist aus philosophiestorischer Sicht ein per se bonum
  5. Wer gegen dieses per se bonum handelt, handelt aus philosophiehistorischer Sicht falsch.
  6. Für Philosophiehistoriker ist die philosophiehistorische Sicht die relevante.
  7. Philosophiehistoriker müssen gegen PowerPoint sein.
  8. Philosophiehistoriker aller Länder vereinigt Euch: Den Philosophen muss der Gebrauch von PowerPoint verboten werden!

Oder anders: wie das Adagium sagt: niemand hat über die Jahrhunderte mehr Leute in Amt und Brot gebracht als die Herren Homer und Aristoteles. Und dies weil sie so dunkel waren. Wer lang anhaltende Wirkung haben möchte sollte also auf PowerPonit verzichten — oder sich mindestens bemühen möglichst konfuse Folien zu erstellen.

Neu dabei

Herbert Hrachovec hat mich eingeladen, hier mitzuschreiben; und ich habe auf meine bedenklichen, vielleicht gar abschreckenden Eigenschaften hingewiesen:

  • Ich bin in den Augen mancher Leute für die
    es Wahrheit im Singular (und nicht nur
    als Plurale tantum) gibt deutlich eher
    Philosophiehistoriker als Philosophiehistoriker.
  • Meine Kenntnisse in zeitgenössischer
    Philosophie (richtiges 21. Jhd.) sind
    sehr fragmentarisch.
  • Ich setze in meinen Lehrveranstaltungen
    und Vorträgen kein Powerpoint ein.
    [:-)]
  • Ich bevorzuge Basic gegenüber C (weil
    ich eine Abneigung gegen Datenübergabe
    “by reference” statt “by value” habe).
    Nicht weil ich so viel mit “Werten”
    anfangen könnte, und was gegen Belege
    haette, sondern aus Programmiersicherheitsgründen.
    [:-)].
  • Ich bin was Österreichisches Hochschulrecht betrifft ignorant.
  • Ich scheibe manchmal zu lange Saetze mit
    zu vielen Doppelpunkten.
  • Ich verwende eine Orthographie die weder
    die alte noch die neue ist, und hänge am
    Komma vor “und”.
  • Einige der Haare die mir oben auf dem
    Haupt fehlen sind auf meinen Zaehnen
    gelandet.
  • Nicht alles was ich in hiesigen Gremien
    und Verfahren an Erstaunlichem/Befremdlichem/Belächelbarem mitbekomme werde
    ich in’s Blog einbringen koennen (…)
  • Ich bin Pfälzer

Nachdem all das h.h. nicht abgeschreckt hat: bin ich nun dabei: und schreibe mit: und danke h.h. sehr herzlich für die Möglichkeit dies zu tun.


Heinrich C. Kuhn

Anschauungsbeispiel

Ein schönes Anschauungsbeispiel für die neuen Rahmenbedingungen der Universitätsentwicklung ergab sich gestern abends in einer Besprechung zwischen Angehörigen der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft und Vizerektor Jurenitsch.

In einer umstrittenen Aktion hatte Justizminister Böhmdorfer das Handelsgericht aus der Riemergasse im 1. Bezirk abgesiedelt und dem Finanzminister einen hohen Erlös durch Verkauf des Gebäudes versprochen. Der war nicht zu realisieren. Die Bundesimmobiliengesellschaft blieb auf dem Objekt sitzen und bietet es der Universität zu günstigen Bedingungen zur Nutzung an.

Es handelt sich um 15.000 Quadratmeter Nutzfläche und Vizerektor Jurenitsch ist verständlicherweise daran interessiert, die Gelegenheit zu ergreifen, um die Raumsituation der Universität zu konsolidieren. Das Problem ist allerdings, dass die Riemergasse – gemessen am Hauptgebäude und Campus – am anderen Ende der Innenstadt liegt, deutlich entfernt vom Zentralbereich der Universität.

Die Planspiele des Rektorats zur Besiedelung der Immobilie ergaben, dass dort die theologischen Fakultäten, die Informatik und die Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften untergebracht werden könnten. Die Pädagogik hat akute Probleme mit ihrem Standort in der Garnisonsgasse, die evangelische Theologie solche mit ihrer Bibliothek und die Informatik wünscht sich eine Konsolidierung ihrer verstreuten Lage. Der Plan des Vizerektors nimmt diese Schwierigkeiten zum Anlass, vier Fakultäten in das günstig angebotene Haus umzusiedeln.

Ökonomisch wird das wohl sinnvoll sein. Die theologischen Fakultäten und die Philosophie und Bildungswissenschaft sind einmütig dagegen. In einer mehrstündigen Besprechung machten sie Jurenitsch klar, was sie davon halten, als Dispositionsposten im Budget behandelt zu werden. Die Umsiedlung zwingt tausende Studierende zum Pendeln und zerreisst die Einbettung der betroffenen Wissenschaften in den Kontext der anderen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Er setzt ein Signal dafür, dass Grundlagenforschung isoliert und externalisiert werden kann. Während im Entwicklungsplan explizit die Unterstützung von Grundlagenwissenschaften angeführt wird, erschwert er ihre Integration mit anderen Teilen der Universität und beeinträchtigt ihre Attraktivität für Studierende.

Die Abläufe an der Universität werden derzeit nach einem neuen Management-Modell umgestellt. Nach “Eckpunkten” folgen “Richtlinien” und “Fragenkataloge”, dann werden “Leistungsvereinbarungen” abgeschlossen. Man kann über dieses Verfahren geteilter Meinung sein, bemerkenswert am vorliegenden Fall ist die Tatsache, dass nichts davon zu sehen ist. Es wird über die Köpfe der Belegschaft hinweg geplant, gerechnet und verfügt.

Wenn es darum geht, das Globalbudget optimal auszunützen, sind Nettigkeiten wie die Erhebung real existierender Kooperationen, struktureller Nebenwirkungen oder die zeitgerechte Rückfrage bei Mitarbeiterinnen nicht vorgesehen. In den Aussendungen des Rektorates findet sich häufig die Aufforderung, aktiv an der Gestaltung der Universität mitzuwirken. Gemessen an der Veranstaltung gestern abends hat das folgenden Sinn: die Universitätsangehörigen sollen akzeptieren, dass sie in Zukunft je nach der Höhe des Mietpreises zwischen Gebäuden verschoben werden.

Feedback

Gestern in einem gruppendynamisch gestylten Workshop lernte ich den Unterschied zwischen Frage und Feedback.

Mit Fragen wendet man sich an das Gegenüber, sucht Kontakt und will eine Auseinandersetzung beginnen. Natürlich gibt es verfehlte, rhetorische, aggressive Fragen, aber der Gestus zielt auf öffentliche Diskussion.

Anders das Feedback. Hier ist (zumindest nach einer bestimmten Strategie) nicht an Reaktionen gedacht. Mit Feedbacks setzt man sich nicht auseinander. Man nimmt sie zur Kenntnis. Sie sind Entlastung und Zumutung gleichzeitig. In einer Hinsicht ehrlicher – ich sage Dir, wie das angekommen ist, nur damit Du es weisst. Und in einer anderen Hinsicht infam, weil sie die Adressaten in den Scheinwerfer rücken, ohne die Möglichkeit sachlicher Konflikte vorzusehen.

Interessant ist dennoch, wie schnell mir diese Verfahrensregeln einleuchtend schienen. Sie laufen parallel zur Systemtheorie, die keine Interaktion, sondern die Koordination von Automatismen vorsieht.

geschicktes Abwägen

Heinrich C. Kuhn hat auf meine gestrigen xDCberlegungen zum “unpraktischen” Grundzug der Philosophie mit dem Hinweis auf Petrarca reagiert. Tatsächlich habe ich die Tradition des kontinentalen mainstreams des letzten Jahrhunderts im Auge gehabt. Die Arbeitsteilung zwischen Technik und Reflexion ist da viel weiter fortgeschritten, als zu Beginn der Neuzeit.

Die nette Point ist natürlich, dass in der Medienphilosophie wieder auf frühere Umstände zurückgegriffen werden kann. In der klassischen Tradition fühle ich mich mehr oder weniger verpflichtet, etwas über den Unterschied von Archiv und Datenbank zu sagen. Das sind wohldefinierte Begriffe und es muss möglich sein, aus ihrer Explikation Orientierung zu gewinnen.

Aber die Umstände sind nicht so. Sie verwischen sich zusehends. Das bringt Unruhe und neue Impulse in die Begriffswelt.

Fehlerquellen

Gestern beim “Computerbasteln” eine bedenkenswerte Situation. Ich versuchte, mit einem Programm, dessen Funktionsweise mir noch unklar ist (transcode), ein Videofile von einem Format ins ein anderes zu bringen (mpeg -> mov). In solchen Situationen freut man sich ja schon, wenn etwas läuft und nimmt das Produkt als Beweis dafür, dass es passt.

Aber natürlich ist das erst zu überprüfen. Also lade ich das mov-File in ein Video-Verarbeitungsprogramm, von dem ich annehme, dass es mit diesem Format umgehen kann (cinelerra). Siehe da: die Videospur ist vorhanden und auch die Tonspur sieht normal aus. Jedoch: kein Ton. Also ist doch etwas schief gegangen (wie so oft zuvor) —

Irrtum, inzwischen hatte ich ein Systemupdate durchgeführt und dadurch war die Lautstärke der Soundkarte auf Null gesetzt worden. Solche Situationen kommen im Handwerksbetrieb ständig vor, in der Philosophie werden sie fast niemals thematisiert. Unsicherheiten, die nicht prinzipiell zu lösen sind, sondern durch geschicktes Abwägen situationsrelevanter Faktoren.

Ungleichgewichte

Die derzeitige Angleichung der Universitäten Österreichs an Wirtschaftunternehmen ergibt eine Anzahl von Unstimmigkeiten.

  • Lehrbeauftragte sind “im Betrieb” angestellt. Also müssen sie auch mitbestimmten können. Aber es ist unklar, unter welchen Bedingungen sie wählen dürfen und wie sie Prüfungen abhalten sollen, wenn sie (nach Ablauf des Lehrauftrags) in keinem Dienstverhältnis mehr stehen.

  • Die Universität ist ein “Unternehmen” von unvergleichlicher fachlicher Breite. Wie wird dort das Projektgeld gehandhabt? In Wien gibt es einen zentralen Stab zur Verwaltung sämtlicher Drittmittel-Gelder. Das funktioniert bisweilen äußerst zäh und ist von der Konzeption her geradezu sozialistisch.

  • Die Angestellten erhalten ihr Geld für eine Mischung aus Forschung, Lehre und Verwaltung. Wenn die Universität ihr Lehrangebot planen will, bräuchte der Vizerektor für die Lehre eine extra Budgetzuweisung. Das ist jedoch nicht aus dem allgemeinen Personalbudget herauszurechnen.

  • Eine gesellschaftliche “Leistung” der Universität ist die Vergabe von akademischen Graden. Traditionell werden die Gepflogenheiten der jeweiligen Wissenschaftsdisziplinen befolgt. Aus unternehmerischer Sicht gehört das gestrafft und überwacht. Das führt dazu, dass die Studienpräsidentin daran denkt, sich für alle Doktorate zuständig zu erklären. Wirkich ein weites Feld.

Adaptionsschwierigkeiten? Es dürfte sich eher um einen Systembruch handeln.