Im siebenten Buch bei Platon findet sich nach dem Höhlengleichnis die Frage: „Welche Wissenschaft, mein Glaukon, kann nun die Seele vom Werden zum Sein ziehen?“ Nachdem Gymnastik, Musik und Handwerk ausscheiden, kommt Platon auf etwas, „was sich auf alles bezieht[…]was alle Künste, Forschungen und Wissenschaften benützen, was jeder in den Anfangsgründen erlernen muß!“ – die Mathematik.
Für Platon ist die Zahl Eins ein idealer Gegenstand, um das Denken zum Sein zu führen; denn sie hat eine widersprüchliche Erscheinung. Einerseits ist sie eine Einheit, andererseits kann man sie unendlich oft kopieren (dadurch kommt es zu den anderen Zahlen, die alle von der Eins heraus produziert werden können). Dieser Widerspruch regt das Denken an:
„Wenn aber immer mit ihr [der Eins] zugleich ihr Gegensatz gesehen wird, so dass sie ebenso als Eins wie als Gegenteil davon erscheint, dann bedarf es schon eines Richters, und die Seele wird zwangsläufig unsicher und forscht nach, indem sie in sich das Denken erweckt, und sie fragt, was denn die Eins an sich ist; und so würde dann das Wissen um die Eins zu jenen Kräften gehören, die uns umwenden und führen zur Schau des wahren Seins.“ (524d)
Deswegen gehört die Mathematik zu den Wissenschaften, die Platon sucht:
„Der Kriegsmann muß sie wegen der Truppenabteilungen lernen, der Philosoph, weil er aus der Welt des Werdens heraustauchen und die Welt des Seins erfassen muß – andernfalls er niemals ein wirklicher Rechner wird.“
Die letzte Wendung erinnert mich an Allan Turings Erläuterungen seiner Turingmaschinen, durch die er wichtige theoretische Grundlagen zur Entwicklung elektronischer Rechner geliefert hat. Er spricht dabei von Computern und meint damit Mathematiker oder Menschen am Fließband, bspsw.:
„Stellen wir uns vor, dass die vom Computer durchgeführten Operationen in ‚einfache Operationen’ aufgeteilt werden, die so elementar sind, dass man sich eine weitere Aufteilung nicht leicht denken kann. Jede solche Operation führt zu einer gewissen Änderung des physikalischen Systems, das aus dem Computer und seinem Band besteht.“
Und erst weiter unten:
„Es ist jetzt möglich, dass wir eine Maschine konstruieren, die die Arbeit des Computers ausführt. Jedem Geisteszustand des Computers entspricht eine ‚m-Anordnung’ der Maschine.“
Dummerweise werde ich beim Posten von Kommentaren als Spambot qualifiziert (hier wirkt sich die Eigendynamik der virtuellen Welt schon aus). So werde ich nun einen Antwortpost anstelle des Kommentars zu: “Heilige, Übermenschen, Avatare” verfassen.
Die These gegen Ende des Vortrags, dass nämlich sowohl Jesus Christus als auch die Maus eine ähnliche Vermittlerrolle inne haben, bzw. Mitglieder zweier Welten sind, ist provokant und regt zum Nachdenken an:
Dabei ist mir ein Buch von Papst Benedikt 16 (als er als Josef Ratzinger noch Vorlesungen hielt) in die Gedanken getreten: “Einführung in das Christentum”, der mir u.A. die Bedeutung des Kreuzes im Christentum etwas klarer gemacht hat. Anbei ein paar Stellen, die mir zum Thema zu passen scheinen:
“Der Glaube sieht in Jesus den Menschen[…], in dem Personalisation und Sozialisation sich nicht mehr ausschließen, sondern bestätigen; jenen Menschen, in dem höchste Einheit – “Leib Christi”, sagt Paulus, ja noch schärfer: “Ihr seid ein einziger in Christus” (Gal 3,28) – und höchste Individualität eins sind; jenen Menschen, in dem die Menschheit ihre Zukunft berührt und in höchstem Maße sie selbst wird, weil sie durch ihn Gott selber berührt, an ihm teilnimmt und so in ihre eigentlichste Möglichkeit gelangt. Von da aus wird der Glaube in Christus den Beginn einer Bewegung sehen, in der die zerteilte Menschheit immer mehr eingeholt wird in das Sein […] eines kommenden Menschen”.
Kommender Mensch – das findet man auch bei Nietzsche und seiner Übermensch-Konzeption.
“[D]as Kreuz […] als der Vorgang, in dem einer das ist, was er tut, und das tut, was er ist; als Ausdruck für ein Leben, das ganz Sein für die anderen ist.”
“Wer seine Existenz so ausgestreckt hat, daß er gleichzeitig in Gott eingetaucht ist und eingetaucht in die Tiefe des gottverlassenen Geschöpfs, der muß gleichsam auseinanderreißen – der ist wirklich ‘gekreuzigt’.”
Querverweis:
In meiner (bald fertigen) Seminararbeit (siehe “Noncomputable Computations”) komme ich darauf, dass Computer Science per se Mitglied zweier Welten ist. Einerseits gibt es die Welt des idealen, mathematischen, unendlichen. Auf der anderen Seite die endliche Welt der Maschinen und Menschen, die mit Alltagsproblemen fertig werden wollen. Computer Science versucht aus Erkenntnissen der idealen Welt die reale auszurichten, einzuteilen und zu steuern. Andererseits treten praktische Zusammenhänge durch geeignete Modellanpassungen in die ideale Welt. Insofern ist Computer Science auch gekreuzigt, wenn ich mir diese Verbindung erlauben darf.
Gestern abends gab es die Big Brother Awards. Eine Preisverleihung an Personen und Institutionen, die sich besonders um die Verletzung des Datenschutzes “verdient” gemacht haben.
In diesem Formular wird das Geburtsdatum und der Geburtsort der Antragstellerin abgefragt.
Im Kleingedruckten findet sich ein Passus, in dem man die Weitergabe der Information an Dritte untersagen kann. Der Post ist allerdings nicht aufgefallen (oder unwichtig), dass es keine Mittel gibt, diese Option online anzukreuzen.
Und wirklich scherzhaft ist die Begründung der Post für ihren Informationszugriff. Sie sagt, dass an einer Adresse ja zwei Generationen einer Familie leben können, Josef Gruber Vater und Sohn. Die Post verschweigt uns allerdings, wie sie anhand einer Adresse “Josef Gruber” herausfindet, welcher von beiden gemeint ist.
Ja, ein neues Uni-Jahr hat begonnen. Und wieder einmal überlege ich mir, welche Seile man zwischen den Klüften aufspannen kann, die zwischen Philosophie, Informatik und Alltag/Domain mehr oder weniger vorhanden sind. Es hat sich etwas ergeben, was schon in manchen Semestern zuvor (aber weniger drastisch) passiert ist: Auf erstaunliche Weise überschneiden sich einige der Lehrveranstaltungen thematisch. In diesem Semester passiert das so, dass die Themenbereiche der LV’s zwar heterogen sind, jedoch die einzelnen Schnittstellen eine Kette bilden, die sich sozusagen zu einem Gesamten zusammenfügen. Dieses Semester ist für meine Vorstellungen vor allem deshalb interessant, weil durch die Kompetenzerweiterungsfächer des Informatikstudiums die Reflexion über die Informatik zum Thema gemacht wird, was das Spannen von Seilen zwischen Informatik und Philosophie etwas erleichtert.
Um genauer zu zeigen, was ich damit meine, werde ich einige für das Thema relevante Lehrveranstaltungen aus meinem Semesterplan herausgreifen und ein paar dieser Verkettungen beschreiben. Zur Vereinfachung führe ich folgende Abkürzungen ein:
OSP (Open Source Philosophie)
SGG (Sozial&Geisteswissenschaftliche Grundlagen)
PPS (Projekt: Platos Staat interaktiv)
EK (Evolution der Kooperation)
TP (Theoretische Philosophie)
GA (Geschichte der Philosophie – Antike)
IuR (Informatik und Recht)
IuG (Informatik und Gesellschaft)
OPT (Optimierung und Simulation)
GPI (Great Principles of Information Technology)
POS (Wider die Auflösung aller Wahrheit – Geschichte und Bedeutung des Post-Strukturalismus für ein zeitgemäßes Denken)
XXX (Informatik-Lehrveranstaltungen vergangener Semester, die bestimmte Technologien zum Thema hatten)
Ich habe versucht, bei dem folgenden Komponentendiagramm die Syntax der Symbole weitgehend dem UML-Standard entnommen, soweit es sinnvoll war. Vor allem bei den Interfaces (die Kreise mit den Linien dran, sogenannte Lollypop-Notation). Trotzdem sollte man das Diagramm nicht nach den strengen formalen Regeln, wie sie UML vorschreibt, lesen. Die Zusammenhänge sind außerdem nicht vollständig.
Zur Erläuterung: Sehen wir uns zunächst einmal die LVs der Disziplinen isoliert voneinander an.
Philosophie:
Innerhalb der Philosophie bildet TP den allgemeinen Rahmen, der helfen kann, spezielle Wege in einen größeren Rahmen einzuorden.
Update: Durch eine Verschiebung der Vorlesungszeiten kann ich TP leider nicht absolvieren. Der allgemeine Rahmen sollte aber zumindest durch mein Vorkenntnis gegeben sein)
Update2: TP-Streams gibt es auch in der Philosophischen Audiothek, was für mich die optimalste Lösung ist. Das freut mich.
GA ist vor allem zur Ergänzung von PPS und OSP wichtig und umgekehrt können Detailerkenntnisse von PPS und OSP zu GA fließen.
PPS liefert, da es sich um ein Projekt handelt, das aller Voraussicht von der Kooperation mit anderen LV-Teilnehmern lebt, weitere Erfahrungen mit Kooperation, die in EK zur Falsifizierung der dort behandelten Theorien dienen kann.
Vermittlung (interdisziplinär):
Bei den Vermittlungs-Lehrveranstaltungen bilden OSP, IuG und SGG die Basis. Diese drei speisen alle mehr oder weniger von rechtlichen Überlegungen (vor allem was Datenschutz und geistiges Eigentum) betrifft, was in IuR Thema sein soll.
Update: PPS sollte in unmittelbarer Nähe zu den Vermittlungs-Lehrveranstaltungen gesehen werden.
Allgemeine Informatik:
Die ordnende Komponente, die den Anspruch hat, die Technologien von OPT sowie diverser anderer LVs aus vergangenen Informatik-LVs (XXX) invarianteren Prinzipien zuzuordnen, ist GPI. Als ich heute die Einführungseinheit hörte, hat mich dieser Anspruch positiv überrascht (vgl. weiter unten).
Medizininformatik:
Ich habe die einzelnen LVs nicht mehr extra herausgehoben (man könnte hier noch viele spannende Verbindungslinien finden, doch der Überschaubarkeit zuliebe lass ich das mal). Wichtig ist, dass man hier in den Anwendungsbereich (Domäne) der Informatik kommt. Im Prinzip kann man diese Domäne als gesellschaftlichen Bereich fassen, in dem bestimmte Tätigkeiten ausgeführt werden. Ein Pflegeheim zum Beispiel. Wie kann die Informatik in den Alltag eines Pflegeheims eingreifen? Welche Anforderungen hat sie, welche Probleme gibt es bereits beim Einsatz von IT-Technologien in Pflegeheimen? Hier wären rechtliche Fragen sicher auch bedeutsam, doch in Rahmen von IuR wird das voraussichtlich nicht thematisiert.
Seile spannen:
Die Philosophie holt sich bei PPS, das ist sicher bemerkenswert, Technologien direkt aus der Informatik, denn das Projekt wird mit einer Art Programmiersprache (auch wenn sie der natürlichen Sprache nahe kommt) realisiert.
OSP wird vielleicht duch Reflexionen über die in der Gesellschaft integrierte IT-Technologie etwas erfrischend Neues zum Selbstverständnis der Philosophie zu sagen haben (Stichworte: Kooperation, Demokratie), was vielleicht sogar in Kontrast zur antiken Philosophie steht.
Alle Kern-Vermittlungs-LVs reflektieren auf bestimmte Weise über die Prinzipien der Informatik oder die Einbettung der Informatik in alltägliche soziale Tätigkeiten (Pflegeheime, politische Betätigung, Selbstdarstellung,…).
Alles in allem ist, wie ich finde, das Ensemble der Lehrveranstaltungen in diesem Semester zu einem großen Teil gelungen. Es sieht zumindest auf den ersten Blick so aus, als ob das möglich wäre, was ich mir seit Beginn des Studiums wünsche: Einen konkreten Bogen zu spannen zwischen verschiedenen Denkansätzen, vornehmlichen denen der Informatik und der Philosophie. Die vor Ideen strotzende Philosophie wird über Vermittlungsstufen, die sich auf aktuelle gesellschaftliche Strömungen, sowie antiken Vorstellungen beziehen, durch die formalen Prinzipien der Informatik geschleust, um die Ideen von Jahrtausenden für die Probleme des Alltags (im Krankenhaus, im Forschungsbetrieb, im Freizeitbereich, …) zu übersetzen und vielleicht nutzbar zu machen. Dieser eigentlich Umweg von Philosophie zu den alltäglichen Gegebenheiten unseres Lebens über die Informatik dürfte für Alltag, als auch für Philosophie und Informatik fruchtbar sein, neue Perspektiven aber auch Warnungen eröffnen.
Vielleicht täusche ich mich auch, und das Ganze sieht in einem Diagramm viel übersichtlicher aus, als es dann, wenn man sich mit den Themen beschäftigt, tatsächlich ist und man verliert sich in Detailfragen der ein oder anderen Disziplin, ohne dass man fähig wäre, ein Seil zu spannen, dass irgendwie fruchtbar wäre.
GPI: Der Weg aus der Ingenieurswissenschaft
Wie oben angekündigt, noch eine kleine Reflexion über die erste GPI-VO-Einheit:
Es hat sich ergeben, dass in diesem Semester in der Informatik selbst Tendenzen zu erkennen sind, die das Spannen eines Seils zwischen ihr und der Philosophie erleichtern. In GPI wird versucht, längerlebige Prinzipien, die hinter den schnell sich abwechselnden Technologien auftreten, zu identifizieren. Dies ermöglicht es, GPI als ein ideales Interface für die Vermittlungsstufen zur Philosophie anzusehen, das die anderen in der Informatik verwendeten Technologien auf ein allgemeineres Niveau hebt. Natürlich heißt das nicht, dass dies schon alles wäre, was zur Informatik zu sagen wäre, gerade wenn es um die Einbettung der Technologien in die sozialen, alltäglichen Tätigkeiten geht, sind Philosophie, Soziologie und Kognitionswissenschaften gefragt, nachzudenken.
Worauf ich mich beziehen wollte war, dass es sich nicht nur so verhält, dass die Philosophie sich der Informatik annimmt, um sie auf den rechten Pfad zu leiten, sondern dass umgekehrt die Informatik ihren Ruf, Ingenieurswissenschaft zu sein, aufgrund der steigenden Komplexität aufzugeben hat, und ihre vielfältigen heterogenen Technologien, die sich schnell ablösen, daraufhin zu untersuchen, ob es beständigere, weitgehend invariante Prinzipien gibt, die zwar nicht ganz so hart wie die der Naturwissenschaften auftreten können, dem Informatiker jedoch stark helfen, sich in einem Wald von Technologien zurechtzufinden.
Und eine weitere interessante Frage stellt sich: Welche Grenzen ergeben sich, wenn man denjenigen oder dasjenige berücksichtigt, der oder das die Technologien benutzt? Welche Folgen hat ein Umgang mit einer Klasse von Technologien (die durch ein oder mehrere Prinzipien konstitutiert wird) für den alltäglichen “User”? Wie verändert sie das Leben des “Users” oder die Aktionsmöglichkeiten des “Bots”?
Ein Seiltanz ist gefährlich und gewagt – man fliegt vielleicht auf die Nase oder bricht sich das Genick. Irgendwann aber ist man vielleicht soweit und stellt sich nicht mehr so unbeholfen an, wenn man auf die andere Seite geht. Dann kann man mit dem Brückenbau beginnen…
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