Ein Vortrag zu den Gründen von Sokrates’ Tod und zu den Auswirkungen auf die gegenwärtige Bildungsdiskussion ist hier zu hören. Mit einem Ausblick auf die Bologna-Reform. Textunterlagen finden sich im Philo-Wiki
Angriffe, Verteidigungen, Freispiele
Ein Vortrag zu den Gründen von Sokrates’ Tod und zu den Auswirkungen auf die gegenwärtige Bildungsdiskussion ist hier zu hören. Mit einem Ausblick auf die Bologna-Reform. Textunterlagen finden sich im Philo-Wiki
Leider muss man der Presse entnehmen, dass die Mehrheit unserer UniRats-Mitglieder eine ungewöhnliche Missbildung aufweist.
“Die Presse” vom 7.4.2008: Neuwahlen: Vakante Uni, fehlende Kontrolle
Ressort: Leben Lernen, S.9
WIEN. An der größten Universität des Landes ging alles glatt. Der neue Universitätsrat konstituierte sich am Tag des Funktionsendes des alten, der seit 2003 im Amt befindliche Vorsitzende Max Kothbauer wurde wiederum zum neuen Ratsvorsitzenden der Uni Wien gewählt, im neunköpfigen Rat wurden nur zwei Mitglieder ausgewechselt – was für eine größtmögliche Kontinuität spricht; und außerdem stellen die weiblichen Mitglieder mit fünf Köpfen die Mehrheit. Ein Ausnahmefall!
Und da haben wir noch gar nicht davon gesprochen, dass Max Kothbauer jetzt schon ein 2. Mal zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Wie oft kann man neuer Vorsitzender sein?
(Mit Dank an den bekannten Spender.)
Die p.r Expertinnen haben nun “den Auftritt” der Universität aktualisiert. Aus der distanzierten Hülle ist eine bunte, mit wechselnden Inhalten versehene, Erlebniswelt geworden. Die Gestaltung orientiert sich am Standard US-amerikanischer Blog-Sites. Ich kann dem Strategiewechsel nicht widersprechen, auch wenn meine Vorliebe eher dem alten Aussehen gehört.
Eines allerdings ist traurig: die einfältige Bilderwelt, die nun die Hauptseite schmückt. Ein altes Haus, ein neues Haus und dazwischen viele viele lernbegierige Studentinnen (m/w). Man wollte die Seite lebendig und individuell gestalten und durch die Einschaltung des Terminkalenders und der “Aktuellen Meldungen” ist das auch gelungen. Aber dabei hat man abgebrauchte visuelle Klischees an die Spitze gesetzt. Diese Internationalisierung ist eine Applanierung.
Die Universität Wien hatte eine Homepage in dezent zurückgenommenem Design. Schwarz-weiß, mit geringen Bitmengen. Das Foto des Hauptgebäudes und die Galerie der Schaufiguren delikat in einen weißen Hintergrund gezeichnet. Vier Absätze umrissen kurz den Anspruch und den Wirkungsbereich der Institution. 6 Textreiter boten den Zugang zu weiteren Informationen.
Man soll das nicht glorifizieren. Design ändert sich und verfolgt wechselnde Zwecke. Dennoch: Es war eine Oberfläche, die nicht mit popularisierender Kumpelhaftigkeit arbeitete, sondern Zurückhaltung, ja eine gewisse Noblesse vermittelte.
Vergangenen Donnerstag hat der Senat vom Rektorat den Entwurf zum Entwicklungsplan bis 2012 erhalten. Er wird in der nächsten Sitzung (24.1.) zu diskutieren sein. Einige Bemerkungen nach der ersten Lektüre.
Der Entwicklungsplan ist ein Container unterschiedlicher Textsorten. Es findet sich Werbematerial, Grundlagendokumente, Strategiepapiere, Verzeichnisse und Absichtserklärungen. Im Vergleich mit der Vorgängerversion ist ein Akzent auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses gelegt. Die Durchlässigkeit zwischen Bachelor- und Masterstudium wird festgehalten. Für 2009 werden 5, für 2010 7 (neue oder verlängerte) Initiativkollegs angekündigt. Die Rolle des Lehramtstudiums ist festgehalten. Das ist eine positve Entwicklung.
Insgesamt ist das Dokument deutlich zu lang. Es hat stellenweise zeremoniellen Charakter und stellt keine strukturierten Lesehilfen zur Verfügung. Der Eindruck ist: Wir nehmen uns soviel Platz, wie uns gefällt. Eine editorische Überarbeitung wäre wünschenswert. Dokumente von ähnlichem Volumen haben die Historikerinnen im Rahmen der Bologna-Umstellung produziert. Dort haben wir auf eine schlankere Darstellung gedrängt.
Als Beitrag zur Verkürzung rege ich an, aus dem Kapitel über die Lehre das Strategiepapier “Bologna” aus dem Jahre 2005 herauszunehmen. Es ist ab diesem Jahr gegenstandslos. Auch die Passagen über die universitären Forschungsschwerpunkte sollten gekürzt werden. Hier besteht das Problem, dass einerseits eine 3-Jahresfrist für diese Projekte angegeben wird, andererseits aber die bereits 2 Jahre alten Schwerpunkte angeführt werden. Es gibt zu ihnen keine Rechenschaftsberichte und sie laufen (nach dem Papier selbst) in Kürze aus.
Das längste Kapitel bildet die Auflistung der Forschungsschwerpunkte der Fakultäten und die (gesetzlich vorgeschriebene) fachliche Widmung der Professorinnnen (m/w). Hier ist ersichtlich viel Arbeit darauf verwendet worden, der universitären Forschungslandschaft eine einigermaßen homogene
Struktur zu verleihen. Die Sprachregelung unterscheidet zwischen “Themenfeldern” und “Forschungsschwerpunkten”. Das eine sind die Fachgebiete, die eine Fakultät abdeckt, das andere sind hervorgehobene, aktuelle und erfolgreiche Spezialisierungen.
Es bedürfte einer längeren Mail, um diesen Abschnitt zu kommentieren. Das Ergebnis der Vereinheitlichungsbemühungen fällt gemischt aus. Manche Fakultäten halten sich nach den Vorgaben, andere scheinen sich eher einen Spaß daraus gemacht zu haben, sie subtil zu umgehen. Die 11 Forschungsschwerpunkte der Juristinnen z.B. sind auf imaginative Weise auch die Themenfelder. Dafür heißen “Foschungsschwerpunkte” in den historischen Kulturwissenschaften “Paradigmen”.
Auf einen Problempunkt sei noch hingewiesen.
“Fakultären Forschungsschwerpunkten soll entweder schon jetzt, oder in absehbarer Zukunft (in neuen Feldern) Exzellenzfunktion zukommen.”
Hier zeichnet sich ein Verständnis von Schwerpunktbildung ab, das die teilweise Zurückhaltung gegenüber dem Forderungen der Universitätsleitung verständlich erscheinen läßt. Nach dieser Aussage ist nämlich zu erwarten, dass in 3 Jahren neue Forschungsschwerpunkte gefragt sind. Das passt dazu, dass man immer dort dabei sein möchte, wo gerade etwas zu holen ist. Es steht aber in eklatantem Widerspruch zu einer nur einigermaßen nachhaltigen Qualitätspolitik. Wie soll man sich das vorstellen: Eine Fakultät bietet in einem Spezialgebiet internationale “Exzellenz” und in ein paar Jahren wechselt sie die Stiefel?
Der Ort ausserhalb der Macht, von dem Roland Barthes hier in seiner Antrittsvorlesung spricht, ist das College de France. Und er schmückt aus, was von vielen Kolleginnen zu hören ist. Sie sind nicht dazu da, um Gutachten zu schreiben, Geld zu organisieren und Preisausschreiben (i.e. Evaluationen) zu gewinnen. Sie dienen der “reinen Wissenschaft”. Sie wollen in Ruhe forschen.
“Träumen”. Bekanntlich fehlt im Traum die Negation. Es ist ein schöner Traum, dass in der Forschung lauter neuartige, unkontroverse Inhalte entwickelt werden. Danach setzt man sich einfach hin und “phantasiert” auf hohem Niveau. Roland Barthes hat vorgemacht, dass die Vorstellung nicht völlig unrealistisch ist. Aber sie grenzt an die Unmöglichkeit.
Im akademischen Zusammenhang das Wort ergreifen, das hat noch immer einen Anstrich von Herrschaftslosigkeit. “Die Wissenschaft ist frei.” Aber es muss sehr viel funktionieren, damit das ernstlich behauptet werden kann und zwar in Bereichen, die alles andere als unreglementiert sind.
Ich mache einen Umweg und komme dann zu einem Punkt.
Ein disfunktionaler Mail-Server hat mich kürzlich dazu gebracht, den Mail-Transport auf der Kommandoline zu testen. Man muss dabei die Abläufe Schritt für Schritt selbst eingeben. Also etwa so:
> mail from carlo@philo.at
Das funktioniert nicht. 5 Fehlermeldungen, bis ich draufkomme, dass es so heissen muss:
> mail from: carlo@philo.at
Ein Doppelpunkt macht den ganzen Unterschied zwischen einer Fehlfunktion und dem Anschluss an den weltweiten eMail-Verkehr. Dazu ist anzumerken, dass es völlig unerheblich ist, ob die Mail-Adresse carlo@philo.at oder katzensprung@knoblauch.net heisst. Ein Ursprung von Spam liegt darin: Das Protokoll legt penibel fest, welche Satzzeichen erlaubt sind, aber es ist völlig agnostisch hinsichtlich der Adressen, zwischen denen es den Austausch bewerkstelligt.
Nun mein (Doppel-)Punkt. Von der eben angelaufenen dritten Phase der Bologna-Umstellung sind hauptsächlich die Kulturwissenschaften betroffen. In ihnen ist ein lockeres Verhältnis zwischen Formalien und Inhalt verbreitet. Als Philosoph bin ich pickiert darüber, dass das “dumme” Mail-Protokoll an der genannten Stelle einen Doppelpunkt verlangt, statt die offensichtliche Absicht “zu erkennen” und den Fehler zu tolerieren. Im universitären Rahmen bin ich allerdings in die Rolle eines Zeremonienmeisters gerutscht, der die Kolleginnen (m/w) darauf aufmerksam macht, dass bei der Entwicklung der Curricula gewisse Vorgaben einzuhalten sind. Um ein harmloses Beispiel zu nennen: Lehrveranstaltungen sind prüfungsimmanent oder nicht-prüfungsimmanent und nicht beides.
Warum? Es ist ganz naheliegend, mit Mischungen zu arbeiten. Schnell kommt der Vorwurf, dass die Regeln die Lehrbetrieb unzulässig beschränken. Noch dazu, wenn man weiss, dass die genannte Unterscheidung tatsächlich eine wichtige ökonomische Kategorie betrifft, nämlich den Unterschied zwischen vergleichsweise billigen Vorlesungen und eventuell proliferierenden Proseminaren, Seminaren und Übungen.
Das ist die schwarz-weiss Zeichnung. De facto gibt es in vielen Curricula einen Lehrveranstaltungstyp “Kurs”, der eine Kombination der beiden Vorgangsweisen darstellt. Wenn er dort definiert ist – kein Problem. Allerdings bestehen wir darauf, dass es sich um einen prüfungsimmanenten Typ handelt – sonst könnte man ihn gleich “Vorlesung” nennen.
Sie erahnen die Debatte. Wer bestimmt, was eine Vorlesung ist? Wer kann sagen, ab welchem Punkt in den diversen Disziplinen, eine Vorlesung zu einer Übung wird (oder umgekehrt)? Niemand. Dennoch – so meine ich – macht es Sinn, ein Minimum an Gemeinsamkeiten einzufordern. Es reicht (und es ist gut), dass die faktisch an der Universität gehaltenen Vorlesungen massive Unterschiede aufweisen. Niemandem wäre jedoch damit gedient, dass man sie im Prinzip nicht von Seminaren unterscheiden kann.
Im Prinzip? Nun ja.
Ich bin eher ein Skeptiker als ein Propagandist des Bologna-Prozesses. Die Lektüre des Beitrags von Christian Scholz (Betriebswirtschaft) im Standard vom vergangenen Samstag läßt mich schwanken. Derart unüberlegt kann man Bologna nicht kritisieren.
Christian Scholz hat recht, darauf hinzuweisen, dass diese Reform weder mit den Universitäten, noch mit den Arbeitgebern, abgesprochen war. Sie ist ein Produkt aus Brüssel (Lissabon) und insoferne noch zentralistischer induziert, als vorhergehende Studienumstellungen. Daraus resultiert ein Sprung ins Ungewisse, der durch die Vorschriften nationaler Bildungsplanung abgesichert werden soll. Das Selbstverständnis der Universitäten spielt dabei keine Rolle. Soweit die berechtigten Beschwerden. Aber es ist verwunderlich, zu lesen, was dann an Gegenargumenten angeführt wird.
Herr Scholz beklagt die Bürokratisierung durch Akkreditierungsagenturen, die Kosten dieser zusätzlichen Apparate und die viele Zeit, “Tonnen unsinnigen Papiers zu produzieren”. Er bringt offenbar mehr Zeit in Saarbrücken, als in Wien zu, denn er schreibt (eventuell) von deutschen Verhältnissen. In Österreich besteht keine Akkreditierungspflicht. Die Universität Wien hat einiges Papier zur Bologna-Umstellung produziert, aber wir haben das im eigenen Haus durchgeführt. Vielleicht sollte man sich daran erinnern, dass diese Entscheidungen vorher (anders als in Deutschland) im Parlament gefallen sind.
Es wären noch einige Punkte anzuführen, in denen die Kritik Christian Scholz’ zumindest fragwürdig ist. Stattdessen will ich festhalten: Wenn ein Honorarprofessor der Universität Wien in einer seriösen Tageszeitung von hiesigen Verhältnissen so schreiben kann, als befänden wir uns in Deutschland, stimmt etwas nicht mit der Bologna-Kritik.