Derrida Über die Universität (5)

Ein Beispiel dafür, wie artistisch Derrida zwischen peinlichen Selbstverständlichkeiten und Unruhestiftung balanziert.

Es ginge darum, daß durch das Ereignis des Denkens, das solche Werke sind, mit jenem Begriff der Wahrheit oder Menschheit etwas geschieht, der die Charta und das Glaubensbekenntnis jeder Universität darstellt – und das heißt nicht zwangsläufig, ihn zu verrraten. (J. Derrida, Die unbedingte Universität)

Wer nicht bis zum letzten Halbsatz liest könnte das für eine aufgeblasene Umschreibung des Umstands halten, dass akademische Publikationen sich gerne mit der Berufung auf Wahrheit und Wissenschaftsfortschritt schmücken. Die Charta ist eine Konstanz, das Glaubensbekenntnis zielt auf Konstanz und das Ereignis mobilisiert diese Vorgaben.

Verrat ist die Kehrseite und die Einbeziehung des Verrates in Glaubensbekenntnisse das Metier Derridas. Die Produktion von Gedanken im Rahmen einer Charta ist nicht notwendig Verrat. Eine Pirouette.

    Ausgangsposition: einer Charta gemäß handeln

    erste Drehung: die (habituelle) Befolgung einer Charta verfehlt ihren Zweck

    zweite Drehung: aber nicht notwendig, im Geist der Wahrheit handeln heißt nicht unbedingt, von der Wahrheit abkommen

    die doppelte Drehung führt zum Ausgangspunkt zurück

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Derrida Über die Universität (4)

Schöne Worte Derridas:

Die Universität macht die Wahrheit zum Beruf– und sie bekennt sich zur Wahrheit, sie legt ein Wahrheitsgelübde ab. Sie erklärt und gelobt öffentlich, ihrer uneingeschränkten Verpflichtung gegenüber der Wahrheit nachzukommen.

Die Universität Wien entspricht dieser Vorgabe. Auch im aktuellen Entwurf zum Entwicklungsplan findet sich ein Bekenntnis zur Wahrheit.

Die Universität Wien bekennt sich zum Grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre. Nur dieses Prinzip garantiert Innovation über einen längeren Zeitraum. Forschung und Lehre sind der wissenschaftlichen Suche nach Wahrheit verpflichtet. Insbesondere in der Forschung sind grundlegende Erkenntnisse nicht oder nur bedingt planbar. Ziel der Planung ist es daher, jene Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Finden von neuen Erkenntnissen fördern. Die Universität Wien will in Zukunft ihre Forschungsorientierung stärken und eine Garantin für die Durchführung von längerfristigen Forschungsvorhaben sein.

Nach dieser Präambel stehen dann ganz andere Dinge, die weniger mit Wahrheit, als mit Reorganisation zu tun haben. Das verträgt sich offensichtlich nicht schlecht.

Derrida Über die Universität (3)

Nochmals die Verteidigung des Hypothetischen:

Ohne Erfahrung des ‘vielleicht’ gibt es keine Zukunft und gibt es keinen Bezug zum Kommen des Ereignisses.

Das Denken aber dieses anderen Modus des ‘als’, ‘wenn’ und ‘falls’, dieses mehr als Schwierige, dieses Un-mögliche, das Überschreiten des Performativs … gälte es erneut in den Humanities Ereignis werden zu lassen.

Bruno Latour hat auf eine erschreckende Anwendung der Konditionalisierung hingewiesen. Die Lobby der Ölindustrie macht sich die Kritik des Ideals der Erkenntnissicherheit zunutze. Sie lanciert strategische Zweifel am Konsens der Wissenschaftler über die bevorstehende Klima-Katastrophe.

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Derrida Über die Universität (2)

Universitäten sind ein Ort der Möglichkeiten, Hypothesen und der Konditionalsätze. Sie haben die Kraft, Wirklichkeiten zu suspendieren.

Diese Grenze des Unmöglichen, des ‘vielleicht’, ‘als ob’, und ‘wenn’, ist der Ort, an dem die Universität der Realität, den Kräften des Draußen ausgesetzt ist. … Genau dort ist die Universität in der Welt, die sie zu denken sucht. An dieser Grenze muß sie verhandeln und ihren Widerstand organisieren. An ihr muß sie sich ihren Verantwortungen stellen.

Eine unter Humanisten (m/w) sehr verbreitete Position. Sie trifft auf eine Schwierigkeit. Hier ein Zitat aus der “State of the Union” Rede G.W.Bushs, 2003:

Some have said we must not act until the threat is imminent. Since when have terrorists and tyrants announced their intentions, politely putting us on notice before they strike? If this threat is permitted to fully und suddenly emerge, all actions, all words and recriminations would come too late.

Das “wenn” dient in diesem Zusammenhang der Vorbereitung der Aggression, wie die Schlagzeile in der “Sun”, der gemäß Saddam Hussein in 45 Minuten die großbritannischen Soldaten im Mittelmeer mit Massenvernichtungswaffen angreifen könnte.

Als ob — das ist keineswegs ein Monopol des prüfenden Widerstands.

spl'sches Unbehagen

Ein offener Brief zur einer Intervention der SPLs:

“der gestern verschickte Brief der Mehrheit der Studienprogrammleiterinnen
(m/w) zu den kürzlich beschlossenen Richtlinien des Senates an die
Curricularkommission spricht zentrale Probleme an und richtet sich
teilweise an die falsche Adresse.

Man kann diesen Beschluss noch skeptischer als der Brief sehen. Warum
wird eine solche Umstellung überhaupt im laufenden Betrieb vorgenommen?
Sie bedeutet immerhin, dass alle bisher eingesetzten Arbeitsgruppen
umbesetzt und neu konstituiert werden müssen. Der Grund hat nichts mit
den SPLs zu tun. Die Mehrheit des Senates war in einigen Punkten mit der
Arbeit der Curricularkommission nicht zufrieden. Die Revision wurde
nicht sonderlich gut vorbereitet und nur mit einiger Mühe durch den
Senat beschlossen. Als Vorsitzender der CK möchte ich das nicht weiter
kommentieren.

Neuralgisch ist das Verhältnis der Studienkonferenzen zu den
curricularen Arbeitsgruppen. Es ist letztlich von einer politischen
xDCberlegung bestimmt: den semiparitätisch zusammengesetzten
Studienkonferenzen sollen keine so wichtigen Befugnisse wie die
Erstellung von Curricula übertragen werden. Das ergibt in der Tat einen
eigenartigen Parallelismus, speziell durch die ressourcenfressende
Regelung, dass auch die kleinste xC4nderung eines Curriculums eine eigene
Arbeitsgruppe verlangt. (Das Argument, dass die AGs dadurch zu
sorgfältigerem Vorgehen veranlasst werden sollen, halte ich angesichts
der starken Fluktuation der Anforderungen für ausgesprochen schwach.)

An einer Stelle verfehlt der Brief den Sinn der Richtlinie und führt zu
einem Vorwurf, der ins Leere geht. Die Modalitäten der Entsendung in die
drittelparitätischen Arbeitsgruppen sind tatsächlich nicht glasklar
formuliert. Sie sind “von den Angehörigen der jeweiligen
Personengruppen” – sprich Kurien – der betreffenden Fakultät zu
beschicken. Wie das geschehen soll, ist nicht geregelt. Im Brief wird
diese Festlegung perspektivisch verzerrt:

“… dass die Arbeitsgruppen von denjenigen “Personengruppen” zu
beschicken sind, die an den Fakultäten und Zentren für die “Betreuung
des betreffenden Studiums” zuständig sind …”

Es sind nicht “jene Personengruppen”, sondern “die jeweiligen
Personengruppen” an den Fakultäten. Aber lassen wir diese Details. Der
Sinn ist einfach, dass die Kurien entsenden und darin kann ich keine
Bosheit gegenüber den SPLs entdecken.

Zuletzt, weil der Brief auch polemische Elemente enthält, eine
Gegenpolemik. Kennerinnen (m/w) der Verhältnisse lächeln über die
Vermutung, die Richtlinien seien ein Baustein im Prozess der Entwertung
der SPLs. Dazu müsste es gemeinsame Absichten des Rektorates und des
Senates geben und die sind bekanntlich rar. Ohne die Gravamina der SPLs
irgendwie leugnen zu wollen: an dieser causa sind sie nicht
festzumachen.”

Derrida Über die Universität (1)

Kann die Universität (und wenn, wie?) eine unbedingte Unabhängigkeit behaupten, kann sie eine Art Souveränität für sich beanspruchen, eine höchst eigene, eine Ausnahmeart der Souveränität, ohne das Schlimmste zu riskieren, nämlich aufgrund der unmöglichen Abstraktion dieser souveränen Unabhängigkeit sich bedingungslos zu ergeben und zu kapitulieren, sich zu jedem Preis einnehmen und kaufen zu lassen? Die unbedingte Universität. 2001. es 2238. S. 18

Derrida assoziiert zu “unbedingt”, das zunächst eine Selbstbehauptung anspricht, die “unbedingte Kapitulation”. Einer seiner genialen Tricks. Er zitiert die alte Herrlichkeit und tunkt sie tief in die gegenwärtige Auflösung. Gegen den Vorwurf, er würde die Situation schönreden, ist er durch die “Kapitulation” gewappnet. Vor diesem Hintergrund baut er den Wunschinhalt umso ungestörter auf.

Am Fakultätstag der “Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft” werde ich mit Kolleginnen und Kollegen einen Workshop zum Thema “Überleben im Universitätsbetrieb” anbieten. Hier folgen einige vorbereitende Gedanken dazu. Derrida bringt unverhohlen – freilich im Modus der Frage – die xDCberlegenheit der Philosophie zur Geltung: es handelt sich um eine “Ausnahmeart der Souveränität”. Schutzlos oder großartig, was soll es sein? Man kann es ahnen: beides.

Kammerdiener

Der Einsatz von Webseiten und eMail zur Information und Diskussion der universitätspolitischen Agenda ist ein gemischter Segen. Einweg-Mitteilungen und schöne Worte in html sind erheblich einfacher zu produzieren, als demokratische Prozesse. Dennoch kann ich es nicht lassen, der jüngste Versuch ist eine Mailing Liste Curricular-News. Sie dient der Verständigung über Studienentwicklung an der Universität Wien.

In solchen Fällen wirbt man gewöhnlich um Kooperation und appelliert an den Team-Geist. Dieses “fishing for good will” schien mir überholt. xDCberraschender Weise kommt es doch zu einer Auseinandersetzung.

Die Stimmung ist gedrückt.

Und wenn dann noch zig Gremien und Funktionsträger kreiert und aufgerufen werden, an denselben “Innovationen” zu arbeiten, bindet schon alleine der Umstand viel Energie, dass wir permanent neu abstimmen müssen, wie wo wer mit welcher Legitimation welche Entscheidungen treffen soll/darf und dies mit all den anderen ernannten MitspielerInnen koordinieren muss, um dann feststellen zu können: Die Arbeit hätte man sich gleich sparen können … (W. Datler)

Zur Illustration unserer Situation ein gestriges Erlebnis: man drückte mir das Unverständnis aus dass Leute wie wir xDCBERHAUPT die Rolle eines
SPLs übernommen haben (!), denn es sei abzusehen gewesen, daß die SPLs sozusagen (sinngemäß) Kammerdiener und nicht mehr sein werden. (M. Hesse)

Die Studienprogrammleiterinnen (m/w) könnten gewichtige Personen innerhalb der neuen Verhältnisse sein. Offenbar gelingt es nicht, sie entsprechend zu unterstützen und zu motivieren.

Qualitätssicherung

Das Wort ist in aller Munde. Es lohnt, sich die administrative Situation an der Universität vor Augen zu führen.

Das “Zentrum für Evaluation un Controlling” weist fünf zuständige Personen auf. Leiter ist der Rektor himself. (Ob das eine gute Idee ist?) Zwei Sekretärinnen stehen zur Verfügung. Je ein Referent kümmert sich um die Lehr- bzw. Forschungsevaluation. Angesichts tausender Lehrveranstaltungen und der neuen Fakultätsstruktur sind sie sicherlich mehr als ausgelastet.

Damit nicht genug. Im aktuellen Vorschlag zum Entwicklungsplan wird ihnen eine neue Aufgabe zugedacht. Sie sollen alle in nächster Zeit zu entwicklende Curricula vor ihrem Einsatz auf Kosten, Didaktik und Durchführbarkeit evaluieren.

Richtlinien dafür, wie das geschehen soll, fehlen. Das Verhältnis zum Senat, der für die Regelung der Studien verantwortlich ist, wird nicht thematisiert. Wo und wie diese Evaluationen in den Arbeitsablauf des ehrgeizigen Bologna-Projektes eingebaut werden sollen, ist offen.

Es ist zu fürchten, dass die Qualität der Qualitätssicherung unter diesen Umständen zu wünschen übrig läßt.

Großeltern und Enkel

Theoretisch wusste ich es, aber anschaulich erlebt ist es doch noch eindringlicher. Der Senat der Universität Wien besteht aus

    10 Professorinnen (m/w)

    2 Angehörigen des “Mittelbaus”

    1 Angehörigen des allgemeinen Universitätspersonals

    5 Studierenden

Bezogen auf die Größe der Personengruppen: ca. 340 Professorinnen (m/w) haben 10 Vertreterinnen, ca. 1220 Mittelbau 2 davon. Das allgemeine Personal umfasst etwa 765 Bedienstete.

Eine groteske Verteilung, die sich natürlich auf die Arbeit im Senat auswirkt. Die Stimmung ist einer Familienkonferenz zu vergleichen, an der nur die Großeltern und die Enkelinnen teilnehmen. Es gibt sicher auch 40-jährige Professorinnen, aber im Senat sitzen vorwiegend jene über 60. Ihnen gegenüber die 25-jährigen und ziemlich verloren die Vertreter der mittleren Generation, welche sich – es ist zuzugestehen – auch schon dem Seniorenstatus nähern.

Dass diese Restriktion von etwa 75% der Mitarbeiterinnen eines Betriebes nicht nur eine demokratische Untat ist, sondern auch seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigt, liegt auf der Hand.

Universitäten ohne Ideen

Die Winter-Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift Critical Inquiry bringt einen provokanten Beitrag von Stanley Fish, einem prominenten Anglisten und Kulturtheoretiker. “Take This Job and Do It: Administering the University without an Idea”

Er knüpft an Richard Rorty und wendet sich gegen die Nostalgie nach alten Wertsystemen, die durch die Managerkaste ruiniert würden. Diese Klagen gibt es seit hundert Jahren. Die Universität war immer ein umstrittenes Terrain. Sich selbst bezeichnet er als “Macher”.

It turns out then that I am the perfect dean for the modern posthistorical university, the University of Excellence (with excellence a local matter of local judgment), the perfect dean for the university without an idea, or the university with as many ideas as you can get funding and space for. If you ask me which interpretive communities are of more value than the others and therefore should be better supported, I will be unable to say. If you ask me what underwrites or waits at the end of the rhetoric of disciplinary contest, I haven’t the slightest idea. If you ask me in the service of what do you perform your pragmatic acts of middle management, I will respond with a blank stare and a glassy eye. And if you ask me what is your theory or vision of education?the question behind all the others?I will immediately run in the opposite direction. No theory, no urgent mission, no sociopolitical cause. I do, however, have a motto, borrowed from an old TV show: Have Skills, Will Travel.

Eine gewisse Sympathie kann man dieser ehrlichen Ratlosigkeit nicht absprechen.