Ein vor 10 Jahren verfasster Text “Katastrophen 1906/2006” war durch einen Tsunami im indischen Ozean ausgelöst. Die Reaktion auf Naturkatastrophen enthält neuerdings auch ihre live Dokumentation, bis zum Extremfall, in dem eine Kamera, deren Besitzer ertrunken sind, ans Land gespült wird. Weiter kann Reality-TV nicht mehr gehen. Das Publikum betrachtet in Bildern die Überwältigung der Photographinnen durch den Tod.
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Author: Herbert Hrachovec
gratia gratum faciens
Im vorhergehenden Beitrag holt sich Andreas zur Orientierung über die Fremden an unseren Grenzen Hilfe von höchster Stelle, beim Gottesverhältnis der arabischen Mystikerin Rabi’a. Es geht über die irdischen Exklusionen hinaus und erfüllt sich in selbstloser Liebe zum ganz Anderen. Grundlos, einfach weil es so ist.
on/off
“Ein” oder “Aus” gehört zu den einfachsten Oppositionen, wie “ja/nein” oder “offen/geschlossen”. Das ist der Bereich “klarer Entscheidungen”, bis hin zu “Willkommenskultur” versus “Festung Europa”. Sicher, es gibt undichte Ventile und durchlässige Membranen. Aber mit einer Theorie der Wackelkontakte kann man nicht beginnen. Eine Vorrichtung, die bei wiederholten Versuchen immer wieder unvorhersehbar reagiert, wird als Garantiefall retourniert.
Unlängst hat mich ein Haushaltsgerät auf eine andere Spur gebracht.
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unbedingt Asyl
Ein Symposium zu “FLUCHT UND ASYL. Sozialphilosopische Perspektiven” im Rahmen des FWF Projektes Sprache und Gewalt am Institut für Philosophie der Universität Wien befasste sich ausführlich mit dem Thema Asyl. Eine exponierte Position hat Jacques Derrida in Von der Gastfreundschaft vertreten. Er spricht von “absoluter und bedingungsloser Gastfreundschaft”[1. Wie bei Derrida üblich ist diese Redeweise in ein komplexes Argumentationsverfahren eingebettet. H.W. Sneller hat es in einem Beitrag Ethische Aporien: die Paradoxe der Gastfreundschaft detailliert erörtert. Die vorliegende Notiz folgt Derridas Manövern nicht und setzt sich dem Vorwurf der unzulässigen Vereinfachung aus.]. Einige Teilnehmerinnen (m/w) machten sich diesen Gedanken zu eigen. Es folgt ein Versuch, diese Formulierung als sprachliche Wendung mit praktischen Auswirkungen zu analysieren.
Grenzen. Eine Bildbetrachtung
Umstandslos sind dem Bild einige Grenzen zu entnehmen. Das Meer begrenzt das Festland, die gelb-orangen Farben gehören zur Peripherie der Europäischen Union, die in Petrol markiert ist. Innerhalb des Petrolblocks verlaufen weiße Linien – Landesgrenzen. Der schwungvolle rote Strich umgibt den Schengen Raum. Diese Demarkierungen verzeichnen politische Gegebenheiten. Sie wegzudenken heißt, auf wesentliche Informationen zur gegenwärtigen Migrationsbewegung zu verzichten.
“… dieser ehemalige Heimwehrführer …”
In einer Radiosendung über “Österreichs hausgemachten Faschismus” habe ich Emmerich Tálos die Frage vorgelegt, wie es denn kommen konnte, dass die 2. Republik, anders als Deutschland, von Politikern mit aufgebaut wurde, die nach seiner Nomenklatur Faschisten waren. Julius Raab z.B. war Minister im letzten Kabinett Schuschnigg.
wahre Empfindungen

In der letzten Vorlesungsstunde zu Big Data bezog ich mich unter anderem auf einen Text Christian Geyers aus der FAZ vom 13.1.2016. Er registriert die Verunsicherung durch zahlreiche Metadiskussionen zum Flüchtlingsproblem und die (vergebliche) Suche nach elementaren Bildern und Geschichten. Der Anlass seiner Überlegung ist das Bild hungernder Kinder in Madaya, Syrien. Wann, wenn nicht hier, sollte es Gewissheiten geben. Jedoch:
Unser Albtraum ist, dass wir solche Albträume nur in abgeleiteten, von der Deutungsmaschinerie erhitzten Kategorien wie Fluchtursachen, Einzelfällprüfung und Kriminalitätsstatistik wahrzunehmen gewöhnt sind. Unser Albtraum ist, dass wir auf diese Raster angewiesen bleiben, soll “Syrien” uns überhaupt betreffen können.
“Gott schütze Österreich”
Nochmals die Kreuzzüge. Das österreichische Heimwehrregime bediente sich des “Jerusalemer Kreuzes” (Kruckenkreuz) als politischen Symbols. Zum herzzereißenden Wahlspruch des k.k. Landesschützen-Regiment „Trient“ Nr. I kam das christliche Bekenntnis. Als Marsch gefasst:
Das letzte eiserne Gebot: Sieg oder Tod im Alpenrot.
In Ungarn ist diese Wehrhaftigkeit seit dem 25. April 2011 im Grundgesetz festgeschrieben:
Gott, segne die Ungarn!
NATIONALES BEKENNTNIS
WIR, DIE MITGLIEDER DER UNGARISCHEN NATION, erklären zu Beginn des neuen Jahrtausends, in der Verantwortung für alle Ungarn Folgendes:
Wir sind stolz darauf, dass unser König, der Heilige Stephan I., den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf festen Fundamenten errichtete und unsere Heimat zu einem Bestandteil des christlichen Europas machte.
Ein Blick auf die Geschichte der Kreuzzüge lehrt:
- Städte und Regionen wechselten ihren Besitzer. Die Bewohner behielten oft ihre Religion, sie mussten nur zpezielle Steuern zahlen, wenn ihr Glaubensbekenntnis von jenem der jeweiligen Sieger abwich.
- Christliche Heerführer hatten keine Bedenken, sich gegen Glaubensgenossen mit islamischen Truppen zu verbünden (und umgekehrt).
Die Reiseerzählungen von Ibn Dschubair, eines spanischen Pilgers zur Zeit Saladins berichten von Zuständen, die frappant an die Gegenwart erinnern. Jonathan Philipp berichtet, dass die Überfahrt in den Nahen Osten für Christen (nach Jerusalem) und Muslims (nach Mekka) durch die Handelsflotten italienischer Städte organisiert wurde. Venedig, Pisa und Genua lagen in scharfer Konkurrenz. Auf ihren Schiffen transportierten sie, in separierten Kompartments, die Reisenden unterschiedlichen Glaubens.
Damals wie heute: Ökonomie reicht weiter als Glaubenskämpfe.
Kreuzzüge, Dschihad
Ein Vortrag im Rahmen des Symposiums Cyberspace 2015 in Brünn befasste sich mit der Propaganda des Islamischen Staates, speziell mit dem pdf-Magazin Dabiq.
The Islamic State (ISIS) regularly puts out a glossy propaganda magazine aimed at recruiting jihadists from the West. It is sophisticated, slick, beautifully produced and printed in several languages including English. 1
In der Diskussion wurde gefragt, was der Referent über die Zielgruppe der Publikation wisse. Er hatte keine Information. Nun, eines kann man jedenfalls sagen: Es sind Personen, die gerne professionell gemachte Hochglanzbroschüren lesen. Anders formuliert: die Propaganda des aktuellen Terrors misst sich am Standard der westlichen Unterhaltungsindustrie. “Dabiq” dient jedenfalls dazu, den mörderischen Islamismus in den Kategorien unserer Werbebroschüren gut aussehen zu lassen.
Beim Nachlesen über die Kreuzzüge bin ich auf eine ähnliche Querverbindung zwischen den feindlichen Lagern gestoßen. Paul M. Cobb versucht in The Race for Paradise. An Islamic History of the Crusades die Perspektive der angegriffenen Königreiche und Fürstentümer einzunehmen, und dabei ergibt sich eine wichtige Pointe.
Österreich 1934, Syrien 2015
Ingredienzien für eine Tragödie:
- Krieg hat die Region destabilisiert.
- Autoritäre Herrscher
- Ein Land im Bürgerkrieg
- Das Land ist Schauplatz eines stellvertretenden Machtkampfs von Großmächten.
- Ein Staat von Gottes Gnaden wird deklariert.
- Die Wirtschaft ist schwer geschädigt.
- Arbeitslose Offiziere schließen sich regimefeindlichen Kampfgruppen an.
Klingt nach Nahem Osten, aber es erinnert auch an Zustände, die vor 80 Jahren hierzulande herrschten. Der Austrofaschismus war der gescheiterte Versuch, gegen die Hälfte der Bevölkerung, bedroht vom übermächtigen Nachbarn, von den Siegermächten des 1. Weltkriegs mit vagen Versprechungen abgespeist, einen Staat zu führen.
Natürlich stimmen die Dimensionen nicht. Welten liegen zwischen den 94 bzw. 330 Toten beim Brand des Justizpalastes und den Februarkämpfen 1934 einerseits, und der Katastrophe in Syrien. Die Fassade des Ständestaates ist mit dem Regime des “Islamischen Staates” nicht vergleichbar. Aber die Gottesanrufung am Beginn des Verfassungsdokumentes gibt dem empfindlichen Leser (m/w) doch einen Stich. Ein Beitrag zur Gewährung von Asyl.