Ein winziges Anzeichen des Flüchtlingstroms, der vergangenes Wochenende durch Wien rollte, war der schmale, vielleicht 20-jährige, junge Erwachsene, der mir gegenüber im Abteil des Nachtzugs nach Zürich saß. [1. Andreas Kirchner schließt seinen vorhergehenden Beitrag mit einer Überlegung zur Diskrepanz zwischen allgemein hoffähiger Vernunft und dem nicht steuerbaren individuellen Ausbruch aus dieser Regulierung. Hier eine Umkehrung: von der individuellen Desorientierung zu ihrer gesellschaftlichen Integration.] Stumm, ohne Bewegung, defensiv in sich eingeschlossen, strahlte er eine Extraterritorialität aus, die davon abhielt, ihm näher zu kommen. So fremd, dass man sich kaum dazu brachte, ihn als “Flüchtling” zu klassifizieren.
Bis an der Schweizer Grenze die Polizei durch die Waggons ging und Ausweise verlangte. Der Mann stand auf, holte seinen Rucksack vom Gepäcksnetz und tat so, als würde er das Dokument suchen. Der Polizist wartete geduldig. Nach einer Minute die Geste, dass es keinen Ausweis gibt. “What country do you come from?” “Syria”. Mitkommen. Widerspruchslos folgte der Syrer dem Schweizer, der ihn aus dem Zug holte.
Was war der Sinn dieser Episode? Warum fährt jemand durch ganz Österreich, um sich am Ende abfangen und retournieren zu lassen? Die Frage steht stellvertretend für die Hilf- und Ratlosigkeit, welche die gegenwärtige Entwicklung auslöst. (Ich spreche nicht von der befreienden Solidarität, sondern vom Fehlen einer längerfristigen politischen Perspektive.) Unter diesem Fragezeichen verbrachte ich die nächsten Tage in Zürich.
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